Ursache des Fibromyalgie-Syndroms
Die genaue Ursache des Fibromyalgie-Syndroms ist unklar; es gibt aber zunehmende Hinweise auf die Schmerzursachen und die Mechanismen der Schmerzverstärkung sowie Schmerzchronifizierung. Wichtig für eine gezielte Therapie ist die Abgrenzung von anderen Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatologie.
Es ist offenbar eine Kette von körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren auf der Grundlage einer bestimmten Veranlagung am Zustandekommen des FMS beteiligt. Da die meisten der unten aufgeführten Untersuchungen nur an fortgeschritten Erkrankten gemacht werden (konnten), weiß man oft nicht, welche Veränderungen von vorne herein mitbestimmend für die Entstehung der Erkrankung waren und welche erst im Verlauf zustande kamen.
Die Erkrankung tritt familiär gehäuft auf. Es gibt ganz offenbar eine ererbte Veranlagung für FMS. Diese betrifft möglicherweise die an der Schmerzempfindung, der Schmerzleitung und Verarbeitung beteiligten Strukturen bzw. Botenstoffe und Mechanismen, aber evtl. auch den Muskelfaser-Stoffwechsel.
Wir haben zunehmend Hinweise auf konkrete Störungen von bestimmten Botenstoffen und Hormonen: Erniedrigte Spiegel von Serotonin und L-Tryptophan und Somatomedin C im Liquor (Flüssigkeit um Rückenmark und Gerhinanteile herum) sind mehrfach dokumentiert.
Serotonin (populär als ‚Glückshormon’ bekannt) ist ein Botenstoff des Nervensystems, hat aber auch wichtige Funktionen im Regulieren der Spannung in den (kleinen) Blutgefäßen (woher sein Name kommt, Tonus=Spannung) und der Darmtätigkeit.
Im Gehirn sind ganz spezifische Konzentrations-Unterschiede von Serotonin wichtig für die psychische Stimmung, die Synchronisierung (also das Steuern des gleichmäßigen Wechsels)der Schlafrhythmen und teils auch für die Steuerung der Sexualität.
Es gibt Studien, die zeigen dass zwischen dem Ausmaß des Druckschmerzes an den tender points und der Höhe des Serotoninspiegels enge Verbindungen (Korrelationen) bestehen. Auch Auto-Antikörper gegen Serotonin werden teilweise vermutet.
L-Tryptophan ist eine notwendige Vorstufe von Serotonin, die ausreichend konzentriert (im Gehirn) vorhanden sein muss. Dennoch kann man nicht automatisch von einem ausreichenden Serotoninspiegel ausgehen, wenn der Tryptophanspiegel stimmt.
Erhöhte Spiegel der Substanz P im Rückenmark sind beschrieben.
Die Substanz P ist ein wichtiger Botenstoff der Schmerz-Empfindungs-Weiterleitung von der Peripherie an die Zentrale, also an Rückenmark und Gehirn.
Untersuchungen zum so genannten Circadian-Rhythmus (Biorhythmus im Tagesverlauf für bestimmte Körperfunktionen, Hormonproduktionen usw.) zeigten Störungen im Melatonin (MSH) – Serotonin-Verhältnis.
Erniedrigte Schilddrüsenhormone sowie zu niedrige nächtliche Spiegel des Wachstumshormones und zu hohe nächtliche Cortisolspiegel wurden gefunden.
In der Aufzeichnung der verschiedenen Schlafphasen fanden sich Verminderungen bzw. Störungen des NON-REM-Tiefschlafes. Die REM-Phasen des Schlafes sind ja bekanntlich die Traumphasen. Dazwischen liegen die NON-REM-Phasen, die Tiefschlafphasen, welche den eigentlichen Erholungswert des Schlafes ausmachen. Bei FMS-Patienten fehlten im EEG die für den Tiefschlaf typischen (Delta-) Wellenmuster und waren ersetzt durch ein Wellenmuster, welches zum Wachzustand gehört. Hier liegt auch die logische Verbindung zum erniedrigten Somatomedin C, welches im Tiefschlaf produziert wird.
Bestimmte Phänomene, die auf eine chronische Stressreaktion schließen lassen, sind beschrieben: Produktionsstätten für ein bestimmtes übergeordnetes Hormon im Hypothalamus, also im Zwischenhirn, werden offenbar z.T. vermehrt aktiviert: Es handelt sich um das CRH (=Corticotropin releasing hormone). Das CRH ist am Spiegel einer Reihe von Hormonen und weiteren Botenstoffen maßgeblich beteiligt (Interleukin 1,4 und TNF-alpha). Erhöhte CRH-Aktivität steht auch in Verbindung mit ängstlichen Reaktionen und Depressionen.
Es gibt auch einzelne interessante Forschungsergebnisse zu Veränderungen an Muskelfasern. Im EMG fanden sich Hinweise auf eine fehlerhafte Muskelfaser-Reaktion bei der willkürlichen Beanspruchung, sozusagen einer paradoxen Reaktion, und zwar dahingehend, dass es zu einer Entspannung kommt im Moment der Anforderung, also der benötigten Anspannung. Muskelbiopsien selbst zeigen eher unspezifische Faser-Veränderungen.
In einzelnen Beobachtungen wurden auch Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten mit IGG-Antikörper-Nachweis mit dem Ausmaß der Beschwerden (sowohl der Schmerzen als auch der Begleitstörungen) in Verbindung gebracht – und bei entsprechenden Auslass-Diäten wurde dann in teils hohem Prozentsatz eine Linderung beobachtet.
Bestimmte Virusinfekte können fibromyalgie-ähnliche Beschwerden auslösen bzw. evtl. auch ein FMS ‚triggern’ können: so z.B. Borrelien, EBV=Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers und Coxsackie-Viren.
Schmerzhafte, nicht ausreichende therapierte oder nicht ausreichend therapierbare Erkrankungen anderer Art (wie z.B. Bandscheibenvorfälle, entzündlich-rheumatische Erkrankungen) können zu einem sekundären FMS führen. Hier wird, vor allem von Schmerzforschern, der Ausbildung eines übermäßigen Schmerzgedächtnisses bei entsprechender Veranlagung oder Konstellation eine wesentliche Rolle in der Entstehung des FMS zugesprochen.
In der Vorgeschichte von FMS-Betroffenen findet man häufig schwere familiäre / soziale Belastungs-Situationen, insbesondere beim Typ 4 der Somatoformen Schmerzstörung vom FMS-Typ. Missbrauch, emotionale Vernachlässigung und Gewalt während der Kindheit scheint eine Schlüsselrolle zumindest für diesen Typ 4 darzustellen.
In der weiteren Biographie von FMS-Betroffenen findet man oft ein besonders angepasstes, akkurates, perfektionistisches und sozial erwünschtes Verhalten, welches sich bis in die Kindheit zurückverfolgen lässt. Diese Kinder bekamen oft sehr früh übermäßige Pflichten und Verantwortung auferlegt.
Neben traumatischen Kindheitserlebnissen und früher Überforderung kommt auch im weiteren Erwachsenenleben oft eine anhaltend belastende Konstellation hinzu: chronische berufliche und familiäre Überforderung, burn out, Fehlen wichtiger Bezugspersonen und das Fehlen belastbarer Partnerbeziehungen. Das sog. Helfer-Syndrom kommt des öfteren vor. Geradezu klassisch ist die Doppelbelastung mit Beruf, Familie und die zusätzliche Übernahme von zu pflegenden Angehörigen im Anschluss an die abgeschlossene Erziehung der eigenen Kinder.
Das ‚Sich-Nicht-Erlauben-Können’ von Faulheit und Abschalten, von echtem Genuss und von Entspannung wird von psychologischer Seite als wesentlicher Schlüssel angesehen, der auch den Verlauf der Erkrankung weiter negativ beeinflussen kann.