Schwein gehabt? Bei Schweinegrippe nicht.
In Zeiten des Wahlkampfes ist alles bedeutsam. Die Krise. Die Abwrackprämie (Achtung: Extremer Endspurt!). Die Schweinegrippe. Kommt die Epidemie? Und wenn: Was ist für Patienten mit rheumatischen Erkrankungen von Bedeutung?
Die Lage ist schwierig zu beurteilen. Kommt die Epidemie? Steht Deutschland still? Tausende, Abertausende von Schweinegrippe-Kranken? Tote über Tote?
Nach anfänglichen, fast panikartigen Epidemiebefürchtungen scheint sich die Einschätzung zu beruhigen. Die Schweinegrippe zwingt uns nicht dazu, Schulen zu schließen oder am öffentlichen Leben nur noch mit Mundschutz teilzunehmen, und auch Begrüßungen mit Handschlag sind gesellschaftlich wieder erlaubt. Heute habe ich sogar Patienten behandelt, die allen Ernstes nächste Woche nach Mallorca fliegen wollen.
Ich finde das in Ordnung. Ich weiß nämlich nicht, ob die Schweinegrippe so bedeutsam ist, weil sie bedeutsam ist, oder ob die Schweinegrippe ein Thema ist, weil sie gerade gut in das Sommerloch paßte, oder ob die Schweinegrippe eine gefühlte Bedrohung ist, bei der unser fürsorglicher Staat zeigen kann, daß er in Wahlkampfzeiten für uns da ist und viel Geld, was im übrigen unser aller Geld ist, dafür bereitstellt, daß es für alle relevanten Personengruppen genug Impfstoff gibt.
Die gute Botschaft: Da Angela Merkel wiedergewählt werden will, hat die Regierung die Schweinegrippelage im Griff. Und sollte es an irgendeinem Ort in Deutschland logistische Probleme geben: Ich bin mir sicher, daß der Dienstwagen von Ulla Schmidt der erste ist, der neuen Impfstoff dorthin bringt. Notfalls auch von Alicante.
Nun aber zum ernsten Teil der Angelegenheit. Es wird nicht genug Impfstoff für alle Deutschen geben. Wer also soll geimpft werden? Klar ist: Medizinisches Personal, sonstige Gefährdete, chronisch Kranke.
Wie sieht es aber mit Patienten mit rheumatischen und immunologischen Erkrankungen aus?
Eindeutig fallen sie aus meiner Sicht in die Gruppe der Personen, die Anspruch auf eine Impfung haben. Was gibt es aber zu beachten? Diese Frage beherrscht im Augenblick viele meiner Beratungen in der Praxis.
Meine derzeitigen Empfehlungen:
1. Patienten mit rheumatischen oder immunologischen Systemerkrankungen gehören zur Risikogruppe und sollten gegen Schweinegrippe geimpft werden, sobald der Impfstoff verfügbar ist. Damit ist ca. Mitte Oktober zu rechnen.
2. Nach meinem gegenwärtigen Kenntnisstand sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Impfstoffe in der Erprobung, nämlich ein "normaler" Impfstoff und ein Impfstoff, der mit einem Immunverstärker kombiniert ist. Der Vorteil des zweiten Impfstoffes: Man braucht weniger Substanz. Der mögliche Nachteil: Der Immunverstärker, der von der Theorie her möglicherweise nicht nur die Wirksamkeit der Impfung verstärkt, sondern unter Umständen auch die Gefahr in sich birgt, daß er, gerade bei Patienten mit rheumatischen und immunologischen Erkrankungen, immunologische Prozesse anschiebt und verstärkt, die wir in der Rheumatologie und klinischen Immunologie nun überhaupt nicht sehen wollen. Meine Beratung geht deshalb im Augenblick dahin: Impfung ja, aber nach Möglichkeit mit einem "normalen" Impfstoff und nicht mit einem Impfstoff mit Immunverstärker.
3. Glücklicherweise haben wir noch etwas Zeit. Die klinischen Prüfungen des Impfstoffs laufen; erst wenn die Ergebnisse vorliegen, sollten abschließende Empfehlungen gegeben werden.
4. Die gute Nachricht zum Schluß: Offensichtlich verläuft bei uns die Schweinegrippe anders als z.B. in den Armutsvierteln in Mexiko, wo sie mit einer hohen Sterblichkeitsrate einherging. Und: Hochwirksame Grippemittel wie z.B. Tamiflu sind auch bei der Schweinegripppe offensichtlich schnell und effektiv wirksam. Grund zur Panik sollte es deshalb nicht geben.
Wir werden am Thema bleiben und unsere User weiter informieren. Vorerst denken wir, daß das Leben in weitgehender Normalität weitergehen sollte wie bisher. Was nicht bedeutet, daß man Grundregeln der Hygiene im Augenblick nicht noch intensiver beachten sollte als ohnehin.