TNF-Blocker bei Bandscheibenvorfall - die Therapie der Zukunft?
Eine finnische Arbeitsgruppe konnte die hervorragende Wirkung des TNF-alpha-Blockers Infliximab (Remicade) auf die Schmerzen und Bewegungsfähigkeit bei Patienten mit einem akuten Bandscheibenvorfall nachweisen.
Die Studienergebnisse der finnischen Arbeitsgruppe um Dr. Karppinen von der Universitätsklinik in Oulu sind bahnbrechend und wecken eine vielversprechende Hoffnung auf schnelle Besserung akuter Schmerzen bei einem Bandscheibenvorfall.
10 Patienten mit schweren Ischiasschmerzen im Rahmen eines Bandscheibenvorfalls erhielten eine Infusion mit dem Tumor-Nekrose-Faktor-alpha-Blocker (TNF-alpha-Blocker) Infliximab (bekannt unter dem Handelsnamen Remicade) in einer Dosierung von 3 mg pro Kilogramm Körpergewicht.
Bereits eine Stunde nach der Infusion berichteten 50% der Patienten von einem Rückgang der Beinschmerzen. Nach zwei Wochen waren 60% der Patienten komplett beschwerdefrei. Nach 3 Monaten waren 90% der mit Infliximab Behandelten ihre quälenden Schmerzen vollständig los.
Als Kontrollgruppe wurden 62 Patienten gewählt, deren Ischiasschmerzen mit Kochsalzspritzen um die betroffenen Nervenwurzeln behandelt wurden. Im Vergleich zu der Infliximabgruppe war es um diese Patienten deutlich schlechter bestellt. Nach zwei Wochen waren nur 16% schmerzfrei und nach drei Monaten lediglich 46%.
Auch auf die Arbeitsfähigkeit hatte die Infliximabtherapie einen überzeugenden Einfluß: Bereits einen Monat nach der Infliximab-Infusion waren alle Patienten wieder am Arbeitsplatz. In der Kontrollgruppe waren nach einem Monat hingegen nahezu 40% der Patienten noch krankgeschrieben.
Im weiteren Verlauf mußte kein Patient aus der Infliximab-Gruppe operiert werden. Unter Infliximab traten keine Nebenwirkungen auf.
Diese hervorragenden Ergebnisse stimmen die Autoren zu Recht sehr optimistisch. Auf Grund der geringen Fallzahl sind allerdings noch weiterführende Studien mit größeren Patientenzahlen notwendig.
Bestätigen sich die Ergebnisse, so deutet sich für Patienten mit einem akuten Bandscheibenvorfall eine echte therapeutische Alternative zur bisherigen Behandlungsstrategie an. Die bisherige
konservative, d.h. nicht-operative Vorgehensweise mit Schmerzmitteln, Kortison, Bewegungstherapie und Stufenlagerung ist oft sehr langwierig und teilweise sogar aufwendiger im Vergleich zur Infliximab Behandlung, bei der sich die esrten Erfolge bereits nach einer Stunde einstellen können.
Außerdem besteht die Hoffnung, dass vielen Patienten - außer bei sehr schweren Bandscheibenvorfällen mit Lähmungserscheinungen - eine Operation erspart werden kann. Experten schätzen, dass die Häufigkeit von Bandscheiben-OPs durch den Einsatz der neuen Behandlung mit TNF-Antikörpern um über 50 Prozent verringert werden kann.
Ein Wermutstrophen in die aufkeimende Euphorie:
Aus der Anwendung von Infliximab in der Rheumatologie wissen wir, daß diese Therapie nicht so harmlos ist, wie es nach den Ergebnissen dieser sehr kleinen Studie bei Patienten mit Bandscheibenvorfall klingen mag ("keine Nebenwirkungen").
So kann es unter der Infusion zu sehr schweren und z.T. sogar lebensbedrohlichen Infusionsreaktionen bis hin zum Herz-Kreislauf-Schock und anderen schweren Unverträglichkeitsreaktionen kommen.
Weiterhin ist aus der Rheumatologie bekannt, daß eine Behandlung mit TNF-alpha-Blockern mit einem erhöhten Infektionsrisiko einhergeht, speziell im Fall von Infliximab auch mit einem erhöhten Tuberkulose-Risiko. Ob dieses Infektionsrisiko bereits bei einer einmaligen Infusion oder erst bei mehreren Infusionen erhöht ist, kann augenblicklich nicht beurteilt werden.
Nicht zuletzt spielen in unserer heutigen budgetierten Welt auch Kostenüberlegungen eine wesentliche Rolle.
Eine einmalige Infliximab-Infusion ist zwar deutlich preiswerter als eine Bandscheibenoperation. Andererseits liegt der Preis aber in einer Größenordnung, die einen unkritischen Einsatz dieser neuen Therapieform verbietet.
Da Infliximab für die Behandlung eines Bandscheibenvorfalls nicht zugelassen ist, dürfen gesetzliche Krankenkassen die Kosten dafür nicht übernehmen. Wie sich die privaten Krankenkassen und beispielsweise andere Kostenträger wie die Beihilfe verhalten, kann derzeit noch nicht allgemein beurteilt werden.
Zugleich gelten beim Einsatz dieser Therapie besondere rechtliche Bestimmungen, da es sich um eine experimentelle Behandlung mit einem speziellen, gesonderten Aufklärungsbedarf handelt. Dies schließt auch eine besondere haftungsrechtliche Problematik mit ein, da im Hinblick auf die Arzthaftung beim Auftreten von Nebenwirkungen, Zwischenfällen und Komplikationen die Anwendung von Infliximab bei einem akuten Bandscheibenvorfall nicht durch die offizielle Zulassung gedeckt ist.
Insgesamt bewerten wir die Therapie eines akuten Bandscheibenvorfalls mit TNF-alpha-Blockern als sehr interessante Option, die unbedingt in klinischen Studien weiter untersucht und abgesichert werden muß. In keiner Weise kann heute davon ausgegangen werden, daß es sich bei dieser Behandlung um eine Routinemethode handelt. Deshalb sollte sie nur in kontrollierten Settings und in speziellen Einrichtungen / Zentren mit einer ausgewiesenen Erfahrung im Einsatz von biologischen Substanzen eingesetzt werden und zugleich nur dann erfolgen, wenn eine sorgfältige begleitende wissenschaftliche Dokumentation sichergestellt ist.
Literatur: 1. Karppinen J, Korhonen T, Malmivaara A, Paimela L, Kyllonen E, Lindgren KA, Rantanen P, Tervonen O, Niinimaki J, Seitsalo S, Hurri H. Department of Physical Medicine and Rehabilitation, Oulu University Hospital, Finland. Tumor necrosis factor-alpha monoclonal antibody, infliximab, used to manage severe sciatica. Spine. 2003 Apr 15;28(8):750-3; discussion 753-4.
2.Cooper RG, Freemont AJ. TNF-alpha blockade for herniated intervertebral disc-induced sciatica: a way forward at last? Rheumatology 2004; 43:119-121.