r-o Special: Nichtsteroidale Antirheumatika in der Schwangerschaft und Stillzeit
In dieser Ausgabe des r-o-Specials werden die Empfehlungen der internationalen Konsensus-Konferenz vom September 2004 zur Therapie mit cortisonfreien Entzündungshemmern (nicht-steroidale Antirheumatika, NSAR) dargestellt. Diese Empfehlungen wurden u. a. von Rheumatologen entwickelt, gelten natürlich aber ebenso für diese Medikamente in anderen Anwendungen (Indikationen). So finden Sie hier auch Antworten auf Fragen wie: Darf ich während der Schwangerschaft Aspirin gegen Kopfschmerzen nehmen? Wenn ja, wie lang?
Bei den cortisonfreien Entzündungshemmern ("normale" Rheuma-Medikamente, cortisonfreie Rheuma-Schmerzmittel, nicht-steroidale Antirheumatika, NSAR) unterscheidet man zwei Substanzgruppen.
Die klassischen Substanzen wie Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen oder Piroxicam etc. hemmen sowohl das für die Entzündung verantwortliche Enzym Cyclooxygenase-2 (COX-2) als auch die damit verwandte Cyclooxygenase-1 (COX-1), die als ein sogenanntes "house-keeping-enzyme" für eine ganze Reihe von normalen Körperfunktionen zuständig ist, so die Regulation der Magenschleimbildung als Schutz vor der Magensäure, die Durchblutung der Nieren oder auch die Regulation bestimmter Vorgänge der Blutgerinnung ("Thrombozytenaggregation").
Für die Behandlung von Entzündungen, insbesondere von rheumatischen Entzündungen, ist die Hemmung der COX-1 nicht nötig, sondern eher ungünstig, da diese Hemmung zu einer Beeinträchtigung der normalen Aufgaben dieses Enzyms führt und damit für einen Teil der möglichen Nebenwirkungen dieser Therapie verantwortlich ist, so beispielsweise das erhöhte Risiko von Magengeschwüren.
Deshalb wurden Präparate entwickelt, die nur oder fast nur die Cycloogenase-2 hemmen (COX-2-Inhibitoren). Im Gegensatz zu den alten, nicht-selektiven Cyclooxygenase-Hemmern oder -Inhibitoren werden Medikamente aus dieser Substanzgruppe als selektive COX-2-Hemmer oder Coxibe bezeichnet. Die derzeit aus dieser Gruppe zur Verfügung stehenden Medikamente sind Celecoxib (Handelsname Celebrex), Etoricoxib (Handelsname Arcoxia) und Lumiracoxib (Handelsname Prexige).
Zur Abgrenzung der klassischen Präparate von den COX-2-selektiven NSAR haben sich die Begriffe tNSAR (traditionelle NSAR) und Coxibe (Cox-selektive NSAR) eingebürgert, die der Einfachheit halber auch hier verwendet werden.
NSAR und Schwangerschaftsverlauf
In einigen Fallkontroll- und Kohortenstudien wurde eine Assoziation (ein Zusammenhang) zwischen dem Gebrauch von tNSAR und Fehlgeburten beobachtet. Als Ursache wurden Störungen bei der Einnistung des Eis (Nidation) und/oder der Plazentadurchblutung (Durchblutung des Mutterkuchens) vermutet. Eine Metaanalyse zur Anwendung von Acetylsalicylsäure (ASS, Handelsname z.B. Aspirin) im ersten Trimenon (Trimenon: von griech. tri = drei und menos = Monat, d.h. in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten) kam jedoch nicht zu diesem Ergebnis [1-4].
Mögliche mutagene und teratogene Effekte
Bei den möglichen Schädigungen von Medikamenten im Zusammenhang mit Zeugung, Schwangerschaft und Geburt unterscheidet man mutagene Wirkungen von teratogenen Wirkungen.
Als mutagen werden Effekte bezeichnet, die zu Mutationen, d.h. zu Veränderungen im Erbgut von Mutter, Vater oder Kind führen. Teratogen werden Auswirkungen genannt, die das wachsende Kind im Mutterleib schädigen, d.h. die zu Mißbildungen führen, sich jedoch nicht auf das Erbgut auswirken.
Das teratogene Risiko von tNSAR (incl. Acetylsalicylsäure) im ersten Trimenon ist in verschiedenen Studien untersucht worden. In keinem dieser großen Projekte [4-8] mit Daten von mehreren Hunderttausend Schwangerschaften wurde ein erhöhtes Risiko für angeborene Fehlbildungen gefunden. Daten zur Anwendung von Coxiben im ersten Trimenon liegen nicht vor.
Eine Metaanalyse der publizierten Berichte zum Gebrauch von Acetylsalicylsäure (ohne Dosisangabe) während des ersten Trimenon fand kein erhöhtes Risiko für Geburtsfehler wie renale Anomalien (Veränderungen der Nieren) und Herzfehler. Es wurde jedoch ein signifikant erhöhtes Risiko für eine Gastroschisis (Bauchspalte) im Vergleich zu Frauen gefunden, die keine Acetylsalicylsäure eingenommen hatten [9]. Diese Ergebnisse wurden in einer spanischen Studie bestätigt [10].
Wirkungen auf den Ductus arteriosus Botalli
Der Ductus arteriosus Botalli ist eine Gefäßverbindung, die beim ungeborenen Kind einen Umgehungskreislauf der Lunge herstellt. Nach der Geburt muß sich dieser Umgehungskreislauf schließen, damit die Lunge durchblutet wird und das Kind nun nicht mehr über den Mutterkuchen (die Placenta) der Mutter mit Sauerstoff versorgt wird, sondern durch die eigene Atmung und seine Lungen seine Sauerstofversorgung selber übernimmt.
Da sowohl COX-1 und auch COX-2 in der glatten Muskulatur des Ductus arteriosus ausgebildet ("exprimiert") werden, kann theoretisch die Gabe von tNSAR und Coxiben in der fortgeschrittenen Schwangerschaft zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli führen und dadurch einen erhöhten Druck im Lungenkreislauf auslösen [11].
In einer kleinen Studie zur Anwendung von Celecoxib (Daten von 12 Schwangerschaften) wurde jedoch kein vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus beobachtet [12].
Eine Reduktion des ductalen Blutflusses ist für die meisten tNSAR beschrieben und tritt bereits vier Stunden nach Gabe des Medikamentes ein [13, 14]. Dieser Effekt ist häufig nach 24 bis 48 Stunden nicht mehr zu beobachten. Es wurde allerdings in Studien gezeigt, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen pulmonalem Hochdruck bei Neugeborenen und der Einnahme von Acetylsalicylsäure, Naproxen oder Ibuprofen im dritten Trimenon besteht. Der Schweregrad des pulmonalen Hochdrucks war dosisabhängig [15, 16].
Wirkungen auf die renale Funktion des Fötus und des Neugeborenen.
COX-1 wird in den renalen Tubuli und COX-2 in den der renalen Medulla exprimiert. Unerwünschte Wirkungen auf die fetale Nierenfunktion sind unter tNSAR und Coxiben beschrieben [15, 17-19].
Effekte von NSAR auf die Fertilität
COX-1 und COX-2 sind an der Ovulation (Eisprung) und an der Nidation (Einnistung des Eis) beteiligt. Es gibt einige Fallberichte und kleine Studien über eine vorübergehende Unfruchtbarkeit nach einer Behandlung mit Indometacin, Diclofenac, Piroxicam und Naproxen [20-22].
In einer Studie wurde eine Abnahme der Spermienzahl und –qualität bei Männern mit chronischer Anwendung von NSAR (überwiegend Acetylsalicylsäure) gefunden [23].
Stillzeit
Die Mehrzahl der NSAR wird in sehr kleinen Mengen mit der Muttermilch ausgeschieden [24, 25]. Die American Academy of Pediatrics erachtet Flufenaminsäure, Ibuprofen, Indometacin, Diclofenac, Mefenaminsäure, Naproxen, Piroxicam und Tolmetin als geeignet für eine Therapie während der Stillzeit [26].
Acetylsalicylsäure in einer Dosis von mehr als 100 mg/die sollte vorsichtig angewendet werden, da es bei dem gestillten Kind möglicherweise zu unerwünschten Wirkungen kommen kann [26].
Zusammenfassend erarbeitete die Konsensus-Konferenz folgende Stellungnahme:
• tNSAR und Coxibe können die Ovulation verhindern oder verzögern
• tNSAR sind nicht teratogen und dürfen während des ersten und zweiten Trimenon, d.h. in den ersten 6 Schwangerschaftsmonaten verabreicht werden.
• Aktuell liegen keine zuverlässigen Daten zu den Coxiben vor. Sie sollten deshalb in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden.
• Nach der 20. Schwangerschaftswoche können alle NSAR (mit Ausnahme von Acetylsalicylsäure <100 mg / die, niedrig dosiert) zu einer Einengung des ductus arteriosus führen und die Nierenfunktion beeinträchtigen.
• Alle NSAR mit Ausnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure sollten nach der 32. Schwangerschaftswoche abgesetzt werden.
• Es konnte kein Konsens gefunden werden, wann niedrig dosierte Acetylsalicylsäure vor der Geburt abgesetzt werden muss. Einige Fachleute raten, die Acetylsalicylsäure eine Woche vor einer Geburt mit geplanter Epiduralanästhesie abzusetzen. Andere Experten therapieren hingegen ihre Patientinnen mit Anti-Phospholipid-Syndrom weiter mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure, da der Nutzen das Hämatomrisiko bei einer Epiduralanästhesie überwiegt.
• Das Kind sollte kurz vor der nächsten Einnahme von NSAR gestillt werden, da die Konzentration in der Muttermilch zu diesem Zeitpunkt am niedrigsten ist.
Literatur und Links
Die komplette Publikation finden Sie hier:
Anti-inflammatory and immunosuppressive drugs and reproduction.
Ostensen M, Khamashta M, Lockshin M, Parke A, Brucato A, Carp H, Doria A, Rai R, Meroni P, Cetin I, Derksen R, Branch W, Motta M, Gordon C, Ruiz-Irastorza G, Spinillo A, Friedman D, Cimaz R, Czeizel A, Piette JC, Cervera R, Levy RA, Clementi M, De Carolis S, Petri M, Shoenfeld Y, Faden D, Valesini G, Tincani A.
Department of Rheumatology and Clinical Immunology/Allergology, University Hospital of Bern, Switzerland.
Arthritis Res Ther. 2006;8(3):209. Epub 2006 May 11.
weitere Links
Teil 1 des r-o-Specials: Antirheumatika in der Schwangerschaft und Stillzeit vom 11.03.2007
Schwangerschaft bei Rheuma? Ein umfangreicher Beitrag zu diesem Thema von Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer vom 14. Februar 2003 anläßlich der Anfrage einer Userin
Rheuma und Schwangerschaft. Eine Zusammenstellung der bisherigen Beiträgen, die in rheuma-online zu diesem Thema erschienen sind.
Behandlungswege der rheumatoiden Arthritis in der Schwangerschaft. Ein Kongreßbericht von Fr. Dr. med. Gabriele Moultrie und Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer vom europäischen Rheumatologenkongreß (EULAR 2004) in Berlin.
Literatur
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2. Chan LY, Yuen PM. Risk of miscarriage in pregnant users of NSAIDs. More information is needed to be able to interpret study's results.
Br Med J. 2001;322:1365–1366.
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