Therapie mit Enbrel frühe Schwangerschaft: Wie verfahren? Therapie abbrechen? Fortführen? Alternativen?
Ich habe einen Schwangerschaftstest durchgeführt mit positivem Ergebnis. Es handelt sich um eine frühe Schwangerschaft (2-te bis 3-te Woche). Daher habe ich eine Frage: kann ich Enbrel weiterhin nehmen, muß ich die Therapie abbrechen oder kommt eine Ersatztherapie in Frage? Gibt es ein Rheumamittel für Schwangere, wenn ja, welches? Wie groß ist das Risiko einer Fehlgeburt oder Missbildung des Kindes?
Eine ähnliche Frage habe ich vor gut einem Jahr (am 28.09.2003) schon einmal beantwortet. In der Zwischenzeit gibt es keine wesentlichen neuen Erkenntnisse, die über die Darstellung von damals hinausgehen. Deshalb füge ich den Text im folgenden noch einmal an.
Allerdings weiß man gegenüber dem letzten Jahr von insgesamt wohl etwa 50 Schwangerschaften, die unter einer Therapie mit Enbrel eingetreten sind und bei denen es keine Probleme gegeben hat. Ich kenne diese Angabe von Kongressen, wo dies mündlich mitgeteilt wurde. Da es dazu aber nichts Schriftliches gibt, was man nachlesen kann und wo genauere Einzelheiten zu diesen Schwangerschaften und ihrem Ausgang zu finden sind, gilt diese grundsätzlich sehr positive Nachricht nur mit Vorbehalt.
Allgemein wird (wohl in erster Linie aus Produkthaftungs- und ähnlichen juristischen Gründen) empfohlen, zwischen einer Enbrel-Therapie und einer geplanten Schwangerschaft ein zeitliches Intervall von 3-6 Monaten vorzusehen. Da die Halbwertszeit von Enbrel allerdings sehr kurz ist, gibt es aus meiner Sicht für diese Empfehlung keinen medizinisch belegbaren Grund.
Im Einzelfall kann deshalb die Beratungssituation bei einer geplanten Schwangerschaft auch anders aussehen. Dies hängt aber wirklich absolut vom individuellen Einzelfall, insbesondere der Krankheitsaktivität, der funktionellen Kapazität, der Begleittherapie und auch von anderen Faktoren wie Lebenalter, familiärer Situation und sonstigen Aspekten der persönlichen Lebenssituation ab.
Grundsätzlich gilt bei einer eingetretenen Schwangerschaft unter einer Therapie mit Enbrel, daß man die Therapie unterbrechen sollte. Ob man das Kind austragen möchte oder sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließt, ist eine Entscheidung, die man sehr intensiv mit dem behandelnden Arzt besprechen sollte. Aus der Ferne ist dazu keine Empfehlung möglich.
Nach den bislang vorliegenden, allerdings nicht sehr umfangreichen Erfahrungen mit Schwangerschaften, die unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern eingetreten sind, besteht für mich kein absolut zwingender Grund, eine Schwangerschaft in jedem Fall abzubrechen. Dies ist aber eine medizinische und ärztliche und keine juristisch gesicherte Aussage. Juristisch muß man, auch aus Haftungsgründen, die Schwangere darauf hinweisen, daß man als Arzt keine Garantie dafür übernehmen kann, daß die Schwangerschaft unproblematisch verläuft und es auch hinsichtlich des ungeborenen Kindes keine Probleme gibt. Allerdings kann man das auch bei anderen Schwangerschaften nicht garantieren.
Wenn Enbrel abgesetzt wurde, kann es im günstigsten Fall dazu kommen, daß die Wirkung während der nachfolgenden Schwangerschaft anhält bzw. die Krankheitsaktivität niedrig bleibt. Wir wissen von vielen Patientinnen mit einer rheumatoiden Arthritis / chronischen Polyarthritis, daß es ihnen während der Schwangerschaft oft recht gut geht und sie ohne Medikamente zurecht kommen.
Wenn dies nicht so ist, können in den ersten Monaten niedrige Mengen Cortison gegeben werden. Cortison in niedrigerer Dosierung, d.h. bis 10 mg Prednisolon pro Tag, galt bis vor kurzem als weitgehend unproblematisch im Hinblick auf den Verlauf der Schwangerschaft und hinsichtlich des ungeborenen Kindes. Aufpassen muß man auf den Blutzuckerspiegel, der sich bei Schwangeren auch ohne Cortison schon einmal verändern kann („Schwangerschafts-Diabetes“ = Zucker während der Schwangerschaft; wer dazu neigt, kann mit Cortison eher darunter leiden). Neuerdings wird für Cortison ein leicht erhöhtes Risiko für Spaltenbildungen diskutiert (Lippen-, Kiefer- oder Gaumenspalten).
Relativ unproblematisch sind auch cortisonfreie Entzündungshemmer. Allerdings müssen diese in den letzten Wochen der Schwangerschaft abgesetzt werden, da sie eine Auswirkungen auf die sogenannten Thrombozytenaggregation und damit auf die Blutgerinnung haben. Unter einer solchen Therapie könnte es damit unter der Geburt zu erhöhten Blutungsproblemen kommen. Außerdem muß sich nach der Geburt beim Säugling der Umgehungskreislauf für die Lunge umstellen. Dazu ist der Verschluß einer Gefäßverbindung nötig („ductus arteriosus Botalli“). Wenn man cortisonfreie Entzündungshemmer einnimmt, kann es passieren, daß sich dieses Gefäß nicht oder nicht ausreichend verschließt. Deshalb dürfen auch aus diesem Grund in den letzten 4 Wochen der Schwangerschaft keine cortisonfreien Entzündungshemmer (dazu zählt speziell im übrigen auch Acetylsalicylsäure = ASS, d.h. der in Aspirin enthaltene Wirkstoff).
Nun die Antwort vom 28. September 2003:
Zur Frage einer Schwangerschaft unter TNF-alpha-Blockern liegen derzeit nur sehr begrenzte Erfahrungen vor. Aus Gründen der Produkthaftung und wegen fehlender Erfahrungen gehen die Anweisungen und Aussagen der pharmazeutischen Hersteller gegenwärtig dahin, dass eine Schwangerschaft unter der Therapie mit TNF-alpha-Blockern nicht erfolgen sollte. Dies gilt in Ihrem speziellen Fall auch für eine Behandlung mit Etanercept (Enbrel).
In rheuma-online haben wir zu diesem Thema in den rheuma-news vom 25 April 2003 eine US-amerikanische Studie referiert (http://rheuma-online.de/news/82.html):
Langwirksame Antirheumatika und Schwangerschaft
Ein aktueller Report in der Februarausgabe des angesehenen Journal of Rheumatology fasst die bislang umfangreichsten Erfahrungen zu einer Schwangerschaft unter einer langwirksamen antirheumatischen Therapie der rheumatoiden Arthritis mit Methotrexat (z.B. Lantarel) zusammen und beinhaltet außerdem erste Daten zu Schwangerschaften unter Leflunomid (Arava), Etanercept (Enbrel) und Infliximab (Remicade).
Dr Eliza F Chakravarty und seine Mitarbeiter von der Stanford Universität in Kalifornien befragten US-amerikanische Rheumatologen zu Ihrer Auffassung und ihren Erfahrungen sowie ihren Empfehlungen bezüglich einer Schwangerschaft unter Methotrexat, Leflunomid, Etanercept und Infliximab.
Übereinstimmend wurde das bekannte erhöhte Risiko für kindliche Missbildungen von Müttern bestätigt, die während der Empfängnis und in der frühen Schwangerschaftsphase mit Methotrexat behandelt worden waren.
Erstaunlicherweise wurden keine erhöhten Mißbildungsraten in einer vergleichbaren Situation für Kinder berichtet, deren Mütter mit Leflunomid, Etanercept oder Infliximab behandelt worden waren. Allerdings war die Zahl der Schwangerschaften sehr gering, so dass derzeit nur sehr vorsichtige und vorläufige Aussagen aus dieser Studie möglich sind. Speziell für Leflunomid bedeuten diese Daten nicht, dass Leflunomid im Hinblick auf eine Schwangerschaft eine sichere Substanz sei. Im Gegenteil gilt selbstverständlich unverändert, dass es unter Leflunomid auf keinen Fall zu einer Schwangerschaft kommen darf, da aus Tierexperimenten eine Teratogenität von Leflunomid (Mißbildungen beim ungeborenen Kind) sicher belegt ist.
In der Befragung wurden die Rheumatologen nach ihrer Auffassung zu dem Risiko einer langwirksamen antirheumatischen Therapie für das ungeborene Kind befragt, außerdem ihren Empfehlungen hinsichtlich der Schwangerschaftsverhütung unter einer LWAR-Therapie und nach dem Ausgang der Schwangerschaft, wenn Frauen unter einer langwirksamen antirheumatischen Therapie schwanger geworden waren. Insgesamt wurden diese Fragebögen an 600 Mitglieder des American College of Rheumatology (ACR), der wissenschaftlichen Fachgesellschaft der US-amerikanischen Rheumatologen, versandt. Eine Rückantwort erfolgte von 175 Rheumatologen (29%).
Die überwiegende Mehrzahl der Rheumatologen stimmte darin überein, dass für Methotrexat und Leflunomid eine Teratogenität besteht, d.h. das Risiko von kindlichen Missbildungen in der Folge einer Therapie mit diesen Medikamenten während der frühen Schwangerschaft. Weniger sicher waren sich die Experten in der Frage des entsprechenden Risikos für die TNF-Blocker Etanercept und Infliximab. Allerdings wurde in der Regel auch unter einer solchen Therapie den Frauen im gebärfähigen Alter eine sichere Empfängnisverhütung empfohlen.
Unter den genannten langwirksamen antirheumatischen bzw. krankheitskontrollierenden Therapien kam es im Erfahrungsumfeld der befragten Rheumatologen insgesamt zu 65 Schwangerschaften. Soweit die Daten vorhanden waren, wurden zu diesen Schwangerschaften folgende Informationen abgefragt: Zeitpunkt der Entbindung (zum Termin oder vorzeitige Geburt), Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation, spontaner Abort (Fehlgeburt), kindliche Missbildungen sowie sonstige Schwangerschaftskomplikationen.
TNF-Blocker und Schwangerschaft
Die TNF-alpha-Blocker werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Hinblick auf das Risiko für eine Schwangerschaft von der FDA in die Klasse B eingestuft. Dies bedeutet, dass es aus Tierexperimenten keine Hinweise auf eine Schädigung für das Kind im Mutterleib oder für ein Missbildungsrisiko gibt, aber andererseits ausreichende Daten von Schwangerschaften beim Menschen nicht vorliegen.
Aus der bisherigen Literatur sind keine Schwangerschaftsverläufe unter einer Therapie mit Etanercept (Enbrel) bekannt; für Infliximab (Remicade) lag bislang ein Abstract vor. Darin wird über 50 Schwangerschaften unter Infliximab berichtet. Bei 2 Geburten kam es zu Komplikationen; in einem Fall zu einer Frühgeburt in der 23. Woche; bei dem zweiten Kind bestand eine schwere Herzmissbildung (Fallot´sche Tetralogie). Insgesamt gab es aber im Vergleich zu einer nationalen Kohorte von gesunden Frauen keine Abweichungen.
Bei der vorliegenden Umfrage waren die US-amerikanischen Rheumatologen wegen der nur spärlichen Datenlage in der Beurteilung des Schwangerschaftsrisikos unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern relativ unsicher. Etwa die Hälfte der Befragten konnten keine definitive Antwort geben, ob unter der Therapie mit TNF-alpha-Blockern eine Schwangerschaft kontraindiziert sei oder nicht. Deshalb empfahl etwas mehr als ein Drittel (im Fall von Enbrel) bis knapp die Hälfte (im Fall von Infliximab) der Rheumatologen ihren Patientinnen auch unter dieser Therapie eine sichere Schwangerschaftsverhütung (Etanercept: 38,6%; Infliximab: 46,5%)
In der Befragung wurden 15 Schwangerschaften unter Etanercept und 2 Schwangerschaften unter Infliximab berichtet. Bei 6 Schwangerschaften unter einer Monotherapie mit Etanercept (d.h. ohne Kombination mit Methotrexat) war zum Zeitpunkt der Befragung der Ausgang bekannt. In allen Fällen kam es zur Geburt gesunder Kinder, die auch jeweils zum Termin geboren wurden. Bei den 2 unter Infliximab eingetretenen Schwangerschaften kam es in einem Fall zum Termin zur Geburt eines gesunden Kindes, in dem anderen Fall ist der Ausgang der Schwangerschaft nicht bekannt.