Studie gegen Studie: In dieser aktuellen, zahlenmäßig sehr großen Studie keine erhöhte Herzinfarktrate unter Celebrex
Leider wird diese zahlenmäßig fast gigantisch zu nennende Studie an mehr als 1.4 Millionen Versicherten gegenwärtig in den lauten Medien nicht zitiert. Das leise, dafür aber sehr wichtige Ergebnis: Kein kardiovaskuläres Risiko von Celebrex. Das heißt: Nach den Ergebnissen dieser ganz aktuellen Studie wird das Risiko eines Herzinfarktes durch die Einnahme des COX-2-Hemmers Celecoxib (Celebrex) nicht erhöht.
Die plötzliche Rücknahme des COX-2-Hemmers Rofecoxib (Vioxx) vom Medikamentenmarkt hat zu einer Welle der Verunsicherung bei Patienten und Ärzten geführt. Studienergebnisse deckten auf, dass es bei Patienten mit colorektalen Adenomen (Dickdarmtumoren) unter einer Langzeittherapie mit Rofecoxib über 3 Jahre nach einem Zeitraum von eineinhalb Jahren zu einem gehäuften Auftreten von Herzinfarkten und Schlaganfällen kommt (siehe dazu den ausführlichen Dezember-Beitrag von Priv. Dr. Langer bei rheuma-online).
Die im Raum stehende Frage, inwieweit andere Vertreter aus der Gruppe der COX-2-Hemmer ebenfalls ein erhöhtes Herzinfarktrisiko bergen, sollte in einer sehr großen Studie beantwortet werden, die von der amerikanischen Zulassungsbehörde für Medikamente (FDA) gefördert wurde. In dieser retrospektiven (rückblickenden) Studie, die immerhin auf die Daten von mehr als 1.4 Millionen Versicherten einer großen amerikanischen Versicherungsgesellschaft zurückgreift und die bereits im August auf einem wissenschaftlichen Kongress vorgetragen wurde, fand sich zumindest für Celecoxib kein Hinweis auf ein gesteigertes Infarktrisiko oder sonstiges kardiovaskuläres Risiko.
Celecoxib erlangte - wie andere Vertreter aus der Familie der Coxibe - in den letzten Jahren einen hohen Stellenwert zur Behandlung von Schmerzen bei Arthrose und entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis. Vorteil dieser Substanzgruppe gegenüber den herkömmlichen cortisonfreien Rheumamitteln (NSAR) ist die bessere Verträglichkeit im Magen-Darmbereich. Vor allem ältere Patienten, Patienten mit anderen magenbelastenden Medikamenten oder Patienten, die bereits an einem Geschwür erkrankt waren, profitieren von den Coxiben.
In der oben erwähnten Studie wurden die Daten von 1.4 Millionen Patienten im Alter zwischen 18 und 84 Jahren zusammengetragen. Untersucht wurde die Häufigkeit von Herzinfarkten oder eines plötzlichen Herztodes bei Einnahme von Celecoxib, Rofecoxib oder herkömmlichen NSAR - Präparate (z. B. Naproxen, Ibuprofen, Diclofenac).
Es zeigte sich, dass das Risiko eines akuten Herzinfarktes bei Patienten unter Rofecoxib (in einer Dosis > 25mg/Tag) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (ohne Medikamente) mit 31% am höchsten lag. Auch das nicht zu der Gruppe der Coxibe gehörige Naproxen führte zu einer Risikoerhöhung von 18%. Betrachtet man hingegen die Patienten, die unter einer Therapie mit Celecoxib standen, so findet sich sogar ein um 14% niedrigeres Infarktrisiko, als in der Kontrollgruppe.
Laut dieser Daten sind also die Bedenken, die für Rofecoxib hinsichtlich eines erhöhten Herzinfarktrisikos gelten, nicht unmittelbar auf Celecoxib zu übertragen. Im Gegenteil scheint die Therapiesicherheit von Celebrex diesbezüglich nicht nur einer Rofecoxib-, sondern auch einer Naproxenbehandlung überlegen zu sein.
Literatur:
Graham DJ et al.; Risk of acute myocardial infarction and sudden cardiac death with use of COX-2 selective and nonselective NSAIDS. Abstract präsentiert anlässlich des ISPE 2004
<color = blue>Kommentar von Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer:</color>
Demgegenüber steht die ganz aktuelle Risikowarnung aus einer Studie an Patienten, die wegen Darmtumoren mit hohen und sehr hohen Dosen Celecoxib (Celebrex) behandelt wurden (400 mg pro Tag oder 800 mg pro Tag). Hier war das kardiovaskuläre Risiko, d.h. beispielsweise für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall, unter der Dauereinnahme über 33 Monate, d.h. knapp 3 Jahre, um das 2,5-fache (für 400 mg pro Tag) bzw. das 3,5-fache erhöht (für 800 mg pro Tag). Eine praktisch identische Studie, bei der Celebrex gegenwärtig ebenfalls zur Rezidivprophylaxe von Darmtumoren getestet wird, zeigte bislang bei einer ebenfalls sehr langen ununterbrochenen Einnahme von Celebrex (bei einigen Patienten läuft die Studie schon im fünften Jahr) kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.
Im übrigen ein Zitat aus meiner gestrigen Sprechstunde, daß die gegenwärtige Situation auf den Punkt trifft:
" ... bei meiner Mutter war Vioxx das einzige, was geholfen hat. Nun bekommt sie mittlerweile Morphiumpflaster ..."
Die Frage ist, wie lange es Morphiumpflaster noch gibt. Denn ganz völlig ohne mögliche Nebenwirkungen soll Morphium auch nicht sein.
Zuletzt ein Hinweis in eigener Sache: Ich werde die nächsten Tage nicht im vollen Umfang zur Verfügung stehen. Grund: Schnellkurs in Jura. Ich werde mich Anfang nächsten Jahres auf Sammelklagen spezialisieren. In Deutschland gibt es ca. 30.000 offiziell zugelassene, wirksame Medikamente. Jedes dieser Medikamente, das auch wirklich wirksam ist, hat auch mögliche Nebenwirkungen. Packen wir es an. Wie war noch das schöne, beispielhafte Urteil aus den USA? Es verletzte sich der Einbrecher beim Einschlagen der Fensterscheibe des Hauses. Wegen dieser Verletzung verklagte er den Hausbesitzer, da dieser nicht dafür Sorge getragen hatte, daß man sich beim Einschlagen der Fensterscheibe nicht verletzt.
Verurteilt wurde: ... der Hausbesitzer.
Möglicherweise hätte ein Warnhinweis gereicht (von außen, auch in tiefer dunkler Nacht und auch ohne Taschenlampe gut lesbar), daß beim Einschlagen der Fensterscheibe das Glas brechen kann und man sich an den Glasscherben verletzen kann. Und daß man sich schneiden kann, wenn man durch die eingeschlagene Fensterscheibe in das Haus einsteigt.
Die Geschichte ist kein Joke, sondern bittere Realität. Schlimm ist, daß ein solches Rechtssystem Auswirkungen auf die Medikamentenversorgung von schwerkranken Patienten in aller Welt hat. Aber es gibt auch hier eine Lösung. Mittelfristig werden die Apotheken boomen, die Pillen wieder nach Anweisung des Arztes selbst drehen. Zu diesen Pillen gibt es dann keine umfangreichen klinischen Studien, wir wissen zwar nichts über ihre Wirkung, dafür aber noch weniger über ihre möglichen Nebenwirkungen, und wenn es zu einer Klage kommt, ist das Risiko begrenzt.
Wo ich dieses schreibe, kommt mir gerade die nächste Geschäftsidee: Ich werde mit Aldi Kontakt aufnehmen. Wir bringen Anfang nächsten Jahres das große Heimwerker-Set heraus. Arbeitstitel: medicodomo - Medis selber mischen ganz leicht gemacht. Da weiß man wenigstens, was man hat.