Unterschätzte Häufigkeit von Rheuma: Früherkennung ist entscheidend
"Auch bei Rheuma muss man die Menschen in Zukunft zu einem verantwortungsvollen Umgang mit ihrem Körper motivieren", ist der steirische Ärztekammerpräsident Dr. Wolfgang Routil überzeugt. "Das beugt Erkrankungen vor, verbessert die Lebensqualität, und hilft hohe Folgekosten zu vermeiden."
Es sei erfreulich, dass durch moderne Therapiemethoden und neue Medikamente immer größere Erfolge erzielt werden können, sagt der Ärztekammerpräsident: "Diese medizinischen Errungenschaften müssen auch in Zukunft an die Patientinnen und Patienten weitergegeben werden."
"Jeder Vierte leidet in der Steiermark an schmerzhaften Beschwerden des Bewegungsapparates, in ganz Österreich sind rund zwei Millionen Menschen davon betroffen", so Univ.-Prof. Dr. Winfried Graninger, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie und Leiter der Abteilung für Rheumatologie an der Medizinischen Universität Graz. Rheumatische Erkrankungen gehen mit Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, in schweren Fällen auch mit Arbeitsunfähigkeit bis hin zur Frühpensionierung einher. Sie sind nicht nur hinsichtlich der massiven Belastung für die Betroffenen, sondern auch angesichts der Folgekosten ein besonders wichtiges Krankheitsfeld, dem entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.
Der Begriff Rheuma umfasst viele unterschiedliche Erkrankungen, auch Arthrose als Folge von Knorpelverlust oder die Osteoporose. Eine spezielle Krankheitsgruppe sind die chronisch entzündlichen Erkrankungen wie die Rheumatoide Arthritis (= chronische Polyarthritis), die Psoriasis Arthritis, bei der Haut und Gelenke betroffen sind, oder die Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew), die vor allem die Wirbelsäule entzündlich befällt und zum Teil zu Versteifung von Wirbelsäule und Brustkorb führen können.
Das Risiko, irgendwann im Laufe des Lebens Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates zu bekommen, liegt bei 70 bis 80 Prozent. Einige Zahlen aus der Steiermark:
Rund 200.000 Menschen leiden an degenerativen Gelenkerkrankungen (Arthrose)
110.000 Menschen haben Osteoporose, bei Frauen liegt die Osteoporose als Todesursache in Folge von Oberschenkelhalsbruch bereits vor Brustkrebserkrankungen.
Bis zu 11.000 Menschen leiden an rheumatoider Arthritis. Nach zwei Jahren können 20 %, nach fünf Jahren 50 % der Betroffenen ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen.
Etwa 7.000 Personen leiden an Morbus Bechterew, etwa ebenso viele an Psoriasis Arthritis.
Früherkennung ist bei chronisch entzündlichen Gelenkerkrankungen von zentraler Bedeutung
"Früherkennung und rechtzeitige Behandlung sind gerade bei chronisch entzündlichen rheumatischen Erkrankungen entscheidend, um die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten und Folgeschäden sowie Invalidisierung zu vermeiden", sagt Prof. Graninger. "Dies umso mehr, als die Medizin heute innovative Therapien zu bieten hat, die in das Krankheitsgeschehen eingreifen können. Eine zentrale Rolle spielen dabei etwa die TNF-alpha-Blocker."
Der erste Weg bei Schmerzen im Bewegungsapparat, so Prof. Graninger, sollte zum Hausarzt führen: "Besteht ein begründeter Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung, gehört der Patient in die Hände eines speziell ausgebildeten Rheumatologen."
Rheumatoide Arthritis: Ein einfacher Selbsttest gibt Auskunft
Typisch sind folgende Symptome:
- "Anlaufschwierigkeiten" (Steifigkeit) von Gelenken nach Ruhephase, besonders am Morgen
- Schwellungen an mehr als zwei Gelenksregionen
- Schwellungen der Handgelenke, der Fingermittel- oder Fingergrundgelenke
- Symmetrische Schwellungen der gleichen Gelenke auf beiden Körperseiten
- Nachweis des sogenannten "Rheumafaktors" im Blut
Wenn mindestens vier dieser Anzeichen gegeben sind, ist die Wahrscheinlichkeit, an rheumatoider Arthritis erkrankt zu sein, besonders hoch.
Typisch für Morbus Bechterew sind folgende Symptome:
- Tiefsitzende Rückenschmerzen, die ins Gesäß und in die Oberschenkel ausstrahlen können
- Steifigkeit in der Wirbelsäule, vor allem am frühen Morgen, die mehr als 30 Minuten andauert
- Rückenschmerzen in der Nacht, die den Schlaf beeinträchtigen
- Besserung der Beschwerden bei Einnahme von Nicht-Steroidalen Antirheumatika (NSAR)
- Auftreten von Augenentzündungen ("Uveitis", Iritis")
- Fersenschmerzen in der Achillessehne
- Bei 90% der Fälle ist der Nachweis des Faktors HLA-B27 im Blut positiv
Hier gibt es einen einfachen Test, ob Sie "Wirbelsäulenrheuma" haben
Die Rheuma-Tour: niedrigschwellige und wohnortnahe Beratung durch Rheumatolog/innen
Der Aktion "Kampf dem Rheuma", die heuer bereits zum dritten Mal Aufklärungsaktivitäten in ganz Österreich setzt, liegt auch das Motto zugrunde: Wenn die Betroffenen nicht zu den Rheumatologen kommen oder kommen können, dann müssen die Rheumatologen eben zu den Patienten gehen. Prof. Graninger: "Es geht uns darum, möglichst vielen Menschen mit Beschwerden im Bewegungsapparat eine leicht zugängliche, kostenlose Beratung durch Fachärzte zukommen zu lassen, und damit den ersten Schritt zu einer Abklärung und schließlich ausreichenden Behandlung zu setzen."
Alarmierende Bilanz: Jeder Zweite war mit seinen Beschwerden noch nie zuvor beim Arzt
Wie wichtig diese Aktivitäten sind, die vielen Menschen eine erste Hilfestellung gegen ihre Beschwerden bietet, zeigen die Zahlen der Rheuma-Touren der vergangenen Jahre:
- Insgesamt wurden mit den Anlaufstellen an öffentlichen Plätzen rund 4500 Betroffene betreut.
- Etwa die Hälfte davon war zuvor mit ihren Beschwerden noch nie in ärztlicher Behandlung.
- Die durchschnittliche Dauer der Beschwerden lag bei acht Jahren.
Prof. Graninger: "Daraus können wir klar ableiten: Vermehrte Aufklärung der Bevölkerung über die modernen Behandlungsmöglichkeiten ist eine ebenso wichtige Waffe im Kampf gegen die Volkskrankheit Rheuma wie die Schaffung ausreichender Einrichtungen für Vorsorge, Früherkennung und Versorgung."
"Entscheidend für die Lebensqualität ist die frühzeitige Behandlung!
Vor rund 20 Jahren sind bei mir plötzlich diverse Gelenksschmerzen aufgetreten", berichtet Ingrid Isak, Leiterin der Polyarthritis SHG Steiermark der Österreichischen Rheuma Liga. "Von Beruf Krankenschwester, habe ich bald an Rheuma gedacht und einen Rheumatologen aufgesucht. Nach drei Monaten wurde meine Vermutung bestätigt. Diagnose: Chronische Polyarthritis bzw. Rheumatoide Arthritis. Obwohl ich zeitlich gesehen sehr bald einem Rheumatologen zugeführt wurde, hat es bei mir über zehn Jahre gedauert, bis eine für mich passende Basistherapie gefunden wurde, die geholfen hat. Dies lag jedoch am Krankheitsverlauf, da nahezu sämtliche zum damaligen Zeitpunkt verwendeten Medikamente nicht gegriffen haben."
"Seit dem Jahr 2000", berichtet Ingrid Isak weiter, "verabreiche ich mir auf Anordnung meines Rheumatologen selber alle vier Tage eine Spritze, die ich in der Apotheke gegen Rezept bekomme. Es gibt auch andere Medikamente, die in größeren zeitlichen Abständen per Infusion verabreicht werden. Es handelt sich dabei um ein neu entwickelte Medikamente, sogenannte Biologica. Drei Wochen nach Beginn dieser Therapie ging es mir schon deutlich besser. Dadurch bin ich unabhängiger, weil eine Kontrolluntersuchung nur mehr alle 3 Monate nötig ist - vorher war ich 14tägig beim Rheumatologen und des Öfteren in Anstaltspflege. Ich hatte Glück, sehr früh die richtige Diagnose zu erhalten. Aus meiner Tätigkeit im Rahmen der Polyarthritis SHG Graz weiß ich jedoch, dass dies eher die Ausnahme ist. Viele Patienten werden viel zu spät den Rheumatologen zugeführt, daher orte ich massiven Aufklärungsbedarf."
Einerseits sei es wichtig, die Bevölkerung zu informieren: Es gilt noch immer, viele Missverständnisse und Vorurteile auszuräumen. Zum Beispiel, dass Rheuma eine Erkrankung des fortgeschrittenen Alters sei. Tatsächlich kann Rheuma auch schon sehr junge Menschen und Kinder treffen und ihre tägliche Lebensführung massiv beeinträchtigen. Anderseits seien auch die Allgemeinmediziner gefordert, hier aufmerksam zu werden, die Beschwerden richtig zu deuten, und Patienten gegebenenfalls zum Spezialisten zu schicken.
Entscheidend für die Lebensqualität, so Ingrid Isak, ist die möglichst frühzeitige Behandlung. Was diesen Punkt betrifft, stehen Österreichs Rheumakranke vor einer schwierigen Situation, da es immer noch zu wenig ausgebildete und praktische Fachärzte für Rheumatologie gibt. Patienten in unversorgten Gebieten bleiben daher oft in der Behandlung des Allgemeinmediziners und können in ihrer Therapie nicht von den neuesten Erkenntnissen profitieren.
„Als Leiterin einer SHG und selbst Betroffene ist es mir ein Anliegen zu kommunizieren, wie wichtig eine frühe Diagnosestellung und Aufklärung ist, insbesondere dass die Erkrankung auch ernst genommen und der Stellenwert einer SHG anerkannt wird", so Ingrid Isak. " Es hat sich diesbezüglich in der letzten Zeit einiges gebessert, jedoch noch zu wenig, da die Krankheit zu wenig bekannt ist und man daher nicht weiß wie schlimm der tägliche Alltag sein kann. Das Leben mit einer schwerwiegenden Erkrankung muss oft erst in einem langen und schmerzhaften Weg erlernt werden. Ganz einfache Dinge des täglichen Lebens werden für Rheumakranke zum großen Hindernis, sei es das Öffnen einer Mineralflasche, einer Konservendose, eines Marmeladeglases, oder Türen mit einem Knauf, Wasserhähne aufdrehen usw.
Ingrid Isak hat selbst die Erfahrung gemacht, wie wichtig es ist, rechtzeitig die geeignete Behandlung zu bekommen.
Betroffene und Angehörige können sie kontaktieren unter der Telefonnummer: 066473829082 oder 034652147, oder per E-Mail unter ingrid.isak(at)gmx.at"