Vitaminmangel – in Deutschland kein Thema!
Auch wenn es in einzelnen Bereichen durchaus zu Mangelsituationen kommen kann, so sind doch pauschalisierte Äußerungen zur angeblichen Vitaminunterversorgung sehr mit Vorsicht zu genießen.
Zunächst einmal: Vitaminmangel bedeutet, dass sich durch eine chronische Unterversorgung mit einem oder mehreren Vitaminen bereits eine messbare Störung, bzw. das spezifische Mangelsymptom gezeigt hat (z.B. Skorbut bei Vitamin C-Mangel).
Wenn dagegen bestimmte empfohlene tägliche Zufuhrmengen nicht erreicht werden, so ist dies nicht gleichbedeutend mit einem Vitaminmangel. Da die tägliche Zufuhr bestimmter Nahrungsinhaltsstoffe, also nicht nur der Vitamine, abhängig ist von der aufgenommenen Nahrung, kommt es zwangsläufig zu unterschiedlichen Werten, je nachdem, was man gegessen hat. Selbst wenn man jeden Tag das gleiche essen würde, wären die Werte unterschiedlich, da zumindest alle nicht-synthetischen Lebensmittel nicht jedes Mal gleiche Mengen an Vitaminen, Mineralstoffen usw. enthalten. Je nach Wachstumswetter, Anbaugebiet, Düngung und auch Zubereitungsart sind bei der fertigen Mahlzeit immer unterschiedliche Inhaltsstoffe zu messen. Hieraus resultiert also auch eine schwankende Zufuhr an Vitaminen, an die der menschliche Körper aber gewöhnt ist. Durch die Möglichkeit, Vitamine zu speichern, kann er zudem auch längere „Durststrecken“ gut überstehen.
Wer sich gängige Tabellen anschaut, wird schnell feststellen, dass die angegebenen Referenzwerte, also die empfohlene Tageszufuhr, nicht sehr differenziert angegeben sind. Meistens findet sich bei Vitamintabletten die Angabe „in Prozent der empfohlenen Tagesdosis“, ohne Bezug darauf zu nehmen, wie alt der Verwender ist, wie sein Gesundheitszustand ist und welches Gewicht oder Geschlecht er hat.
Da die Empfehlungen zur Vitaminzufuhr (z. B. der DGE) diese individuellen Schwankungen berücksichtigen sollen, sind jeweils 20-30% Zuschläge einbezogen, so dass ein Unterschreiten der empfohlenen Tagesdosierungen noch lange keinen Mangelzustand bedeutet. In der Regel liegen ausreichende Speicher vor, um kurzzeitige Minderversorgung ausgleichen zu können.
Um den Lebensmittelverzehr und die Nährstoffzufuhr als Maßstab der Versorgung heranzuziehen, müssten Befragungen durchgeführt werden, die alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen erfassen und auch eine objektive Erfassung der verzehrten Mengen ermöglichen. Beides ist aber nur äußerst schwierig zu erreichen, da Personen aus unteren sozialen Schichten oder diejenigen mit schlechtem Ernährungsbewusstsein nur ungern an solchen Studien teilnehmen. Andere Personenkreise nehmen zwar teil, schreiben aber entweder weniger auf, als sie tatsächlich essen („underreporting“) oder sie essen weniger als üblich („undereating“). Beides verfälscht natürlich die Ergebnisse. Eine genaue Beurteilung des Vitaminstatus wäre daher nur mit dafür geeigneten klinischen Methoden durchführbar.
Trotz dieser Erkenntnisse gab es verschiedene Studien in den vergangenen Jahren, die den Versuch unternahmen, eine Bewertung der Vitaminversorgung unter verschiedenen Lebensbedingungen zuzulassen. Eine große Untersuchung z.B. erfasste von 1985-1988 23.209 Personen zwischen 4 und 90 Jahren. 7 Tage lang mussten Verzehrsprotokolle geführt werden. Eine weitere Studie („Bonner Seniorenstudie“) erfasste speziell 1.648 Personen, die älter als 65 Jahre waren und ein 3-Tage-Verzehrsprotokoll geführt hatten. Auch Erinnerungsprotokolle können zur Ermittlung dienen, oder es werden klinisch-chemische Werte gemessen, die eine Beurteilung des Vitaminversorgungszustandes zulassen.
Alle Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, dass die Vitaminversorgung im Durchschnitt der Bevölkerung ausreichend ist, d.h. die empfohlenen Werte werden erreicht oder überschritten. Ausnahmen sind nur Vitamin D, Folsäure und evtl. Vitamin E.
Es wurde aber auch gezeigt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen auf Grund ungünstiger Nahrungsauswahl die Richtwerte für eine ausreichende Vitaminversorgung nicht erreichen. Hieraus ergibt sich für die Ernährungs- und Gesundheitsberatung, dass bestimmte Gruppen zielgerichtet angesprochen werden müssen, um auch hier den Versorgungszustand zu verbessern.
Risikofaktoren für eine schlechte Vitaminversorgung sind:
- Diäten
- geringe Nahrungsaufnahme wegen Appetitverlust (oft im Alter
- einseitige Ernährungsgewohnheiten
- hoher Genussmittelkonsum (so vermindert Rauchen die Aufnahme und erhöht gleichzeitig den Bedarf an Vitamin C)
Verdauungs- oder Verwertungsstörungen - Vitaminverluste durch Fehler bei Lagerung und Zubereitung von Nahrungsmitteln
- besondere Kostformen (z.B. Veganismus)
- Arzneimittel, die z.B. eine Vitaminverwertung verschlechtern.
Die Bevölkerungsgruppen im Einzelnen
Säuglinge
Gemeint sind hier gesunde, ausgewachsene Babys, die in den ersten Lebensmonaten idealerweise mit Muttermilch oder adaptierter (=angepasster) Säuglingsmilchnahrung ernährt werden sollten. Die Nährstoffzufuhr ist hiermit optimal an ihre Bedürfnisse angepasst. Versorgungsmängel gibt es lediglich mit den Vitaminen D und K. Zur Rachitis-Prophylaxe wird im 1. Lebensjahr täglich 10 mg Vitamin D zugegeben (die Tabletten werden in etwas Milch zerdrückt und auf einem Löffel verabreicht); die Vitamin K-Versorgung (zur Vermeidung von Blutungen) wird durch die Gabe von Tabletten (3x2mg) am 1. und 5. Lebenstag, sowie nochmals in der 4.-6. Lebenswoche gewährleistet. Ab dem 4. Lebensmonat muss der Nahrung dann noch zusätzlich Eisen und Vitamin C zugesetzt werden, so dass jetzt die sogenannte „Beifütterung“ einsetzt. Ein alleiniges Stillen kann die ausreichende Nährstoffversorgung nicht mehr garantieren. Eine typische Vitamin C-Mangelerkrankung im Säuglingsalter, die Moeller-Barlowsche Krankheit tritt durch diese Beifütterung bei uns in der Regel nicht mehr auf.
Die Rachitis kommt dagegen heute wieder häufiger vor, da die Prophylaxe oft vernachlässigt wird oder auch die Kinder zu selten an die Sonne kommen und dadurch die eigene Vitamin D-Produktion nicht ausreichend angeregt wird.
Kinder
Die Probleme der ausreichenden Vitaminversorgung bei Kindern liegen häufig in einseitiger Ernährung:
- Zu wenig Obst und Gemüse
- Zu wenig Fleisch
- Zu wenig Milch oder Milchprodukte
Sehr häufig wird einfach den Ernährungsvorlieben der Kinder nachgegeben. Auch zu geringe Nahrungsaufnahme ("schlechte Esser") oder Erkrankungen können eine Rolle spielen.
Gerne wird den Eltern in der Werbung eine zusätzliche Vitamingabe als Fitmacher für ihre Kinder angedient. Es gibt allerdings bis heute keine Beweise dafür, dass eine Zufuhr über den Bedarf hinaus die geistige oder körperliche Leistungsfähigkeit von Kindern erhöht. Bestimmte Erkrankungen können bei Kindern dagegen recht schnell zu Vitaminmangelzuständen führen. Das sind in erster Linie häufige, schnell aufeinander folgende Infektionserkrankungen, da zum einen meist wenig Appetit besteht und daher die Zufuhr vermindert ist und zum anderen können bestimmte Erreger die Vitaminaufnahme in den Körper erheblich beeinträchtigen.
Jugendliche
Durch das Wachstum werden ganz allgemein viele Nährstoffe benötigt. Also: wenn schon mal Fast Food sein muss, dann bitte durch Obst- und Gemüsetage ausgleichen!
Erwerbsalter
Gesunde Erwachsene sind vergleichsweise selten von Vitaminmangel betroffen. Als besondere Risikofaktoren für einen möglichen Vitaminmangel gelten Einseitige Diäten, Rauchen und Alkoholkonsum.
Bei Rauchern ist festzuhalten, dass nicht nur das Rauchen an sich die Vitamin C-Versorgung verschlechtert (s.o.), sondern dass Raucher sich auch sehr häufig weniger mit frischem Obst oder Gemüse ernähren (nach dem Motto: Greife lieber zu HB...). Allerdings würde durch ein Mehr an Obst und Gemüse das Rauchen trotzdem nicht gesünder!!!
Bei häufig hohem Alkoholkonsum wird die Gruppe der B-Vitamine einerseits schlechter aufgenommen und andererseits vermehrt durch die Nieren ausgeschieden, so dass es längerfristig zu einer Verarmung kommen kann. Folgeschäden sind das sogenannte Wernicke-Korsakow-Syndrom, das zu Schädigungen führen kann, die nicht heilbar sind. Auch die Versorgung mit Vitamin D und Calcium leidet, so dass bei Alkoholikern häufiger Knochenbrüche auftreten. Weiterhin kann durch die Leberschädigung die Blutgerinnung gestört sein.
Schwangere/Stillende
Da in der Schwangerschaft zunächst die Bedürfnisse des entstehenden Lebens berücksichtigt werden, können bei vitaminarmer Ernährung vor allem für die werdende Mutter Mangelzustände entstehen. Dies gilt besonders in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft. Die meisten Vitamine und Nährstoffe sind durch ausgewogene Ernährung (Mischkost mit viel Obst und Gemüse) in ausreichender Menge zugeführt. Ein Mangel tritt am ehesten bei den Vitaminen Folsäure und Vitamin D, sowie bei den Mineralstoffen Calcium, Eisen und Jod. Eine Zufuhr von Folsäure wird seit einiger Zeit generell zur Verhütung von Neuralrohrdefekten empfohlen, insbesondere bei familiärer Vorbelastung. Informationen zur Folsäure-Zufuhr in der Schwangerschaft, besonders unter MTX-Therapie finden Sie hier.
Senioren
Bei älteren, insbesondere kranken Menschen findet sich öfter eine Mangelernährung durch
- den insgesamt geringeren Energiebedarf,
- einen allgemeinen Appetitmangel,
- Beschwerden beim Kauen und Schlucken und auch durch
- die Einnahme verschiedener Medikamente, die die Aufnahme von bestimmten Vitaminen im Magen-Darm-Trakt behindern können.
Osteoporose ist eine Erkrankung, die besonders Frauen nach der Menopause betrifft und die durch geeignete Ernährung günstig beeinflusst werden kann. Calcium und Vitamin D müssen in ausreichender Menge zugeführt werden, wobei auch bei bereits bestehender Osteoporose ein Fortschreiten deutlich vermindert werden kann.
Bei über 70-jährigen kommt häufig das Problem der geringeren Produktion von Magensäure hinzu, wodurch die Nahrungsmittel nicht mehr ausreichend aufgeschlossen und die Vitaminaufnahme vermindert werden kann. Dies betrifft besonders das Vitamin B12, so dass auch bei an sich ausreichender Zufuhr eine Mangelsituation entstehen kann. Auch eine chronische Magenschleimhautentzündung kann einen B12-Mangel nach sich ziehen. Für die Therapie kann dann ein Krankenhausaufenthalt notwendig werden.
Ergebnis
Verschiedene Hersteller werben für ihre Vitaminpräparate mit dem Hinweis auf eine Verarmung der Lebensmittel an Vitaminen und Nährstoffen durch landwirtschaftliche Anbaumethoden. Dies konnte aber nicht bewiesen werden, im Gegenteil ist durch eine optimierte Düngung und Fütterung insgesamt eher eine Verbesserung der Nährstoffdichte festgestellt worden. Da im Gegensatz zu früher ganzjährig frische Produkte angeboten werden, sollte es niemandem (sofern er ansonsten gesund ist) schwer fallen, sich täglich seine Vitamindosis über Obst und Gemüse zu verabreichen. Eine zusätzliche Versorgung mit Vitaminpräparaten sollte bestimmten Risikogruppen (s.o.) vorbehalten bleiben und im Zweifelsfall nach Rücksprache mit dem behandelden Arzt erfolgen.