Vorläufiger Stop für Prexige
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat am 19. November 2007 das Ruhen der Zulassung für das Lumiracoxib-haltige Arzneimittel Prexige angeordnet.
Wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in einer Pressemitteilung mitteilt, darf das Arzneimittel danach ab sofort nicht mehr in den Verkehr gebracht werden. Ärzte werden aufgefordert, Prexige nicht mehr zu verordnen. Lumiracoxib ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Coxibe und wegen seiner entzündungshemmenden und schmerzlindernden Wirkung zur Behandlung von Symptomen bei aktivierter Arthrose des Knie- und Hüftgelenks zugelassen.
Der Grund für die Maßnahme des BfArM sind die Ergebnisse einer weltweiten Bewertung aller Nebenwirkungsberichte über Leberschädigungen nach Anwendung von Lumiracoxib. Sie ergab, dass auch unter der in der EU ausschließlich zugelassenen niedrigen Tagesdosis von 100 mg sowie bei vergleichsweise kurzer Anwendungsdauer Leberschädigungen auftraten. Die neuesten Daten stellen die bisherige Annahme in Frage, dass schwere Leberschädigungen vor allem nach Einnahme von Tagesdosen über 100 mg auftreten. Die bisherigen Empfehlungen für häufige laborchemische Kontrollen der Leberfunktion reichen danach nicht aus, um das Risiko zu mindern.
Frühere Nebenwirkungsberichte über Leberschädigungen waren im August dieses Jahres in Deutschland und den anderen EU-Staaten Anlass für eine „dringende Zulassungsänderung“. Die Fach- und Gebrauchsinformationen wurden durch neue Angaben zu Gegenanzeigen, Warnhinweisen, Vorsichtsmaßnahmen und Nebenwirkungen ergänzt. Seither sind weitere Fälle über Leberschädigungen, auch solche mit schwerem Verlauf, nach der Anwendung von Lumiracoxib berichtet worden. Diese Fälle traten überwiegend im Ausland auf.
Das Nutzen-Schaden-Verhältnis für Prexige in der zugelassenen Indikation wird aus Sicht des BfArM seit Bekanntwerden der neuen Nebenwirkungsberichte als ungünstig bewertet. Das BfArM hält deshalb das Ruhen der Zulassungen von Prexige mit sofortiger Wirkung für erforderlich. Alternative Behandlungsmöglichkeiten zu Prexige stehen in dem Anwendungsgebiet zur Verfügung.
Das gesamte Nutzen-Schaden-Verhältnis von Prexige wird nunmehr auch von den für Arzneimittelsicherheit zuständigen Gremien der EU beurteilt. Weitere Informationen zum Thema sind auf der Webseite des BfArM (http://www.bfarm.de/cln_042/nn_828832/DE/Pharmakovigilanz/stufenplanverf/Liste/stp-lumiracoxib.html__nnn=true) zu finden.
Quelle:
Pressemitteilung 31/07 des Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): http://www.bfarm.de/cln_042/nn_1160684/DE/Presse/mitteil2007/pm31-2007.html
Kommentar von rheuma-online:
Die Entscheidung des BfArM ist aus einem anderen Grund sehr ernst, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. Aus meiner sehr persönlichen Sicht hat es für Patientinnen und Patienten in Deutschland, die indikationsgerecht und unter einer vernünftigen ärztlichen Überwachung mit Prexige behandelt wurden, zu keinem Zeitpunkt eine so bedeutsame Gefährdung gegeben, daß dadurch, d.h. allein aus medizinischen Gründen, ein Ruhen der Zulassung von Lumiracoxib zu begründen wäre.
Legte man dieselben Maßstäbe bei Medikamenten an, die schon jahrelang, z.T. jahrzehntelang auf dem Markt sind, könnte man den Arzneimittelbestand in den Apotheken halbieren, vielleicht sogar vierteln. Beispiel ASS, Beispiel Diclofenac, Beispiel Ibuprofen, um nur einige wenige Klassiker aus dem Bereich Rheumatologie, Orthopädie und Schmerztherapie zu nennen. Unter heutigen Bedingungen vermutlich nicht mehr zulassungsfähig. Glücklicherweise ist hier die sogenannte Pharmakovigilanz nicht so aufmerksam wie bei den innovativen, neuen Substanzen, sonst ginge das therapeutische Arsenal in der Abteilung Rheuma und Schmerz zunehmend gegen Null.
Und neue Substanzen? Die Entwicklung solcher Arzneimittel werden sich selbst Pharmariesen nicht mehr erlauben können. Lumiracoxib, d.h. Prexige beispielsweise wurde in zahlreichen klinischen Studien geprüft. Die umfangreichste Studie erfaßte fast 20.000 Patienten, die über ein Jahr lang mit dem Medikament behandelt wurden. Schwerwiegende Nebenwirkungen an der Leber, die nun der Grund für das Ruhen der Zulassung sind, wurden in diesen Studien nicht beobachtet. Bei den nun berichteten Fällen, die zunächst in Australien, später auch in Kanada auffielen, handelt es sich um einige wenige Patienten bei insgesamt mehr als 100.000 behandelten Personen.
Unbestritten: Jeder einzelne Patient, der durch ein Arzneimittel Schaden nimmt, ist ein Patient zuviel. Auf der anderen Seite der Risiko-Nutzen-Abwägung stehen aber die mehr als 100.000 übrigen Patienten, die durch Lumiracoxib eine Linderung der Schmerzen, einen Zugewinn an Mobilität und eine Verbesserung der Lebensqualität erzielt haben, und für die nun zukünftig keine Alternative zur Verfügung steht, wenn die Behandlung mit dieser Substanz nicht zufällig erfolgte, sondern die sogenannten, vom BfArM genannten Alternativen nicht vertragen wurden oder nicht oder nicht ausreichend wirkten.
Welche Gründe zur Entscheidung des BfArM geführt haben, ist gegenwärtig noch nicht abschließend zu beurteilen. Ob es politische Gründe waren, juristische oder ob auch ökonomische Einflüsse eine Rolle spielen, kann man von außen nicht nachvollziehen. Rein medizinisch kann es nicht sein, daß eine Administration in diesem Maße das therapeutische Arsenal beschränkt und Behandlungsentscheidungen einengt, die für ein freies Land mit verantwortungsbewußten Ärztinnen und Ärzten und freien Bürgerinnen und Bürgern undenkbar und zugleich untragbar sind.
Die Medizin in Deutschland scheint immer amerikanischer zu werden. Für Patientinnen und Patienten, die bis jetzt erfolgreich mit Prexige behandelt wurden, gibt es und gab es keinen Augenblick Grund zur Angst. Grund zur Sorge gibt es um die zukünftigen Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit Rheuma, Entzündung und Schmerz. Wir wollen hoffen, daß Politik und Administration das eigentliche Wohl der Menschen im Auge behalten und das Ziel ihres Handelns nicht durch das Interesse der eigenen Absicherung bestimmt wird.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer