Verspätete Behandlungen kosten Deutschland jährlich 217 Millionen Arbeitsstunden
Eine Studie präsentiert eine Interventionsmaßnahme, die unnötige krankheitsbedingte Ausfälle von EU-weit 1 Million Arbeitnehmern deutlich verringern könnte.
Eine Millionen mehr Beschäftigte als bisher könnten täglich zur Arbeit gehen, wenn sie besseren Zugang zu frühzeitiger Intervention bei muskuloskelettalen Erkrankungen (MSD) wie Rückenschmerzen hätten. Dies ist einem von der Work Foundation verfassten Bericht der Fit for Work Europe Coalition zu entnehmen, der am 16. Oktober 2013 bei einem Kongress im Europäischen Parlament in Brüssel mit Unterstützung der litauischen EU-Ratspräsidentschaft vorgestellt wurde.
Nachdem viele EU-Mitgliedsstaaten damit rechnen müssen, dass bis 2030 bei 50 Prozent der Bevölkerung MSD diagnostiziert wird, rät der Bericht dringend dazu, einer frühzeitigen Behandlung von MSD höchste Priorität einzuräumen, um das Problem in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus veranschaulicht die Studie, wie mit Hilfe eines erprobten und bewährten Modells dauerhafte Arbeitsbeeinträchtigungen länderübergreifend um 50 Prozent reduziert werden könnten.
MSD gelten als die EU-weit häufigste Ursache für krankheitsbedingte Ausfälle: 44 Millionen Beschäftigte leiden an muskoskelettalen Beschwerden wie Rückenschmerzen oder Verspannungen in Nacken, Schultern und Armen. Die Fehlzeiten und Produktivitätsausfälle verursachen jährlich Kosten in Höhe von bis zu 240 Milliarden EUR. Das entspricht 2 Prozent des EU-weiten Bruttoinlandprodukts. Der Bericht fordert deshalb die EU-Mitgliedsstaaten auf, zwischen Regierungsbehörden, Arbeitgebern und Medizinern koordinierte Maßnahmen zu ergreifen, um das Problem anzugehen und Kosten in Milliardenhöhe einzusparen sowie den von den massiven Beschwerden Betroffenen zu helfen.
„Unsere Analyse hat ergeben, dass der Zugang zu frühzeitiger medizinischer Intervention für Beschäftigte mit MSD derzeit keine Priorität hat“, sagte Professor Stephen Bevan, Gründungspräsident der Coalition, die praktizierende Ärzte, Patientenverbände, Ökonomen und Forscher vertritt, die sich für gesundheitsfördernde Bedingungen für Arbeitnehmer einsetzen. „Tausende Beschäftigte sind unnötig lange krank oder fallen dauerhaft aus, obwohl bewährte Maßnahmen dabei helfen könnten, ihre Genesung zu beschleunigen und sie früher an den Arbeitsplatz zurückzubringen“, fügte er hinzu.
An einer Klinik für frühzeitige Interventionen bei MSD in Madrid wurde ein zweijähriger erfolgreicher Modellversuch durchgeführt. Auf Grundlage der hier gewonnenen Daten hat die Fit for Work Europe Coalition eine Hochrechnung erstellt, die einen vergleichbaren Erfolg für zwölf EU-Mitgliedstaaten in Aussicht stellt. 13.000 Arbeitnehmer mit MSD wurden nach fünf Krankheitstagen untersucht und behandelt. Dadurch gelang es der Madrider Klinik, die temporären Fehlzeiten um 39 Prozent und Fälle dauerhafter Arbeitsunfähigkeit um 50 Prozent zu reduzieren. Der Bericht erläutert die Implikationen dieser Ergebnisse für zwölf EU-Mitgliedstaaten und legt Schätzungen für alle 28 EU-Mitgliedstaaten vor.
„Wenn dieses Vorgehen in der gesamten EU wiederholt würde, könnten unseren Schätzungen zufolge täglich bis zu 1 Million Beschäftigte, die derzeit ausfallen, am Arbeitsplatz zur Verfügung stehen“, fuhr Professor Stephen Bevan fort. „Dies würde zu einem deutlichen Produktivitätsschub führen sowie Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall spürbar reduzieren. Und das zu einer Zeit, in der die Mitgliedstaaten gezwungen sind zu sparen und ihr Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Selbst wenn die Fehlzeiten statt um 39 Prozent nur um 25 Prozent reduziert würden, stünden unseren Berechnungen zufolge täglich 640.000 Beschäftigte mehr zur Verfügung.“
Die Studie unter Federführung von Professor Juan Jover hat gezeigt, dass ähnliche Ergebnisse alleine in Spanien, wo jährlich 26 Millionen Arbeitstage MSD-bedingt ausfallen, dazu führen würden, dass täglich 46.000 Beschäftigte zur Verfügung stünden, die derzeit gesundheitsbedingt fehlen. Wie der Tabelle unten zu entnehmen ist, ergeben sich für die elf weiteren EU-Mitgliedsstaaten ähnlich signifikante Werte. In Deutschland, wo jährlich 217 Millionen Arbeitsfehltage aufgrund von MSD verzeichnet werden, könnten bei einer Wiederholung der Madrider bis zu 480.000 Menschen mehr pro Tag als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen (39 Prozent).
„Ich hatte richtig Angst vor den Folgen [meiner Krankheit] für meine Berufstätigkeit. Doch die zeitnahe und richtige Diagnose, Behandlung und Pflege haben mir geholfen, die unerträglichen Schmerzen schnell wieder loszuwerden“, schilderte Purification Tejeda, die wegen eines Karpaltunnelsyndroms an heftigen Schmerzen litt, ihre positive Erfahrung mit der auf frühzeitige Interventionen spezialisierten Klinik. „Dass ich wieder arbeiten gehen kann, verdanke ich dieser Klinik. Die Arbeit ist mir wichtig. Ich fühle mich dadurch nützlich und verantwortlich. Jetzt fühle ich mich wieder lebendig.“
Die vollständigen Untersuchungsergebnisse der Studie wurden am 16. Oktober 2013 auf einem von der Fit for Work Europe Coalition veranstalteten Kongress im Europäischen Parlament vorgestellt. Der litauische Gesundheitsminister der EU und internationale Delegierte aus Sozial- und Gesundheitsministerien, Unternehmen und Gesundheitsverbänden waren anwesend.
Zum 5. Fit-for-Work-Europe-Kongress „Investing in Healthcare: Breaking down the Silos” im Europäischen Parlament in Brüssel wurde am 16. Oktober 2013 die unten angehängte Infografik (PDF) veröffentlicht.
Weitere Informationen:
- Dateien:
- F4W_Summit_Infografik.pdf483 K