Erhöhtes Krebsrisiko unter einer Therapie mit Remicade und Brustkrebs in der Vorgeschichte?
Ich bin 1990 erstmalig an Brustkrebs erkrankt, die linke Brust wurde entfernt, 1996 wurde die rechte Brust entfernt und eine Chemotherapie durchgeführt.
Meine 2 Schwestern sind ebenfalls an Brustkrebs erkrankt, wir wurden als Gen-Träger getestet. Meine Hormonrezeptoren sind negativ.
Frage: Bedeutet Remicade für mich ein Krebsrisiko?
Mein behandelnder Arzt ist sich nicht sicher.
Gibt es Erfahrungen für dieses Problem?
Mittlerweile liegen für die Therapie mit TNF-alpha-Blockern wie Etanercept (Enbrel), Infliximab (Remicade) und Adalimumab (Humira) umfangreiche Daten aus einer Reihe von klinischen Studien vor, inzwischen auch aus längeren Beobachtungszeiträumen über 5 und mehr Jahre. Insgesamt läßt sich aus diesen Studien unzweifelhaft ableiten, daß der Nutzen der TNF-Blocker bei der Behandlung von schweren entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wie bei der Therapie einer rheumatoiden Arthritis / chronischen Polyarthritis die möglichen Risiken einer solchen Behandlung bei weitem überwiegt.
Speziell zum Krebsrisiko gibt die Auswertung aller Daten keinen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko, in der Folge einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern an einem bösartigen Tumor zu erkranken. Dies gilt auch für die Anwendung über längere Zeiträume.
Am 28 Mai 2003 hat das Beratungsgremium der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) dazu eine sehr wichtige Stellungnahme abgegeben. Wir haben darüber bereits im TNF-Ticker des TNF-alpha-Informationszentrums berichtet. Ich wiederhole den entsprechenden Text, da ich ihn im Zusammenhang mit Ihrer Frage für sehr bedeutsam halte:
(28 Mai 2003) Das Arthritis Advisory Commitee der FDA hat nach einer umfangreichen Analyse und Bewertung aller Daten aus den klinischen Studien zu Etanercept, Infliximab und Adalimumab sowie aus den Überwachungsprogrammen nach Markteinführung von Etanercept und Infliximab sowie von Patientenregistern in seiner Sitzung am 4. März 2003 in Silver Spring, Madison, empfohlen, dass in den Beipackzetteln der betroffenen Medikamente kein zusätzlicher Warnhinweis notwendig ist, dass bei Patienten mit rheumatoider Arthritis unter einer Therapie mit TNF-alpha-Inhibitoren ein erhöhtes Risiko für Lymphome oder andere Tumoren besteht. Das Committee war zusammengekommen, um ein Update der Sicherheitsempfehlungen zur Therapie mit den in den USA zugelassenen TNF-alpha-Blockern vorzunehmen (in den USA für die Therapie der RA zugelassene TNF-Inhibitoren: Infliximab (Remicade®, Centocor), Etanercept (Enbrel®, Amgen), and Adalimumab (HumiraTM, Abbott).
Der amtierende Vorsitzende des Committees, Dr Steven D Abramson vom Hospital For Joint Diseases in New York führte dazu aus, dass die von den Analysten des FDA präsentierten Daten und die Präsentationen von allen drei Herstellerfirmen, die gegenwärtig in den USA TNF-alpha-Inhibitoren auf den Markt bringen, zeigten, daß unter diesen Substanzen das Risiko für Krebserkrankungen nicht über dasjenige Maß hinaus erhöht ist, das man ohnehin für die rheumatoide Arthritis kennt. Danach ist das Riskio für Lymphome bei Patienten mit rheumatoider Arthritis doppelt so hoch wie für die Allgemeinbevölkerung.
Allerdings wies das Committee darauf hin, daß das Lymphomrisiko unter einer TNF-alpha-Therapie auf der Grundlage der vorliegenden Daten noch nicht abschließend bewertet werden könne und dass weitere Daten speziell für diese Fragestellung erhoben werden müssen.
Das Thema Lymphomrisiko war in den Focus der FDA geraten, da in den Überwachungsprogrammen nach Markteinführung der TNF-alpha-Blocker einige Fälle von Lymphomen gemeldet worden waren.
Das aktuelle Hearing berücksichtigte die Daten aller klinischen Studien von allen drei Herstellerfirmen (Doppelblind-Studien und offene Anschlussstudien), dem Berichterstattungssystem des MedWatch-Systems für die Erfassung von Arzneimittelnebenwirkungen und den umfassenden Überwachungsprogrammen der Hersteller zur Arzneimittelsicherheit, die von der FDA nach der Markteinführung für die TNF-alpha-Blocker vorgeschrieben worden waren.
Insgesamt umfasste das Datenmaterial Informationen aus mehr als 10.000 Patienten, von denen einige schon länger als 6 Jahre durchgehend mit TNF-alpha-Inhibitoren behandelt wurden.
Außer Lymphomen traten unter der Therapie mit TNF-alpha-Inhibitoren im Vergleich zur Normalbevölkerung keine anderen bösartigen Erkrankungen gehäuft auf.
Die Häufigkeit von Lymphomen war etwa so hoch wie bei anderen Patienten mit rheumatoider Arthritis, die nicht mit TNF-alpha-Inhibitoren behandelt worden waren.
Der beratende Krebsspezialist des Committees, Dr Douglas W Blayney vom Lewis Family Cancer Center in Pomona (Kalifornien) kommentierte dazu als erstaunlichsten Befund, daß die typischen Tumoren, die man unter einer Immunsuppression sieht, eben nicht beobachtet wurden, z.B. den follikulären Typ des Hodgkin-Lymphoms, Kaposi-Sarkome oder maligne Melanome. Dr. Blayney: “Wir sehen Lymphome, die dem Hintergrund-Level der Lymphome entsprechen, wie man es bei der RA sieht.“ ("I am most struck by what we don't see in these cases. We don't see follicular lymphomas or Hodgkin's disease. We don't see Kaposi's sarcoma or an excess of melanomas. We see lymphomas that seem to reflect the background level of lymphomas seen in RA.")
Quelle:
Food and Drug Administration, Center for Drug Evaluation and Research, Arthritis Advisory Committee. Safety update on TNF-alpha blocking agents. March 4, 2003 (http://www.fda.gov/cder/)
Extrem schwierig zu beantworten ist die Frage, ob bei einer Patientin mit einem bösartigen Tumor in der Vorgeschichte ein erhöhtes Risiko für ein Rezidiv, d.h. eine Wiederkehr eines solchen Tumors, oder für Tochtergeschwülste (Metastasen), auch für Spätmetastasen, besteht. Dazu gibt es derzeit extrem wenige Informationen und noch weniger verlässliche Daten.
Gegenwärtig beraten wir Ärzte oder Patienten mit entsprechenden Anfragen – in einer gemeinsam abgestimmten Empfehlung unseres wissenschaftlichen Beirates – dahingehend, daß ein erfolgreich behandelter, d.h. kurativ therapierter bösartiger Tumor in der Vorgeschichte nicht grundsätzlich eine Gegenanzeige (eine Kontraindikation) für die Therapie mit einem TNF-alpha-blockierenden Medikament ist.
Allerdings sollte die Indikation für eine solche Therapie bei diesen Patienten besonders sorgfältig überprüft und sehr eng gestellt werden. Außerdem sollten diese Patienten besonders sorgfältig überwacht werden, ggf. auch in enger Kooperation mit einem Onkologen (Krebsspezialisten).