EULAR Pressekonferenz 27.05.2020
Die Corona- Krise wirkt sich auf Rheumapatienten aus, ein Impfstoff steht auch in absehbarer Zeit noch nicht zur Verfügung, demgegenüber sind derzeitig weitere Lockerungen im Gange. Rheumapatienten sind derzeit sehr verunsichert und benötigen eine eher beruhigende Aufklärung durch ihre behandelnden Rheumatologen.
Der diesjährige EULAR Kongress hätte eigentlich in Deutschland, in Frankfurt stattgefunden, doch durch die aktuelle Situation kann er nun nur als virtueller Kongress durchgeführt werden. Trotz großem Verständnis für die derzeitige Pandemie, die zu dieser Entscheidung gezwungen hat, ist es sehr bedauerlich, denn gerade die persönlichen Gespräche auf den Fluren sind es, die durch den gemeinsamen kollegialen Austausch zu einem interessanten Kongress beitragen. Aber alle Teilnehmer müssen sich nun mit dieser Situation arrangieren.
In Europa gibt es 105 Gesellschaften, die sich mit rheumatischen Erkrankungen befassen, 44 europäische Gesellschaften vertreten wissenschaftliche Mitarbeiter der Rheumatologie, 25 Gesellschaften vertreten Personen aus dem Health-Care Bereich in der Rheumatologie und 36 Gesellschaften vertreten rheumabezogene Patientenorganisationen aus Europa und den Nachbarländern wie Israel und Libanon.
Immunsuppressiva, Schmerzmittel und Entzündungshemmer: COVID 19 und in der Rheumatologie eingesetzte Medikamente – Aktuelle Erkenntnisse – Prof. Dr. med. Gerd Burmester, Berlin
In diesem Jahr ist situationsbedingt das Thema COVID 19 sicherlich ein Highlight des Kongresses. Daneben gibt es aber auch andere Themen, die den Kongress beherrschen, beispielsweise die Therapie mit Opioiden bei degenerativen und entzündlich- rheumatischen Erkrankungen.
Europaweit sind etwa 120 Millionen Menschen an rheumatischen Krankheitsbildern erkrankt. Diese Erkrankungen betreffen nicht ausschließlich die Gelenke, sondern auch Organe und Gefäße. Mindestens 200 unterschiedliche rheumatische Erkrankungen sind bisher bekannt. Hauptsächlich werden rheumatische Erkrankungen in entzündlich rheumatische und degenerative Erkrankungen unterschieden. Zu den degenerativen rheumatischen Erkrankungen gehören die Arthrose und der chronische Rückenschmerz, die entzündlich rheumatischen Erkrankungen betreffen das Immunsystem und sind als Autoimmunerkrankung anzusehen.
Rheumatische Erkrankungen gehören zu den Volkskrankheiten. Die muskuloskelettalen Erkrankungen stehen neben psychischen Erkrankungen in der Häufigkeit an vorderster Stelle aller Erkrankungen und führen zu Problemen auch bei der Teilhabe am Arbeitsplatz.
Die Öffentlichkeit wird durch verschiedenen Kampagnen auf rheumatische Erkrankungen aufmerksam gemacht.
Leitlinien und Empfehlungen werden im gemeinsamen Konsens aller Gremien erstellt.
Es stellt sich die Frage, ob Rheumapatienten in der COVID- Krise besonders gefährdet sind. Eine besondere Gefährdung erfahren Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen, wie der RA – Gelenkrheuma, den Spondylarthritiden, dem gemeinhin bekannten Morbus Bechterew, der Psoriasis Arthritis und den systemischen Autoimmunerkrankungen, wie beispielsweise dem Lupus Erythematodes, sowie entzündlichen Gefäßerkrankungen wie der Riesenzellarteriitis die vornehmlich im höheren Alter auftritt.
Es sind verschiedene Ausprägungsgrade der unterschiedlichen rheumatischen Erkrankungen möglich.
In der Gesamtbevölkerung leiden 2 – 3 % an entzündlich rheumatischen Erkrankungen, die degenerativen Gelenkerkrankungen Arthrose und chronische Wirbelsäulenerkrankungen sind mit 25 % sehr viel mehr vertreten.
Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen sind besonders gefährdet, weil durch die Erkrankung selber das Immunsystem ständig fehlgeleitet ist, ein fehlgeleitetes Immunsystem kann daher Infekte nicht mehr abwehren. Hinzu kommen Medikamente, die das Immunsystem zwar nur modulieren, nicht aber unterdrücken, da die modernen Medikamente nur bestimmte Botenstoffe hemmen und Signalübertragungen beeinflussen.
Prednisolon sollte in Corona- Zeiten möglichst nicht eingesetzt werden, oder wenn unumgänglich nur in Dosierungen unter 10 mg. MTX hat keine immunsuppressiven Komponenten hinsichtlich von Infektionen, Infekte sind unter einer Therapie mit MTX nicht besonders ausgeprägt und werden nur geringfügig häufiger beobachtet, als bei gesunden Personen.
Biologica fangen gezielt Botenstoffe und Zellen ab, JAK- Kinase- Hemmer greifen in die Signalübertragung in den Zellen ein.
Unter einer immunsuppressiven Medikation werden keine vermehrten Infekte gesehen.
Auch bezüglich des Verlaufs von COVID- 19 Erkrankungen unter immunsuppressiven Therapien sind bisher keine Unterschiede zu Personen ohne eine solche Medikation bekannt geworden. Lediglich Prednisolon in der Dosierung oberhalb von 10 mg zeigte sich problematisch in Bezug auf eine COVID 19 Infektion.
Aber es fehlen natürlich noch verlässliche Daten, hier handelt es sich lediglich um erste Beobachtungen.
Die Frage, ob Rheumapatienten durch IL- 1, IL- 6 und TNF- Inhibitoren während einer COVID- 19 Infektion besser geschützt sind bleibt derzeit noch unbeantwortet. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass diese Medikamente eine protektive Wirkung auf schwere Lungenschäden durch COVID 19 haben könnten, aber evidenzbasierte Daten hierzu fehlen natürlich noch.
Es gilt jeweils das persönliche Risikoprofil eines jeden Patienten individuell zu beachten.
Gerade für Rheumapatienten sind Hygienemaßnahmen, Kontakt- und Abstandsregelungen von sehr großer Bedeutung und sollten auch strikt eingehalten werden. Die Sicherheit steht für diese Patienten an vorderster Stelle. Das sollte auch bei Terminen in der Arztpraxis angesprochen werden. Menschenansammlungen müssen konsequent vermieden werden.
Take Home Message:
Patienten mit rheumatischen Erkrankungen werden nicht häufiger an COVID- 19 infiziert, als die Normalbevölkerung, die Therapie beeinflusst den Verlauf nicht schlechter, Komorbiditäten sollten gut eingestellt werden. Ein hoher Stellenwert gilt einer gesunden Lebensführung mit Sport, möglichst im Freien und einer gesunden Ernährung.
Rheuma und COVID 19: EULAR Empfehlungen für die Behandlung von Menschen mit rheumatischen und muskuloskelettalen Erkrankungen (RMDs) – Prof. Dr. med. Hendrik Schulze-Koops, München
Die Frage, wie viele Patienten bisher bereits an COVID- 19 erkrankt sind, ist schwer zu beantworten. Es gibt Berichte hierzu aus Italien, Spanien und aus Amerika. Die Zahl entspricht etwa der Anzahl der ansonsten gesunden Personen, die bereits erkrankt sind. Das Alter der Patienten spielt eine Rolle, daher sind die Verläufe meist etwas schwerer, auch der Prednisolon- Bedarf stellt ein gewisses Risiko dar.
Es wird ein Rheuma- COVID Register geführt, hieraus sind bereits erste Daten vorhanden, die zeigen, dass es kein erhöhtes Risiko für Rheumapatienten gibt, wenn die Hygiene- Kontakt- und Abstandsregelungen strikt beachtet werden. Die bisherigen Daten stammen aus Registern aus Großbritannien, Italien und Spanien, Daten aus den anderen Ländern fehlen noch.
60 % der COVID- 19 erkrankten Rheumapatienten waren weiblich, 40 % männlich, das hängt aber damit zusammen, dass das weibliche Geschlecht ohnenhin häufiger von rheumatischen Erkrankungen betroffen ist, als das männliche. Auch das Alter spielt eine Rolle.
15 % der Patienten hatten eine Psoriasisarthritis, 10 % eine Spondylarthritis, 1/3 der Patienten erhielten Biologica, 2 % JAK- Inhibitoren als antirheumatische Therapie. Die Sequenz der Infekte ist nicht höher, als in der nichterkrankten Bevölkerung. Auch die Symptome sind vergleichbar zwischen beiden Gruppen. In der Normalbevölkerung 49 % haben Husten und 45 % Fieber, bei den Rheumatikern sind es 60 % der Patienten, die Husten haben und 40 % mit Fieber.
Die EULAR gibt Behandlungsempfehlungen für ein COVID- 19 Behandlungskonzept heraus, diese Empfehlungen wurden gestern, am 26.05.2020 publiziert und sind somit brandaktuell. Die Empfehlungen beinhalten bestmögliche Strategien für Patienten mit rheumatischen Erkrankungen mit einer COVID- 19- Infektion, die seit Beginn der Pandemie erarbeitet wurden.
Als wichtigste Maßnahme gelten die Kontakt- Abstands- und Hygienemaßnahmen. Gerade rheumakranke Personen müssen möglichst den Kontakt zu vermeintlich COVID- 19 Infizierten vermeiden. Auf gar keinen Fall sollten Rheumapatienten aus Angst vor einer COVID- 19- Infektion ihre Medikamente prophylaktisch absetzen. Denn es ist nicht sicher, ob die Rheumamedikamente nicht sogar einen gewissen Schutz vor schweren Lungenerkrankungen darstellen.
Eine Prednisolon- Dauertherapie sollte die Dosierung von mehr als 5 mg nicht überschreiten, bei verdächtigen COVID- 19 Symptomen sollten Rheumatologe, Virologe und Pneumologe gemeinsam besprechen, ob die Rheumamedikamente abgesetzt werden sollten.
Es gilt die evidenzfreie Empfehlung, Version von April 2020, weitere Daten und neue Empfehlungen werden folgen.
Die aktuellen EULAR Empfehlungen werden in den nächsten Tagen auf der EULAR- Homepage verlinkt.
Fazit:
Medikamenten sollten nicht abgesetzt werden, wenn keine schwere COVID- 19 Erkrankung vorliegt, eine Rücksprache mit dem Rheumatologen wird gefordert. Rheumapatienten sind nicht von vorne herein Hochrisikopatienten.
In geschlossenen Räumen ist die Infektionsrate um das 19-fache erhöht. „Rheumapatienten sollten sich in Watte packen und auf die Spitze eines Turmes stellen“- das kann keine gute Empfehlung sein! Vielmehr sollten auch diese Pateinten am normalen Leben teilhaben können, unter den allgemein empfohlenen Hygiene-, Abstands- und Kontaktmaßnahmen. Der Aufenthalt im Freien ist weniger gefährlich, als in geschlossenen Räumen. Der Besuch eines Restaurants oder eines Gottesdienstes sollte nach den aktuellen Vorkommnissen in Hessen und Niedersachsen von Rheumapatienten ganz besonders bedacht werden.
Ganz wichtig ist es, Rheumapatienten zu beruhigen, da diese sich ohnehin aktuell Sorgen machen, die nicht zusätzlich noch verstärkt werden müssen!
Rheuma und COVID-19: Was Patienten verunsichert – Antworten auf wichtige Fragen – Dieter Wiek, Deutsche Rheuma-Liga Bonn
Die Patienten sind verängstigt, 40 % aller Rheumapatienten werden mit MTX oder Biologica behandelt. Die Anzahl der Arztbesuche ist seit der COVID- 19 Pandemie deutlich zurückgegangen, das kann unter Umständen gefährlich werden!
Bereits vorhandene Komorbiditäten wie ein erhöhter Blutdruck, internistische Vorerkrankungen, Adipositas und andere spielen eine große Rolle in Bezug auf COVID 19. Auch Impfungen sind bei den Patienten ein Thema. Hier muss derzeit viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Hinzu kommt, dass es nahezu täglich neue Informationen gibt, hier sind Updates der Mediziner wünschenswert. Entsprechendes Infomaterial kann auf den Webseiten der Fachgesellschaften abgerufen werden, auch auf der EULAR Internetseite findet man ein Video mit über 15.000 Klicks, das überwiegend von jungen Menschen und Asiaten angeklickt wurde.
Die Impf- Lage ist ebenfalls Thema bei den Rheumapatienten, sie ist Bestandteil der EULAR und der DGRh.
Empfohlen wird die jährliche Impfung gegen Influenza. Die Grippe war mit dem „Lock-down“ sofort verschwunden. Rheumapatienten sollten unbedingt auch gegen Pneumokokken geimpft sein, diese Impfung ist wichtig, auch die Keuchhustenimpfung ist ernst zu nehmen.
Begleiterkrankungen sind entscheidend für den COVID- 19 Verlauf. Rheumapatienten sind einigermaßen geschützt, wenn sie die empfohlenen Regeln einhalten.
Ereignisse wie Gottesdienste in Hessen und Restaurantbesuche wie in Leer haben uns gezeigt, wie schnell Infektionen aufflammen können. Vorkehrungen sind sehr wichtig, ebenso wie der gegenseitige Schutz.
Rheumapatienten sind sehr anpassungsfähig, sie gehen schon von selber frühmorgens einkaufen und begeben sich nicht zu Stoßzeiten in die Menschenmenge.
Auch der ÖPV ist ein Thema für Rheumapatienten, öffentliche Verkehrsmittel sollten in nicht so frequentierten Zeiten benutzt werden, die Qualität der benutzten Masken (FFP-2-, FFP-3-, Vliess- oder Stoffmasken) ist mit dem Arzt zu besprechen.
Die Gefahr einer Ansteckung im ÖPV ist derzeit zwar sinkend, aber immer noch vorhanden!
Trotzdem ist keine Notwendigkeit vorhanden, dass Rheumapatienten sich anders verhalten als es der gesunden Bevölkerung empfohlen wird.
Optimismus ist gefragt, es gilt positiv auf die Patienten einzuwirken, und den Patienten die Angst zu nehmen, und nicht den vorhandenen Pessimismus noch zu verstärken, denn die Patienten sind derzeit ohnehin sehr verunsichert.
Take Home Message:
Wichtig ist die Zusammenarbeit von Patienten- Organisationen und wissenschaftlichen Organisationen, hier besteht noch Nachholbedarf, ebenso wie ein Appell der Ermunterung zur Zusammenarbeit. Die Kommunikation mit den Patienten muss für sie verständlich bleiben.
Opioide bei Arthroseschmerzen auch in Europa auf dem Vormarsch? Aktuelle Studienlage und Lösungsansätze – Prof. Dr. med. Ulf Müller- Ladner, Bad Nauheim
Der stark angestiegene Verbrauch von Opioiden ist ein großes Anliegen des Kongresses. Wann gibt man Opioide? Derzeit werden mehr Patienten beim Arzt vorstellig mit mehr Problemen anderer Art, beispielsweise mit Schmerzen. Zwar gilt die Regel, dass kein Patient Schmerzen erleiden muss die behandelbar sind, aber Opioide lösen die Probleme nicht! Derzeit werden diese Medikamente verstärkt bei Patienten mit Gelenkbeschwerden eingesetzt, diese Entwicklung zeichnet sich deutlich ab, hat aber nicht nur Vorteile. Opioide sind nicht teuer, und werden schneller verschrieben, haben aber ein hohes Nebenwirkungsspektrum. Die Verschreibungsrate ist arztabhängig. Die Patienten gewöhnen sich schnell an diese Substanzen, sie werden zwar nicht abhängig, aber es ist schwer, diese Medikamente wieder abzusetzen. Empfehlungen und Leitlinien regeln die Verordnung, bisher haben sich die Orthopäden darum gekümmert, der Einsatz erfolgte vorwiegend bei Krankheitsbildern wie der Gon- oder Coxarthrose. Hier sollten nur kurzfristig, beispielsweise bis zur OP schwache Opioide eingesetzt werden.
Unerwünschte Nebenwirkungen haben deutlich zugenommen bei dieser Substanzlasse. Sogar Todesfälle treten durch zu hohe Dosierungen auf. Der Einsatz wird nicht empfohlen, da andere Schmerztherapien zur Verfügung stehen und sinnvoller sind. Auch die Physiotherapie kann Wertvolles leisten und sollte bei Schmerzpatienten eingesetzt werden.
Nebenwirkungen von Opioiden sind unter anderem Schwindel mit Stürzen, die in Folge auftreten, nicht selten sogar mit Todesfolge.
Bei älteren Menschen sollten diese Medikamente daher sehr zurückhaltend eingesetzt werden, es sind andere potente Medikamente vorhanden. Es gilt die warnende Hand oder der erhobenen Zeigefinger, dass der Einsatz dieser Medikamente reduziert werden muss.
Es besteht ein bekannter Meinungskonflikt zwischen Schmerztherapeuten und Rheumatologen, das ist nicht neu! Trotzdem sollten, soweit verfügbar andere Medikamente eingesetzt werden. Auf ein Rezeptblatt ist schnell etwas drauf geschrieben, die Konsequenzen sind oft viel weitreichender!
Für kurzzeitige Schmerztherapien sollten keine Opioide eingesetzt werden.
Gibt es eine „Opioid- Krise“ bei rheumatischen Schmerzen in Europa? Hier sollten die Leitlinien beachtet und angewendet werden. Die Leitlinien sind in Zusammenarbeit von vielen Therapeuten unterschiedlicher Fachdisziplinen erstellt worden. Der Begriff „Krise“ scheint derzeit ein Schlagwort zu sein.
Take Home Message:
Ja, das Ziel sollte die Schmerzfreiheit sein, aber erst nach Überprüfung, welches Medikament wie lange gegeben werden sollte.