Hochaktiver M. Bechterew – ist eine Therapie mit Enbrel statt mit Remicade möglich?
Die genauen Blutwerte habe ich leider nicht zur Hand, ich weiß nur, daß ich eine sehr hohe Blutsenkung habe und auch die Krankheit (M. Bechterew) zur Zeit sehr aktiv ist. Meine Schwerbehinderung beträgt derzeit 70 GdB mit dem Kennzeichen "G", da die Hüftgelenke auch davon befallen sind. Jetzt zu meiner Frage: Da ich beruflich sehr "eingespannt" bin und kaum Zeit habe, mich in einer Ambulanz den ganzen Vormittag an den Tropf legen zu lassen (welcher Arbeitgeber macht da auf die Dauer schon mit ?), oder an Studien teilzunehmen, wo ich eventuell nur Placebos bekomme, würde ich gerne das Enbrel zum Selberspritzen verwenden. Natürlich nach genauer Vorschrift meines Arztes. Die Behandlung von Infliximab wurde mir Anfang 2001 in der rheumatologischen Poliklinik angeboten (die Termine standen schon fest!), diese habe ich damals aber aus Zeitgründen abgelehnt (Arbeit) und weil ich zu große Angst davor hatte (damals weltweit 212 Tote durch Infektionen !). Als die Schmerzen Anfang 2002 immer unerträglicher wurden (jetzt auch in den Schultergelenken !), suchte ich nochmals die Poliklink auf. Da wurde mir dann "nur" noch eine Teilnahme an einer Studie angeboten. Ist es daher in meiner Situation möglich, den Wirkstoff "Enbrel" zu erhalten ?
Grundsätzlich ist die Therapie mit den in Deutschland zugelassenen TNF-alpha-Blockern Infliximab (Remicade) und Etanercept (Enbrel) vergleichsweise sicher, wenn die Behandlung von Ärzten / in Zentren durchgeführt wird, die auf diese Behandlungsform spezialisiert sind und sich entsprechend damit auskennen. Die genannten Todesfälle in der Folge von Infektionen waren in einer größeren Zahl von Patienten zu beklagen, bei denen die TNF-alpha-Blocker außerhalb der Zulassung, u.a. bei Transplantatabstoßungen nach Knochenmarkstransplantationen, und damit bei schwerstkranken Patienten in ohnehin verzweifelten Lagen eingesetzt wurden.
Infektionen dürfen bei der Therapie mit TNF-alpha-Blockern nicht unterschätzt werden. Nichtsdestotrotz sind bei der Anwendung in der Rheumatologie schwere, lebensbedrohliche Infektionen bei der Therapie mit diesen Substanzen selten. Ein bekanntes Risiko ist speziell bei der Therapie mit den TNF-Antikörpern (Infliximab = Remicade, Adalimumab = Humira, in Deutschland gegenwärtig noch nicht zugelassen) das erhöhte Tuberkulose-Risiko. Nachdem aber heute entsprechende Voruntersuchungen und Kontrollen erfolgen, ist auch dieses Risiko heute weitgehend reduziert worden. Bei Etanercept (Enbrel) handelt es sich um einen löslichen TNF-alpha-Rezeptor und damit um ein anderes Wirkprinzip. Dadurch erklärt sich vermutlich das deutlich geringere Tuberkulose-Risiko unter einer Therapie mit Enbrel.
Für die Therapie des M. Bechterew liegen aus klinischen Studien die umfangreichsten Erfahrungen mit der TNF-alpha-Blocker-Therapie derzeit für Infliximab (Remicade) vor. Positive Ergebnisse zeigen die klinischen Studien auch für Etanercept (Enbrel).
In Deutschland ist allerdings nur Infliximab für die Therapie des M. Bechterew offiziell zugelassen. Wenn keine Gegenanzeigen gegen diese Therapie bestehen, sind die gesetzlichen Krankenkassen deshalb nicht verpflichtet, bei einem Bechterew-Patienten die Kosten für einen anderen TNF-alpha-Blocker wie Etanercept (Enbrel) zu übernehmen. Die Situation stellt sich etwas anders dar, wenn Infliximab nicht vertragen wird oder andere (medizinische) Gründe gegen die Anwendung von Infliximab sprechen (sogenannte Kontraindikationen). In einem solchen Fall könnte unter Umständen auch bei Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem sehr gut zu begründenden Einzelfall eine Kostenübernahme auch für Enbrel bei der Therapie des M. Bechterew möglich sein. Wesentliche Grundlage dazu sind klinische Studien aus den USA, die die Wirksamkeit von Enbrel bei der Therapie des M. Bechterew belegen. Außerdem ist in der USA die Zulassung von Enbrel für die Therapie des M. Bechterew beantragt, so dass damit wesentliche Voraussetzungen für einen „off-label-use“ nach den Vorgaben des aktuellen Urteils des Bundessozialgerichts vorliegen.
Eine kurze abschließende Bemerkung zum Zeitaufwand im Zusammenhang mit einer Infliximab-Therapie: Angesichts der Schwere der Erkrankung und der möglichen Folgen einer unzureichenden Therapie und einer unzureichenden Krankheitskontrolle sei (die vielleicht unfaire, vielleicht aber auch legitime) Frage gestattet, ob es einem Patienten mit einem hochaktiven M. Bechterew, für den wenig andere therapeutische Alternativen bestehen, angesichts der zu erwartenden Wirksamkeit nicht vielleicht doch zuzumuten ist, sich alle 8 Wochen einer Infusionsbehandlung zu unterziehen, die – ein optimales Management vorausgesetzt– etwas mehr als einen halben Vormittag (oder Nachmittag) kostet. Dies sind aber Gesichtspunkte, die aus der Ferne und ohne genaue Kenntnis der individuellen Situation und Verhältnisse nicht zu beurteilen sind.