Enbrel und Operationen
Ich habe eine sehr aggressive Form einer chronischen Polyarthritis, die sich nur sehr schwer unterdrücken läßt, und ich muß deshalb alle 2 Tage Enbrel spritzen. Nun steht eine Operation an.
Wann kann postoperativ mit der Therapie wieder begonnen werden? Ich habe jetzt Informationen von 2 bis 6 Wochen. Abgesetzt habe ich Enbrel 10 Tage vor der Op.
Dazu Forumbeitrag von Wolke: OP und Enbrel
Diese Frage ist wichtig und wird auch öfters gestellt. Zuletzt habe ich auf eine ähnliche Anfrage eine Antwort am 18.02.2005 gegeben (Therapie mit Enbrel und geplante Operationen: Was ist zu beachten?). Gegenüber diesem Zeitpunkt hat es keine wesentlichen neuen Erkenntnisse gegeben, so daß ich den Text im folgenden zitiere.
Zusätzlich möchte ich ergänzend auf Ihr spezielles Problem einer sehr aggressiven und offensichtlich hochaktiven Verlaufsform der rheumatoiden Arthritis (RA, chronischen Polyarthritis) eingehen, bei der die Therapie mit Enbrel sogar alle 2 Tage erfolgen muß.
Hier kann ich von einer meiner Patientinnen, bei der in einer vergleichbaren Situation eine Kniegelenksoperation (totale Endoprothese, „künstliches Kniegelenk“) notwendig wurde und bei der die Therapie mit Enbrel deshalb unterbrochen wurde, über eine sehr unangenehme Erfahrung berichten. Da der Operateur besonders vorsichtig sein wollte, kam es zu einer vergleichsweise langen Therapiepause mit Enbrel (wenn ich es aus dem Kopf richtig erinnere, wurde Enbrel 2 oder 3 Wochen vor der Operation abgesetzt und trotz vollkommen unkompliziertem postoperativem Verlauf erst 4 Wochen nach der Operation wieder begonnen. Durch diese Therapiepause kam es zu einer schweren Schubsituation der RA, die auch durch die dann wiederbegonnene Enbrel-Therapie nur sehr zögerlich und mühsam überwunden werden konnte. Insgesamt war erst nach einem Zeitraum von etwa 6 Monaten der (gute) Zustand erreicht, der vor der Operation bestanden hatte. Um diesen Verlauf ganz richtig einschätzen zu können, muß man dazu aber die zusätzliche Information geben, daß es auch vorher, d.h. bei der ursprünglichen Einleitung der Enbrel-Therapie, erst relativ langsam zu einem Ansprechen der Behandlung gekommen war und eine gute Wirksamkeit sich erst im Verlauf des 3. bis 6. Therapiemonats einstellte. Eine ähnliche, allerdings nicht ganz so ungünstig verlaufende Krankheitsentwicklung habe ich bei einer zweiten Patientin beobachtet, bei der allerdings keine rheumatoide Arthritis, sondern eine Psoriasis-Arthritis vorlag.
Für mich sind diese Verläufe der Grund, daß ich mir zusammen mit dem Operateur sehr genau überlege, wie lange bei der jeweiligen Operation die Therapiepause mit Enbrel oder auch mit anderen TNF-alpha-Blockern sein sollte und sein darf, um einerseits kein Risiko im Hinblick auf mögliche Komplikationen einzugehen und um aber auch andererseits nicht zu riskieren, daß durch eine zu lange Therapiepause ein Krankheitsschub eintritt und der Therapieerfolg der Operation u.U. dadurch auch beeinträchtigt oder gar zunichte gemacht wird.
Im folgenden nun die bereits oben angekündigte Antwort auf eine ähnliche Frage zum Vorgehen bei Operationen:
„ … Wie sie wissen, können und dürfen wir für den individuellen Einzelfall keine diagnostischen oder therapeutischen Empfehlungen geben.
Allgemein kann man sagen, daß es derzeit noch keine größeren Erfahrungen mit dem Verlauf und der Komplikationsrate von operativen Eingriffen bei Patienten gibt, die mit Enbrel behandelt werden.
Deshalb können für die Vorgehensweise bei geplanten operativen Eingriffen nur allgemeine Empfehlungen gegeben werden.
Grundsätzlich ist es sinnvoll, daß bei einer laufenden Enbrel-Therapie und einer geplanten Operation zwischen dem Operateur und dem behandelnden Rheumatologen Kontakt aufgenommen und das Vorgehen genau abgestimmt werden sollte.
Ein weiterer allgemeiner Gesichtspunkt betrifft die Regel, daß sich das Vorgehen bei einer Operation nach der Art des Eingriffs richten muß (z.B. groß – klein, Weichteileingriff – Knochenoperation etc.) und nach der Erkrankung, insbesondere der aktuellen Krankheitsaktivität und dem therapeutischen Ansprechen auf die bisherige Behandlung (z.B. schnelles oder nur verzögertes Ansprechen auf die Therapie mit dem TNF-alpha-Blocker, sofortige Zunahme der Krankheitsaktivität bei Therapiepausen in der Vorgeschichte oder relativ problemloser Verlauf unter solchen Therapiepausen), eventuell vorliegenden Begleiterkrankungen (z.B. Diabetes mellitus = Zuckerkrankheit) mit einem erhöhten Risiko für Wundheilungsstörungen und Infektionen sowie der sonstigen Medikation (z.B. Cortison oder Kombination mit anderen langwirksamen antirheumatischen Substanzen / DMARDs und / oder Immunsuppressiva, für die ein erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen und Infektionen bekannt ist).
- Problematisch ist eine Therapie mit TNF-alpha-Blockern im Hinblick auf einen operativen Eingriff aus folgenden Gründen:
Zum einen besteht ein möglicher Einfluß der TNF-alpha-blockierenden Therapie auf die Wundheilung - Zum anderen stellt sich die Frage, ob bei einer Fortführung der Therapie mit einem TNF-alpha-Blocker perioperativ und postoperativ, d.h. während und nach der Operation, mit einem erhöhten Infektionsrisiko zu rechnen ist.
- Dieses erhöhte Infektionsrisiko kann sich einerseits unmittelbar auf das Operationsgebiet beziehen, d.h. Infektionen im Bereich der Operationswunde / im Bereich der Naht, zum anderen aber auch auf nicht unmittelbar betroffene Organe wie die Lunge oder die Harnwege, die aber mittelbar im Zusammenhang mit der Operation auch eine Rolle spielen (die Lunge insbesondere dann, wenn eine Intubationsnarkose durchgeführt wird, d.h. eine Narkose mit Beatmung, speziell auch, wenn es sich um längere operative Eingriffe mit entsprechend längeren Narkosezeiten und u.U. sogar Nachbeatmungen und postoperativen Überwachungen auf der Intensivstation handelt).
Eine ganz aktuelle Studie, die auf dem US-amerikanischen Rheumatologen-Kongreß im Oktober 2004 in San Antonio vorgestellt wurde (Giles et al. 2004), deutet darauf hin, daß unter einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern das Risiko für tiefe Wundinfektionen im Operationsgebiet erhöht ist.
Als Konsequenz aus dieser Studie gilt die derzeitige Empfehlung der Autoren, die Therapie mit einem TNF-alpha-Blocker vor einem geplanten orthopädischen Eingriff für einen Zeitraum zu unterbrechen, der der einfachen bis zweifachen Halbwertszeit der verwendeten Substanzen entspricht. Danach sollte die Therapie mit Etanercept (Enbrel) etwa ein Woche bis 14 Tage vor der Operation unterbrochen werden.
Für den richtigen, d.h. sicheren Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der Enbrel-Therapie im Anschluß an die Operation gibt es gegenwärtig keine Empfehlungen. Diskutiert wird für Etanercept ein Sicherheitsabstand bis zum Abschluß des Wundheilungsprozesses, frühestens jedoch 2 Wochen nach dem Eingriff. Nach Abschluß der Wundheilung und fehlenden Infektionszeichen ist dann eine Wiederaufnahme der Enbrel-Therapie innerhalb des normalen Intervalls und damit die Fortführung der Therapie im üblichen Rhythmus möglich.
Diese allgemeinen Hinweise und Empfehlungen gelten für größere chirurgische Eingriffe. Bei der Entfernung eines Muttermals handelt es demgegenüber nur um einen kleinen Eingriff, für den m. E. die Enbrel-Therapie nicht unterbrochen werden muß.
Bei einer Zahnextraktion (Ziehen eines Zahnes) kommt es sehr auf die individuelle Situation und die Begleitumstände an. Unbedingt beachtet werden sollten alle Hinweise zur sogenannten Endokarditis-Prophylaxe bei Patienten mit durchgemachten Erkrankungen der Herzklappen oder auch mit Herzoperationen in der Vorgeschichte, speziell auch Operationen an den Herzklappen oder Herzklappenersatz. Bei diesen Patienten würde ich persönlich die Enbrel-Therapie pausieren, so wie es oben für die orthopädischen / chirurgischen Eingriffe empfohlen wurde.
Ebenfalls pausieren würde ich die Enbrel-Therapie bei einer geplanten Zahnextraktion bei Patienten mit künstlichem Gelenkersatz (z.B. künstliches Kniegelenk oder künstliches Hüftgelenk, sogenannte TEP = totale Endoprothesen).
Hintergrund dieser Empfehlung ist die Tatsache, daß sich bei praktisch allen Menschen in der Mundhöhle eine ganze Reihe von Bakterien befinden. Darunter sieht man bei sehr vielen, auch gesunden Menschen eine bakterielle Besiedlung der Mundhöhle und des Rachenraums mit Streptokokken. Streptokokken finden sich sehr oft auch im Bereich von vereiterten Zähnen oder vereiterten Zahnwurzeln und sogenannten Zahnwurzelgranulomen.
Zieht man nun einen Zahn, kann es zu einer sogenannten Bakteriämie kommen, d.h. einem Übertritt von Bakterien ins Blut.
Dies ist normalerweise nicht schlimm. Bei Patienten mit einer immunsuppressiven Behandlung, d.h. einer Behandlung, die das Immunsystem in seiner Funktionsfähigkeit einschränkt, kann es bei einer solchen Bakteriämie aber dazu kommen, daß sich die Bakterien auf vorgeschädigten Strukturen oder auch auf Fremdmaterialien im Körper festsetzen (dazu gehören künstliche Herzklappen oder künstliche Gelenke) und dort zu einer Infektion führen, die dann oft sehr schwer zu behandeln ist.
Gerade Streptokokken sind dabei problematische Keime, die auf Grund ihrer speziellen Eigenschaften mit einem erhöhten Risiko von solchen Infektionen im Zusammenhang mit einer Zahnextraktion einhergehen.
Deshalb wird bei Patienten mit künstlichen Herzklappen oder andere chirurgischen Eingriffen an den Herzklappen grundsätzlich eine sogenannte Endokarditis-Prophylaxe mit Antibiotika empfohlen. Die ist bei Patienten ohne solche Vorerkrankungen oder Eingriffe bei einer normalen Zahnextraktion nicht routinemäßig notwendig. …“
Literatur:
Giles JT, Gelber AC, Nanda S, et al. TNF inhibitor therapy increases the risk of post-operative orthopedic infection in patients with rheumatoid arthritis [RA]. American College of Rheumatology 2004 meeting, San Antonio Oct 16-21, 2004; Abstract 1764.
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