r-o-Special: Infektion mit Noroviren und anderen Magen-Darm-Infekten – Was ist für Rheumapatienten zu beachten?
Noroviren gehören zu den häufigsten Ursachen von Magen-Darm-Infektionen. Die Erkrankung ist in der Regel kurz, dafür aber oft sehr heftig. Starke Übelkeit, ausgeprägtes Erbrechen, schwere Bauchkrämpfe, Durchfälle und z.T. erhebliche Kreislaufbeschwerden führen bei den meisten Patienten zur Bettlägerigkeit. Nahrungsaufnahme ist üblicherweise nicht möglich. Was bedeutet dies für die Rheumamedikamente? Diese und andere Fragen beantwortet das aktuelle rheuma-online-Special.
Infektionen mit Noroviren nehmen erheblich zu. Ein jahreszeitlicher Anstieg findet sich in den Winter- und Frühjahrsmonaten.
Die wichtigsten Informationen zu Norovirus-Infektionen mit Hinweisen zu Vorbeugungsmaßnahmen und Verhaltensmaßregeln im Falle einer Infektion haben wir in einem rheuma-online-Beitrag vom 16.03.2008 zusammengestellt, der auch den Text einer Bürgerinformation (1/2008) der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beinhaltet.
Hier nun einige Aspekte, die sich speziell auf Patientinnen und Patienten mit einer entzündlich-rheumatischen oder immunologischen Systemerkrankung beziehen, und Antworten auf die häufigsten Fragen, die sich im Zusammenhang mit einer Norovirus-Infektion und vergleichbaren Magen-Darm-Erkrankungen stellen.
Ein Hauptproblem: Meistens ist die Erkrankung in der Akutphase so heftig, daß Tabletten nicht eingenommen werden können oder sofort wieder erbrochen werden. Was bedeutet dies für die Rheumamedikamente?
Bei den Rheumamedikamenten unterscheidet man 4 verschiedene Typen:
- Reine Schmerzmittel („Analgetika“)
- cortisonfreie Entzündungshemmer („normale Rheumamedikamente“, nicht-steroidale Antirheumatika)
- Cortison und
- krankheitsmodifizierende Medikamente (DMARDs = disease modifying antirheumatic drugs, LWAR = langwirksame Antirheumatika, früher sogenannte „Basistherapie“).
Im Falle einer akuten Magen-Darm-Erkrankung wie einer Norovirus-Infektion gelten deshalb für die unterschiedlichen Medikamentengruppen auch unterschiedliche Empfehlungen.
Reine Schmerzmittel / Analgetika:
Es ist eine bislang nicht vollständig aufgeklärte, aber gut bekannte Erfahrung, daß bei vielen Patienten mit einer entzündich-rheumatischen oder immunologischen Systemerkrankungen während eines hochakuten Infektes, insbesondere auch während eines schweren Magen-Darm-Infektes, die rheumatisch bedingten Schmerzen sehr gering werden oder völlig verschwinden, um dann allerdings nach dem Infekt in alter Stärke wieder aufzutreten. Je nach Infekt und Erreger kann es danach allerdings, z.T. mit einem gewissen zeitlichen Abstand von wenigen Tagen bis wenigen Wochen (2-3 Wochen), sogar zu einer infektbedingten Zunahme der Schmerzen bis hin zu einer Schubsituation fast wie bei einer klassischen infektreaktiven Arthritis kommen. In der Akutsituation der Magen-Darm-Infektion ergibt sich daraus allerdings „das Glück im Unglück“, daß es meist nicht zu unerträglichen rheumatischen Schmerzen kommt, wenn dieser Medikamente nicht eingenommen werden können. Falls die Schmerzmedikation durch ein Schmerzpflaster erfolgt, hilft dieses im günstigsten Fall auch ein wenig gegen die Bauchkrämpfe im Zusammenhang mit dem Magen-Darm-Infekt.
NSAR / cortisonfreie Entzündungshemmer:
Für diese Substanzgruppe gilt im Prinzip das für die reinen Schmerzmittel / Analgetika Beschriebene.
Cortison:
Cortison sollte regelmäßig genommen werden, insbesondere dann, wenn die Cortisontherapie schon für einen längeren Zeitraum (Monate oder Jahre) durchgeführt wurde. Die längere Cortisoneinnahme kann dazu führen, daß ein körpereigener Regelkreis nicht mehr oder nicht mehr vollständig funktioniert. Ein plötzliches Absetzen von Cortison kann dann dazu führen, daß der Körper nicht mehr genügend Cortison bildet. Cortison ist aber ein lebenswichtiges Hormon und wird gerade in Stresssituation benötigt. Da ein akuter Infekt, gerade ein heftiger Norovirus-Infekt, einen erheblichen Streß darstellt, können sich bei Patienten mit langer vorheriger Cortisoneinnahme Probleme ergeben, wenn die Cortisontherapie für einen längeren Zeitraum unterbrochen werden muß.
Üblicherweise sollte es nicht zu Schwierigkeiten kommen, wenn wegen der Übelkeit und des Erbrechens das Cortison für ein oder zwei Tage nicht eingenommen werden kann. Falls dieser Zustand aber länger anhält, sollte sofort Kontakt mit dem behandelnden Arzt / Hausarzt aufgenommen werden, damit ggf. je nach Lage der Dinge und der Situation des speziellen Einzelfalls Cortison u.U. in Spritzenform verabreicht wird.
Eine Sondersituation ist die Therapie mit hochdosiertem Cortison, z.B. wegen eines akuten Krankheitsschubes, wegen einer Organbeteiligung oder wegen anderer, u.U. lebensbedrohlichlicher Krankheitskomplikationen.
In einem solchen Fall sollte unverzüglich und nicht erst nach ein bis zwei Tagen Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufgenommen werden, nach Möglichkeit dabei nicht nur mit dem Hausarzt, sondern auch mit dem behandelnden Rheumatologen, damit in dieser Situation die geeigneten und notwendigen Maßnahmen ergriffen werden (die u.U. sogar je nach Lage der Dinge eine Krankenhauseinweisung / stationäre Behandlung bedeuten können).
Krankheitsmodifizierende Substanzen / DMARDs / “Basistherapie“:
Krankheitsmodifizierende Medikamente wirken langfristig. Insofern ist es kein Problem, wenn sie für wenige Tage nicht eingenommen werden können. Eine Verschlimmerung der rheumatischen oder immunologischen Erkrankung oder ein Wirkverlust der Therapie ist dadurch nicht zu befürchten.
Im Gegenteil sollten eine Reihe dieser Substanzen während einer akuten Infektionserkrankung sogar nicht eingenommen oder verabreicht werden, da sie die Immunabwehr vermindern und damit die Auseinandersetzung der körpereigenen Abwehr mit dem Virus / dem Infektionserreger beeinträchtigen.
Im Regelfall ist während einer akuten Infektion eine Behandlungspause empfehlenswert bzw. sinnvoll oder sogar notwendig bei den folgenden Präparaten (die Liste umfaßt die gängigsten Substanzen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; im Zweifelsfall sollte jeder einzelne Patient das entsprechende Vorgehen mit seinem behandelnden Rheumatologen absprechen, am besten sogar im Vorfeld, d.h. anlässlich einer rheumatologischen Routinekontrolle):
Konventionelle / traditionelle DMARDs<//u>
Methotrexat (MTX, z.B. Lantarel, Metex)
Leflunomid (Arava)
Ciclosporin (z.B. Sandimmun, Immunosporin)
Azathioprin (z.B. Imurek)
Cyclophosphamid (z.B. Endoxan) (unter einer Therapie mit dieser Substanz sollte bei Infekten in jedem Fall Kontakt mit dem behandelnden Rheumatologen aufgenommen werden)
Nach Abklingen der akuten Infektionssymptome kann die Therapie nach einem Sicherheitsabstand von einigen Tagen (je nach Lage der Dinge zwischen drei Tagen und 1-2 Wochen) wieder aufgenommen werden. Bei den wöchentlich eingenommenen / verabreichten Medikamenten, speziell MTX, sollte man im Regelfall die Therapie nach der Behandlungspause im üblichen Rhythmus, d.h. am gewohnten Einnahmetag / Tag der MTX-Injektion fortsetzen.
Antimalaria-Mittel, Sulfasalazin, intramuskulär verabreichtes Gold (Goldspritzen) oder Gold in Tablettenform führen zu keiner oder nur einer geringen, zu vernachlässigenden Beeinträchtigung der Immunabwehr, so daß sich aus diesen Substanzen bei einer Infektion in der Regel keine zusätzlichen Komplikationen ergeben.
Biologika / Biologicals / biotechnologisch hergestellte Substanzen<//u>
<//u>Biologika gehen, wenn auch mit einer von Substanz zu Substanz unterschiedlichen Ausprägung, mit einer mehr oder weniger starken Abschwächung der Immunabwehr einher. Wegen der unterschiedlichen Wirkmechanismen und insbesondere auch wegen der unterschiedlichen Verabreichungsformen und sehr unterschiedlichen Halbwertszeiten (d.h. sehr unterschiedlich langen Verweildauern der Wirkstoffe im Körper) ergeben sich für die einzelnen Substanzen unterschiedliche Empfehlungen und Verhaltensmaßregeln / Vorgehensweisen.
TNF-alpha-Blocker
Adalimumab (Humira) : Adalimumab wird als subkutane Injektion (d.h. als Spritze unter die Haut) verabreicht, in der Regel alle 14 Tage, bei einigen Patienten auch wöchentlich. Bei den meisten Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis erfolgt die Behandlung in Kombination mit Methotrexat. In diesem Fall sind die entsprechenden Hinweise für MTX zu beachten (s.o.).
Wenn eine anstehende Humira-Injektion in die Phase einer akuten Magen-Darm-Infektion fällt, sollte sie verschoben werden, bis die akuten Symptome des Infektes abgeklungen sind. Nach Abklingen der akuten Infektionssymptome kann die Therapie dann analog zu dem oben beschriebenen Vorgehen bei MTX nach einem Sicherheitsabstand von einigen Tagen (je nach Lage der Dinge zwischen drei Tagen und 1-2 Wochen) wieder aufgenommen werden.
Je nachdem, um wie viele Tage sich die Injektion dabei verschiebt, gibt es bei einem üblicherweise 14-tägigen Spritzabstand die Möglichkeit, die nächste Injektion dann im normalen Rhythmus weiterzuführen, d.h. die Injektion wird sozusagen nachgeholt und die folgende Injektion dann zum ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt vorgenommen (wobei allerdings zwischen zwei Humira-Spritzen in jedem Fall ein Abstand von 7 Tagen liegen sollte).
Alternativ kann die Therapie so fortgeführt werden, daß die nächste Injektion dann erst nach 14 Tagen erfolgt (d.h. eine Injektion wird ersatzlos weggelassen). Dritte Möglichkeit ist, die zweite Injektion nach dem Infekt auch etwas später durchzuführen und erst bei der dritten Injektion wieder auf den alten Rhythmus überzugehen.
Welche Möglichkeit im Einzelfall bevorzugt werden sollte, hängt insbesondere vom Ansprechen auf die Therapie und die Krankheitsaktivität ab. Bei insgesamt relativ niedriger Krankheitsaktivität wird man die Abstände zwischen den Humira-Injektionen eher strecken können als bei höherer Krankheitsaktivität. Bei wöchentlichen Injektionsintervalle läßt man je nach Dauer des Magen-Darm-Infektes eine oder zwei Humira-Injektionen weg.
Etanercept (Enbrel) : Enbrel wird im Regelfall entweder zweimal pro Woche in einer Dosis von 25 mg oder einmal pro Woche in einer Dosis von 50 mg subkutan als Spritze unter die Haut verabreicht.
Bei einem akuten Infekt liegt der Vorteil der kürzeren Spritzabstände darin, daß die Therapie besser gesteuert werden kann als bei den länger wirksamen Substanzen.
Das Prinzip der Therapiepause und der anschließenden Wiederaufnahme der Therapie ist aber identisch zu dem Vorgehen bei Humira, d.h. die Therapie wird nach Abklingen der Magen-Darm-Symptome und nach einem Sicherheitsabstand von einigen Tagen (je nach Lage der Dinge zwischen drei Tagen und 1-2 Wochen, s.o.) im üblichen Rhythmus wieder begonnen.
Infliximab (Remicade) : Remicade wird als Infusion verabreicht, bei der Dauertherapie einer rheumatoiden Arthritis üblicherweise alle 8 Wochen, z.T. bei unzureichender Wirksamkeit auch alle 4 Wochen. Während eines akuten Infektes werden selbstverständlich keine Remicade-Infusionen vorgenommen. Im Anschluß wird die Therapie dann im üblichen Rhythmus fortgesetzt, wobei sich in Abhängigkeit von der individuellen Situation und der Entscheidung des behandelnden Rheumatologen die Infusionszyklen nach hinten verschieben können.
Bei einer anhaltenden, d.h. einer länger als einige Tage andauernden und damit möglicherweise kompliziert verlaufenden Magen-Darm-Infektion unter einer TNF-alpha-blockierenden Therapie sollte im Zweifelsfall mit dem behandelnden Rheumatologen Kontakt aufgenommen werden.
IL-1-Blocker
Anakinra (Kineret): Der IL-1-Blocker Kineret wird bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis in einer Dosis von 100 mg täglich subkutan als Injektion unter die Haut gespritzt. Bei einer akuten Infektion wird die Therapie unterbrochen, bis der Infekt abgeklungen ist, anschließend kann nach einem Sicherheitsabstand von einigen Tagen (je nach Lage der Dinge zwischen drei Tagen und 1-2 Wochen, s.o.) in Analogie zum Vorgehen bei den TNF-alpha-Blockern die Therapie wieder aufgenommen werden.
B-Zell-gerichtete Therapeutika
Rituximab (MabThera): Rituximab schaltet gezielt eine spezielle Untergruppe von sogenannten B-Zellen aus und beeinträchtigt damit diesen Teil der Infektabwehr. Die Therapie wird als Infusion in sogenannten Kursen durchgeführt, bei denen in der Regel alle 8 Monate zwei Infusionen im Abstand von 14 Tagen verabreicht werden.
Während einer akuten Infektion werden selbstverständlich keine Rituximab-Infusionen durchgeführt. Über entsprechende Sicherheitsabstände zwischen einer Infektion und einer anstehenden Rituximab-Infusion entscheidet der behandelnde Rheumatologe in Abhängigkeit vom Einzelfall.
Kommt es bei einem Rituximab-Patienten zu einer anhaltenden, d.h. einer länger als einige Tage andauernden und damit möglicherweise kompliziert verlaufenden Magen-Darm-Infektion, sollte im Zweifelsfall mit dem behandelnden Rheumatologen Kontakt aufgenommen werden.
Co-Stimulationsblocker
Abatacept (Orencia): Der Co-Stimulationsblocker Abatacept wird bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis in der Erhaltungstherapie gewichtsabhängig in einer Dosis von 500-1.000 mg als intravenöse Infusion alle 4 Wochen verabreicht. Während eines akuten Infektes werden selbstverständlich keine Orencia-Infusionen vorgenommen. Im Anschluß wird die Therapie dann in Analogie zum Vorgehen bei Infliximab im üblichen Rhythmus fortgesetzt, wobei sich in Abhängigkeit von der individuellen Situation und der Entscheidung des behandelnden Rheumatologen die Infusionszyklen nach hinten verschieben können.
Bei einer anhaltenden, d.h. einer länger als einige Tage andauernden und damit möglicherweise kompliziert verlaufenden Magen-Darm-Infektion unter einer Co-Stimulations-blockierenden Therapie mit Orencia sollte im Zweifelsfall mit dem behandelnden Rheumatologen Kontakt aufgenommen werden.
Zusätzliche Informationen und weiterführende Links:
Zahl der Noroviren nimmt zu - Patienten mit geschwächter Immunabwehr besonders gefährdet. rheuma-news vom 16. März 2008
Bildnachweis: Elektronenmikroskopische Darstellung von Noroviren. CDC / wikimedia commons