Zukunft kommt nicht von alleine. Zukunft muß man machen.
Der Kommentar von Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer
zum Abschluß des bundesweit ersten Vertrages zur Integrationsversorgung der frühen rheumatoiden Arthritis
Mogelpackung, Etikettenschwindel, Rosinenpickerei – Verträge zur integrierten Versorgung gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, und viele von ihnen seien, so der vorherrschende Vorwurf der Kritiker, nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen.
Ein weiterer Kritikpunkt vor allem aus der Ärzteschaft: Von IV-Verträgen profitieren in erster Linie die Krankenkassen, für die Ärzte und die anderen Leistungserbringer bedeuten sie dagegen in erster Linie Honorarverluste, zugleich einen Wust von Bürokratie und eine Zunahme des Versorgungsdschungels statt einer klaren, breiten Schneise durch den ohnehin schon wildwuchernden Urwald der traditionell gewachsenen deutschen Versorgungslandschaft.
Bei dem jetzt abgeschlossen Vertrag zwischen DAK und HMK mit der Rheumatologischen Schwerpunktpraxis am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf, dem Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf und der KV Consult der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein zur Integrierten Versorgung der frühen rheumatoiden Arthritis ist dies alles anders. Und es scheint so, daß dies nicht nur so ist, weil es die Protagonisten dieses Vertrages so sagen und auch so sagen müssen, sondern weil sich dieser Vertrag schon von den ersten Anfängen seiner Entstehung an wohltuend von anderen IV-Verträgen unterscheidet.
Es beginnt damit, daß die Initiative von den Kassen ausging, und daß die Kassen dabei als Begründung für diese Initiative überzeugend und glaubhaft angaben, daß es ihnen dabei primär und zuallererst um eine Verbesserung der rheumatologischen Versorgung ihrer Versicherten ginge. Dieser primäre Focus auf eine ernsthafte und nachhaltige Verbesserung der Versorgung und erst in zweiter Linie auf die daraus zu erwartenden ökonomischen Vorteile war eine Vorgabe, die für das Projekt Mut machte.
Positiv stimmte auch, daß hier Verantwortliche bei den Krankenkassen offensichtlich verstanden haben, daß in Deutschland eine eklatante Untersorgung in der Rheumatologie besteht, und daß es nicht die Rheumatologen und die rheumatologischen Versorgungseinrichtungen sind, an denen dies liegt, sondern die Strukturen, in denen in Deutschland üblicherweise rheumatologische Versorgung erfolgt oder erfolgen muß oder vielfach eben auch nicht erfolgt, da aus strukturellen Gründen nicht erfolgen kann.
Wissenschaft, Experten, wissenschaftliche Fachgesellschaften, Selbsthilfe-Organisationen, Ärzte an der Front, Politiker und die meisten Betroffenen, zumindest mit zunehmender Krankheitsdauer, sind sich dieses Problems bewusst. Wissenschaftliche Daten und Gutachten liefern eine klaren und erschreckenden Befund. Und die politischen Handlungsempfehlungen sprechen eine klare und einheitliche Sprache: Es bedarf dringend einer Veränderung. Aber – das Wissen um die Notwendigkeit von Veränderungen und der Mut und die Tatkraft, diese Veränderung auch tatsächlich in Angriff zu nehmen, sind zwei grundverschiedene Dinge.
Hochachtung deshalb vor den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Angestellten Krankenkasse und der Hamburg Münchner Krankenkasse für die Initiative und den Mut zur Veränderung im Interesse Ihrer Versicherten, auch wegen des ungewöhnlich perspektivischen Ansatzes, der aus der Blockade des positivistischen, gegenwartszentrierten Denkens einer in sich verlorenen Shareholder-Gesellschaft herausführt und die Chance erkennt, daß die Zukunft unseres Gesundheitssystems nicht in der a priori zur Erfolgslosigkeit verdammten Reform maroder Strukturen liegt, sondern in der vorwärtsgewandten und erfolgsorientierten völligen Neugestaltung der überkommenen Systeme.
Hochachtung auch vor den Verantwortlichen und Mitarbeitern auf den nachgeordneten Ebenen, die bereit waren, gemeinsam mit allen Partnern Neuland zu betreten und in dieser Phase und bei diesem schwierigen Weg in ungewisse Gefilde alle Bedenkenträger aus den eigenen Reihen in Urlaub zu schicken und auf dem Weg zu der angezielten Problemlösung auf die Kompetenz des eigenen Verstandes und der eigenen Organisation zu vertrauen und nicht in die Versuchung zu geraten, die geplante Neuorganisation der Versorgung durch die Be-Sorgung durch externe Be- und Entratung zu ent-sorgen.
Nichtsdestotrotz waren die Entwicklung des Projekts und die Vertragsverhandlungen schwierig. Daß sie zu einem erfolgreichen Abschluß gekommen sind, liegt an der Bereitschaft aller Beteiligten, an ein gemeinsames, wichtiges Ziel zu glauben, und an der hohen Professionalität aller Partner, gepaart mit einer hohen fachlichen und personalen Kompetenz der handelnden Personen.
Der dritte Gesichtspunkt ist der wichtigste: Bei diesem Vertrag gibt es nur Gewinner.
Hauptgewinner sind die Patienten. Zum einen eröffnet ihnen das neue Konzept mit einem „fast track“ zur Früharthritis-Klinik einen schnellen und uneingeschränkten Zugang zu einer qualifizierten rheumatologischen Versorgung.
Innerhalb des Modells findet dann eine rheumatologische Versorgung in „Premium-Qualität“ statt. Dies beinhaltet nicht nur modernste diagnostische Verfahren für die Frühdiagnostik und Abschätzung der Prognose, sondern im weiteren Behandlungsverlauf auch effiziente Algorithmen für den Ablauf von Diagnostik und Therapie und den Zugriff auf adäquate Behandlungsverfahren einschließlich innovativer diagnostischer und therapeutischer Methoden.
Ein kleines Beispiel für die innovative Kraft, die von dem neuen Versorgungsmodell ausgeht, ist die Patientenschulung. 15 Jahre haben sich die unterschiedlichsten Personen und Institutionen um die ambulante Finanzierung bemüht. Gemeinsam war allen Beteiligten aus Deutscher Gesellschaft für Rheumatologie, Berufsverband der Rheumatologen und Deutscher Rheuma-Liga bislang der Misserfolg. Und dies nicht allein, da sie sich bei den Verhandlungen ungeschickt angestellt haben. Ein wichtiger Hinderungsgrund waren die Grenzen, die auch den Krankenkassen durch die sektorale Gliederung, um nicht zu sagen Abschottung der Versorgungsräume gesetzt waren. So hat die Investition in die ambulante Patientenschulung durch die gesetzlichen Krankenkassen zu erfolgen. Pro einem Euro, der hier investiert wird, spart das System der sozialen Sicherung etwa 10 Euro. Eine phantastische Rendite. Gespart wird aber in der Rentenversicherung, da die stärksten Effekte der Patientenschulung in einer massiven Verringerung der Frühberentung liegen. Die Rentenversicherung darf aber in der ambulanten, kassenärztlichen Medizin keine Versorgungsleistungen bezahlen. Also findet eine wissenschaftlich excellent evaluierte Patientenschulung, um die uns viele Länder mittlerweile beneiden, ambulant im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung nicht statt.
Selbstverständlich gehört nun in der integrierten Versorgung das Patientenschulungsprogramm der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie zum obligaten Leistungsumfang.
Auch die Rheumatologen gehören zu den Gewinnern: Endlich hat unsere kontinuierliche Arbeit und Kommunikation auf allen Ebenen Früchte getragen und bei den
Krankenkassen zu der Erkenntnis geführt, daß die Verbesserung der rheumatologischen Versorgung mindestens denselben Stellenwert haben muß wie die Versorgung von Patienten mit Diabetes mellitus, Brustkrebs oder anderen schweren und/oder chronischen Erkrankungen, die wie selbstverständlich einer intensiven Verbesserung der Versorgung für würdig befunden werden, unbeschadet der Bedeutung der dort implementierten Programme und erzielten Ergebnisse.
Wichtig für die Rheumatologen und die Rheumatologie auch das klare und nachdrückliche Bekenntnis der Krankenkassen zum Primat der rheumatologischen Kompetenz bei der Diagnostik und Therapie von schwer verlaufenden rheumatischen Erkrankungen. Der Rheumatologe und die Rheumatologie gewinnen damit nun den gleichen Rang bei der Diagnostik und Therapie von schweren rheumatischen Erkrankungen wie der Krebsspezialist und die Onkologie bei der Behandlung von Krebserkrankungen oder der Herzspezialist und die Kardiologie bei der Behandlung von schweren Herzerkrankungen. Eigentlich eine Banalität, in der deutschen Versorgungsdiskussion und noch vielmehr in der deutschen Versorgungsrealität aber bislang noch keine absolute Selbstverständlichkeit.
„Herr Langer, was machen Sie denn da eigentlich als Rheumatologe, was ich nicht auch machen kann“, war seinerzeit die Begründung einer ebenso forsch wie offensichtlich schlicht auftretenden KV-Funktionärin, die sich als praktische Ärztin für die qualifizierte Versorgung von schwer rheumakranken Menschen berufen fühlte und damit die fehlende Notwendigkeit für die Zulassung eines zweiten spezialisierten Rheumatologen für die 600.000 Einwohner von Düsseldorf begründen wollte.
Ein weiterer Gewinn für die Rheumatologen und die Rheumatologie: Der Vertrag zur integrierten Versorgung der frühen rheumatoiden Arthritis definiert nicht nur die für eine solche Versorgung notwendigen Leistungen, sondern regelt dazu auch auf eine faire und verlässliche Weise die zugehörige Vergütung. Dies ist anders als in der üblichen kassenärztlichen Medizin, in der ein Kassenarzt zwar heute Leistungen im Wert von 1 EUR erbracht hat, wo er aber erst mit der 6 Monate später folgenden Kassenabrechnung erfährt, ob er für diese 1-EUR-Leistung 54 Cent, 47 Cent, 13 Cent oder auch überhaupt nichts vergütet bekommt. Das einzige, was dort sicher und verlässlich ist: Für eine 1-EUR-Leistung bekommt er nie 1 EUR. Das wäre zu einfach und würde vermutlich auch das System sprengen. Und Hunderte von Arbeitslosen erzeugen, da alle Verwaltungsstellen wegfielen, in denen mit sehr schwierigen Regelwerken und unter dem Einsatz aufwendigster Datenverarbeitungsprogramme berechnet wird, ob nun 1 EUR 54 Cent, 47 Cent, 13 Cent oder auch überhaupt keinen Cent wert ist.
Es gewinnt auch die Kassenärztliche Vereinigung und mit ihr alle Vertragsärzte: Durch die KV als Vertragspartner können im vorliegenden Modellprojekt nicht nur, wie bei vielen anderen IV-Verträgen, die Mitglieder von Verbänden oder kleinen partikulären Gruppen an diesem Vertrag teilnehmen, sondern es können alle primär versorgenden Ärzte wie Hausärzte oder andere Fachärzte am Vertrag teilnehmen und an der Verbesserung der rheumatologischen Versorgung partizipieren.
Gewinner sind nicht zuletzt auch die Kassen, da sie nicht nur durch die bessere Versorgung und die Vermeidung von Fehlallokationen eine Menge Geld sparen, sondern auch durch den mit diesem Vertrag verbundenen enormen Imagegewinn erhebliche Vorteile im Wettbewerb erzielen.
Ein Vertragsabschluß wie der vorliegende macht Hoffnung. Deutschland hat sich doch noch nicht aufgegeben und ist in der Lage, den Fortschritt nicht nur herbeizusehnen, sondern auch aktiv zu gestalten. Nun warte ich nur auf das nahende Ende des Urlaubs. Wir wollen hoffen, daß nicht zu viele Bedenkenträger zurückkommen.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer