Zum Jahreswechsel 2012/2013
Schneller – einfacher – besser: Das sind die drei Entwicklungen, die das Jahr 2012 in der Rheumatologie geprägt haben und die sich in 2013 fortsetzen werden. Schneller: Frühzeitige Diagnose ermöglicht Therapie, bevor Schäden eingetreten sind. Einfacher: Spritzen statt Infusionen, Tabletten statt Spritzen machen die medikamentöse Therapie komfortabler. Besser: Immer mehr Patienten erreichen eine Remission, und insgesamt hat sich die Prognose rheumatischer Erkrankungen dramatisch verbessert.
Je früher eine wirksame Therapie beginnt, umso besser ist das Ergebnis. Was banal klingt, stellt die Rheumatologie in der Praxis allerdings vor erhebliche Herausforderungen. Häufig beginnen rheumatische Entzündungen schleichend, und selbst erfahrene Rheumatologen haben nicht selten Schwierigkeiten, eine Früharthritis sicher zu diagnostizieren. Moderne Bildgebungsverfahren bekommen in dieser Situation eine zunehmende Bedeutung. Eine neue, sehr empfindliche Methode, mit der Entzündungen sichtbar gemacht werden können, bevor das Röntgenbild Schäden zeigt, ist das ICG-gestützte fluoreszenzoptische Xiralite-Verfahren, das es im April 2012 sogar auf die Titelseite der Annals of Rheumatic Diseases geschafft hat, dem weltweit führenden rheumatologischen Journal. Die Technologie eignet sich aber nicht nur zur Frühdiagnostik, sondern hilft auch bei der Entscheidung, ob unter einer Therapie wirklich eine Remission eingetreten ist oder ob noch eine Restentzündung, die sogenannte subklinische Krankheitsaktivität vorliegt. Dazu wurden im Juni 2012 Daten auf dem europäischen Rheumatologenkongreß EULAR in Berlin vorgestellt. Die Zukunft: Intelligente Software soll das Ausmaß der Entzündung exakt quantifizieren und damit eine wenig zeitaufwendige, einfache, objektive Bewertung des Therapieansprechens ermöglichen.
Alle 4,6 oder 8 Wochen eine Infusion: Für viele Patienten mit rheumatoider Arthritis, Psoriasis-Arthritis oder ankylosierender Spondylitis (M. Bechterew ) haben die sogenannten biologischen Therapien ein neues, beschwerdefreies oder beschwerdearmes Leben ermöglicht, dies aber mit dem Preis einer regelmäßigen Infusionstherapie. Wenn dann auch noch schwierige Venenverhältnisse vorliegen, bedeutet das nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für ihre Ärzte eine wiederkehrende Qual. Schon in der Vergangenheit konnten zwar einige TNF-alpha-Hemmer auch als subkutane Injektion (Spritze unter die Haut) verabreicht werden. Diese Option stand aber für die neueren Biologika wie z.B. den T-Zell-Co-Stimulationsblocker Abatacept oder den IL-6-Hemmer Tocilizumab nicht zur Verfügung. Im Oktober 2012 wurde Orencia® (Abatacept) von der europäischen Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) jetzt auch zur subkutanen Anwendung zugelassen, nachdem die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) diese Anwendungsform bereits im August 2011 genehmigt hatte. In einem umfangreichen klinischen Entwicklungsprogramm mit fast 2.000 Patienten konnte zuvor gezeigt werden, daß die subkutane Verabreichungsform im Hinblick auf Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit mit der Infusionstherapie vergleichbar war. Für 2013 ist eine solche Zulassungserweiterung auch für den IL-6-Blocker Tocilizumab (RoActemra®) zu erwarten.
Warum eigentlich Infusionen oder Spritzen anstatt einer Tablette? Biologika sind biotechnologisch hergestellte Substanzen, die entweder körpereigene Entzündungsstoffe, z.B. sogenannte Zytokine blockieren oder körpereigenen entzündungshemmenden Botenstoffen entsprechen. Herstellungsbedingt können alle diese Konstrukte nur parenteral, d.h. am Magen-Darmtrakt vorbei, verabreicht werden, da sie bei oraler Verabreichung von der Magensäure zerstört und unwirksam gemacht würden. Ein großer Entwicklungssprung wurde insofern am 6. November 2012 mit der Zulassung von Tofacitinib in den USA gemacht. Tofacitinib (Markenname in den USA: Xeljanz®) ist ein sogenanntes kleines Molekül („small molecule“) und damit der erste für die Therapie der rheumatoiden Arthritis zugelassene Vertreter einer vollkommen neuen Substanzklasse von Antirheumatika. Diese Substanzen wirken jenseits des Angriffspunktes der Biologika innerhalb der Zelle selber. Aufgrund ihrer Molekülstruktur sind sie nicht nur einfacher herzustellen und auch in der Anwendung einfacher zu handhaben, da beispielsweise im Gegensatz zu Biologika keine ununterbrochene Kühlkette zu gewährleisten ist. Sie können darüber hinaus auch so zubereitet werden, daß eine Verabreichung in Tablettenform möglich ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist für 2013 mit der Zulassung von Tofacitinib auch in Europa zu rechnen. Ein Wermutstropfen: Trotz des sehr viel einfacheren Herstellungsverfahrens bewegt sich der Preis von Xeljanz in den USA im Biologika-Segment. Kaum einer wird erwarten, daß es in Europa anders sein wird.
Sehr einfach und nicht teuer: Vitamin D3 ist vermutlich der Shooting-Star des Jahres 2012. Bislang als reines Knochenvitamin eingeschätzt, werden nun zunehmend weitere Eigenschaften und Wirkmechanismen dieses Hormons entdeckt, speziell auch im rheumatologischen und immunologischen Bereich. Die wahrscheinlich spannendste Beobachtung ist der umgekehrte Zusammenhang zwischen dem Vitamin-D3-Serumspiegel und der Krankheitsaktivität bei Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis. Patienten mit einem schweren Vitamin-D3-Mangel wiesen danach bei ansonsten vergleichbaren Verhältnissen eine weitaus höhere RA-Krankheitsaktivität auf als solche mit einem optimalen Spiegel. Insofern ein guter Vorsatz für 2013, für eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D3 zu sorgen.
Die Anstrengungen aller Beteiligten für eine bessere rheumatologische Versorgung tragen erste Früchte. Nach den aktuellen Daten der Kerndokumentation der Rheumazentren, die im Mai 2012 von Frau Prof. Zink vom Deutschen Rheumaforschungszentrum Berlin auf dem Kongreß des Berufsverbandes der Rheumatologen vorgestellt wurden, kommen Patienten mit rheumatoider Arthritis früher in eine qualifizierte rheumatologische Behandlung als im letzten Jahrzehnt. Betrug die mittlere Krankheitsdauer bis zum ersten Rheumatologenkontakt im Jahr 1994 noch 2,0 Jahre, verkürzte sie sich in 2010 auf 0,9 Jahre. Bei ankylosierender Spondylitis (M. Bechterew) liegen die entsprechenden Daten bei 6,8 bzw. 4,1 Jahren. Damit einhergehend hat die Versorgung mit wirksamen krankheitsmodifizierenden Substanzen zugenommen. Methotrexat (MTX) erhalten derzeit 60% der RA-Patienten, die Quote der Biologika-Therapie beträgt bei den in der Kerndokumentation erfaßten Patienten 23%. Die mittlere Krankheitsaktivität geht über die Jahre zurück und nähert sich im Mittel immer mehr dem DAS-Wert von 3,2, der die Grenze zwischen mittlerer und niedriger Krankheitsaktivität markiert. Häufigkeit und Dauer von Krankenhausaufenthalten nimmt ab, die Erwerbstätigenquote unter den RA-Patienten zu. Die mittlere Arbeitsunfähigkeitsdauer reduzierte sich von 71 auf 33 Tage pro Jahr.
2013. Unter einer rheumatologischen Perspektive haben wir allen Grund, uns auf dieses Jahr zu freuen. Es geht vorwärts mit der Rheumatologie, und von den Fortschritten in Forschung, Therapie und Versorgung werden nicht nur die Patienten mit Neuerkrankungen profitieren, sondern auch Betroffene mit schon länger währender Krankheit.
rheuma-online wünscht allen Userinnen und Usern ein frohes, erfolgreiches und insbesondere glückliches neues Jahr.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer und das rheuma-online-Team