Vom Labor ans Krankenbett: Wie verändern neue Erkenntnisse aus der Forschung die Patientenversorgung?
Heute beginnt der 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) mit der 25. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie und der 21. Jahrestagung der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie. Der Kongressdauert bis zum 3. September 2011 und findet im ICM – Internationales Congress Center München statt.
Rheuma, das sind weit mehr als 100 verschiedene Erkrankungen des Bewegungsapparates, die jeden befallen können, vom Säugling bis zum Greis.
Die Ursache der Erkrankungen lag lange im Dunkeln. Bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts hatte man keine Ahnung davon, welche Mechanismen zu einer Gelenkerkrankung führen können und man hatte infolgedessen noch weniger eine Idee, wie die Patienten, die an „Rheuma“ litten, am besten zu therapieren seien.
Da man die Entstehungsmechanismen nicht kannte, konnte man auch keine unterschiedlichen Erkrankungen definieren und schon gar nicht daran denken, krankheitsspezifisch zu therapieren.
Die Forschung hat die Rheumatologie in den letzten Jahrzehnten enorm vorangebracht. Basierend auf einem immer besseren Verständnis der Molekularbiologie und der Immunologie ist es gelungen, klare Vorstellungen von der Entstehung rheumatischer Erkrankungen zu entwickeln und verschiedene Erkrankungen mit sehr ähnlichen klinischen Symptomen zu unterscheiden.
Heute unterscheidet der Rheumatologe vor allem auf dem Boden ihrer Pathogenese mehrere große Gruppen rheumatischer Erkrankungen. Dazu gehören die entzündlichen rheumatischen Erkrankungen (mit ihren Hauptvertretern, der rheumatoiden Arthritis und der Arthritis bei Schuppenflechte), die nichtentzündliche, degenerative Arthrose, die Gelenkschmerzen bei Stoffwechselerkrankungen (wie der Gicht) und die weichteilrheumatischen Erkrankungen (mit der Fibromyalgie).
Zu den Erkrankungen, die ebenfalls Gelenke befallen können, aber primär andere klinische Manifestationen haben, gehören die Bindegewebeerkrankungen (Kollagenosen) und die Gefäßentzündungen (Vaskulitiden).
Mit der Erkenntnis, dass sich die Ursachen rheumatischer Erkrankungen unterscheiden, bestand die Möglichkeit, mit Therapien in diese Ursachen einzugreifen. Auch diese Entwicklung profitierte seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts vom großen Fortschritt in der Zell- und Molekularbiologie.
Vor allem über die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen hat man in den letzten 30 Jahren enorm viel gelernt. Wir kennen heute nicht nur Gene, die das Risiko erhöhen, an bestimmten Rheumaformen zu erkranken, und haben alle Zellen identifiziert, die für die chronische Entzündungsreaktion verantwortlich sind. Wir haben auch einzelne Komponenten der Entzündungskaskade definieren können und damit letztlich ein Bild entstehen lassen, das es uns ermöglicht, viele Erkrankungen molekular zu begreifen.
Was nützt das dem Patienten? Mit denselben Methoden, die wir für die Untersuchung der Erkrankungscharakteristika benutzen, hat man auch zentrale Punkte in der Entzündungskaskade identifiziert und gezielt Substanzen entwickelt, die an diesen zentralen Punkten die Entzündung blockieren.
Dazu kam anfänglich etwas Glück und durchaus auch eine – wie man heutzutage weiß – nicht ganz korrekt interpretierte Serie von Laborbefunden. Aber mit der Entwicklung von Antikörpern gegen einen Schlüsselbotenstoff der Entzündung (Tumor-Nekrose-Faktor, TNF) und der Einführung dieser Substanzen in die Therapie hat die Behandlung der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen einen Quantensprung vollzogen.
Wir können mit den modernen Therapeutika heute nicht nur jedwede Gelenkzerstörung vermeiden, wir können sogar mit unseren Patienten über lange Zeiten der medikamentenfreien, krankheitsfreien Phasen sprechen und damit erstmals einen Zustand erreichen, der die früher so behindernden und zerstörenden Erkrankungen für Monate bis Jahre in den Schlaf versetzt, sie vielleicht sogar beendet.
Die Forschung in der Rheumatologie basiert auf der Molekularbiologie, der Zellbiologie und der Immunologie. Zusammen haben diese Disziplinen dazu geführt, dass sich ein ganzes klinisches Fach kolossal gewandelt hat.
Wir haben jetzt zehn moderne Therapieverfahren (sogenannte Biologika) für die Behandlung rheumatischer Erkrankungen zugelassen, das jüngste seit Juli 2011.
Das Spektrum der Erkrankungen, die wir mit den modernen Therapien behandeln können, erweitert sich ständig und umfasst heute nicht nur die großen, häufigen Erkrankungen des Erwachsenen, sondern zunehmend auch Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen genauso wie seltene Erkrankungen des Erwachsenen, für die bisher keine Alternativen bestanden.
Diese neuen Behandlungsoptionen haben auch dazu geführt, dass die Betreuung von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen dramatisch anders ist als noch vor 15 Jahren.
Heute empfehlen die Europäische Liga gegen Rheuma (EULAR) sowie die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), dass Patienten mit einer Entzündung in mindestens zwei Gelenken (Arthritis) idealerweise innerhalb der ersten sechs Wochen nach Beginn der Symptome von einem Rheumatologen gesehen werden sollen.
Beim Rheumatologen kann dann unter Umständen mit Hilfe modernster diagnostischer Verfahren, zu denen auch der Ultraschall gehört, eine Diagnose gestellt und unmittelbar eine geeignete Therapie eingeleitet werden.
Die jüngsten Erfahrungen einer solchen früh einsetzenden intensiven Behandlung zeigen, dass tatsächlich Knorpel-, Knochen- und Gelenkzerstörungen verhindert werden können, wenn nur rechtzeitig mit der Therapie begonnen wird.
Damit das sich verändernde Verständnis über die Notwendigkeit einer frühen Therapie auch den Patienten zugute kommt, haben sich an vielen Orten in Deutschland niedergelassene Rheumatologen, rheumatologische Fachkliniken und universitäre Abteilungen fürRheumatologie zu lokalen Rheumazentren zusammengeschlossen.
Die Rheumazentren informieren auf Veranstaltungen, mit Veröffentlichungen und durch Vorträge über die neuen Richtlinien, Konzepte und Behandlungsmethoden. Das Ziel dieser Aktivitäten ist es, jeden, Ärzte wie potenzielle Patienten, darüber aufzuklären, dass Rheuma heute kein Zipperlein mehr ist, dass frühes Handeln dauerhaften Schmerz und permanente Behinderung verhindert und dass heute Therapien zur Verfügung stehen, mit denen die private, soziale und berufliche Lebensqualität erhalten werden kann.
Damit Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen auch wirklich so früh wie möglich von einem Rheumatologen gesehen werden können, sind an vielen Rheumakliniken Früharthritissprechstunden eingerichtet worden, und auch viele niedergelassene Rheumatologen haben spezielle Zeiten für Akutfälle reserviert.
Mit Hilfe dieser Maßnahmen und einem besseren Verständnis in der Bevölkerung über die Dynamik der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gelingt es zunehmend, die durchschnittliche Wartezeit von über einem Jahr vom Beginn der Symptome bis zum Besuch bei einem Rheumatologen auf idealerweise wenige Wochen zu reduzieren. Andere Länder, wie Holland oder Österreich, sind schon ein großes Stück vorangekommen, aber auch in Deutschland sind wir auf dem richtigen Weg.
Denn Rheuma, und das ist die erfreulichste Konsequenz der fruchtbaren Übertragung von Laborergebnissen auf die tägliche klinische Praxis, ist endlich behandelbar. Es muss jetzt nur noch rasch erkannt werden.
Quelle:
Vortrag Professor Dr. med. Hendrik Schulze-Koops
Vorab-Pressekonferenz anlässlich des 39. Kongresses der Deutschen
Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh)
Pressestelle der DGRh
Dr. Cornelia Rufenach
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V. (DGRh)
Das Kongressprogramm und weiterführende Informationen finden Interessierte im Internet unter www.dgrh-kongress.de.
Weitere Informationen zum DGRh-Kongress 2011 bei rheuma-online:
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39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie vom 31. August bis 3. September 2011 - Vorprogramm und Anmeldeformular