Rheuma operativ behandeln: Ersetzt die Tablette das Skalpell?
Genauso wenig wie gesagt werden kann „Ersetzt das Skalpell die Tablette?“ ist es umgekehrt. Die konservativen und die medikamentösen und operativen Verfahren sind komplementäre Therapiestrategien, die alle ihren eigenen Platz in der Versorgung der Patienten des rheumatischen Formenkreises aufweisen. Eine enge Absprache über das perioperative Management in Bezug auf die modernen (aber auch komplikationsträchtigen) Medikamente ist dabei interdisziplinär angezeigt.
Immer mehr Patienten werden heute mit modernen entzündungshemmenden Medikamenten (zum Beispiel Biologika) behandelt, deren Auswirkungen auf die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises eine massive Verbesserung der objektiven und subjektiven Parameter für die Betroffenen erbracht hat.
Stand vor dem Jahr 2000 das Verhindern der schnellen Progredienz von Gelenkzerstörungen im Mittelpunkt der Therapieansätze der internistischen und orthopädischen Rheumatologie, wird heute die vollständige Remission gefordert, es ist gar die Rede von einer „Heilung“. Es stellt sich somit die Frage nach der Erübrigung der operativen Interventionen bei dieser Patientengruppe.
In der Tat hat sich das Spektrum der rheumaorthopädischen Einrichtungen verschoben. Die Anzahl der entzündungsbedingten Frühsynovektomien (Gelenkschleimhautentfernungen) insgesamt werden in den spezialisierten Zentren gegenüber der Ära davor drastisch reduziert.
Gleichwohl ist diese nicht gegen Null gefahren, da es eine ganz Menge von Patienten gibt, bei denen es unter einer suffizienten Basismedikation trotzdem zu wenigen Gelenken kommt, die selbst unter aggressiver konservativer Therapie eine Synovialitis aufweisen, die einer operativen Intervention zugeführt werden müssen.
Hinzu kommt, dass nicht alle Patienten auf moderne Medikationen ansprechen, es kommt zu „Non-Respondern“ oder Unverträglichkeiten. Die Betroffenen profitieren dann nicht von dem Effekt der modernen Medikamente.
Insgesamt aber hat sich die Teilhabe am sozialen Leben der Patienten mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises heute jedoch erheblich verbessert. Das führt zu einer Verlängerung der Lebenszeit gegenüber früher mit einem Angleichen zu dem der Normalbevölkerung.
Die Normalisierung der Lebensgewohnheiten erzeugt jedoch auch höhere Ansprüche der „Rheumatiker“ gegenüber vorher. Somit ist der Bedarf an einer ungetrübten Lebensqualität auch im Hinblick auf die Versorgung mit endoprothetischen Eingriffen gestiegen. Dieses gilt insbesondere für die mittleren bis kleinen Gelenke, denn die Hüft- und Knie-Endoprothetik ist auch zuvor bereits genutzt worden, um die Steh- und Gehfähigkeit zu gewährleisten. Heute werden zunehmend auch Versorgungen der Sprung-, Ellenbogen-, Hand-, Finger- und Schultergelenke nachgefragt.
Dazu kommt, dass auch heute noch eine hohe Zahl von Patienten nicht innerhalb der ersten Zeit nach Symptomausbruch wirklich intensiv mit Medikamenten behandelt wird, die auch eine Entwicklung von Gelenkschäden minimieren (Deutschland ist im Vergleich der europäischen Länder im unteren Drittel der Verschreibungshäufigkeit von Biologika).
Dadurch werden zwar Symptome gemindert und auch die rasche Progredienz von Schäden an den Gelenken reduziert, es kommt aber im Verlauf dennoch zu der Notwendigkeit der Implantation künstlicher Gelenke.
Zuletzt kommt es bei der erfolgreichen Unterdrückung der Entzündungs-prozesse in der modernen Rheumatologie zu einem Effekt der hochpotenten Medikamente, der allseits gefürchtet ist: der Entwicklung einer bakteriellen Infektion von Gelenken unter der Therapie (sowohl spontan an nicht voroperierten als auch an bereits endoprothetisch versorgten Gelenken).
Oft ist eine lokale Exazerbation der Grunderkrankung mit einem nicht bakteriellen („rheumatischen“) klinisch kaum von dem bakterienbedingten Infekt zu unterscheiden, der jedoch schnellstmöglich operativ versorgt werden muss, damit dem Patienten keine lebensbedrohliche allgemeine Sepsis blüht.
Eine danach sich anschließende erneute oder eine Erstversorgung mit einem künstlichen Gelenk ist vielfach nicht möglich oder mit hohen Komplikationsraten versehen. Ein Gelenkinfekt unter Biologika ist auch deshalb problematisch, da die (unterschiedliche) Halbwertszeit der Medikamente, die die körpereigenen Abwehrprozesse unterbinden, eine rasch erfolgreiche Unterbindung eines lokalen oder generalisierten Infekts verhindert beziehungsweise erschwert.
Fazit: Genauso wenig wie gesagt werden kann „Ersetzt das Skalpell die Tablette?“ ist es umgekehrt. Die konservativen und die medikamentösen und operativen Verfahren sind komplementäre Therapiestrategien, die alle ihren eigenen Platz in der Versorgung der Patienten des rheumatischen Formenkreises aufweisen. Eine enge Absprache über das perioperative Management in Bezug auf die modernen (aber auch komplikationsträchtigen) Medikamente ist dabei interdisziplinär angezeigt.
Quelle:
Vortrag Professor Dr. med. Stefan Rehart, Schriftführer der Assoziation für Orthopädische Rheumatologie (ARO), Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie und Leiter der Abteilung für Physikalische Therapie am Markus-Krankenhaus, Akademisches Lehrkrankenhaus der Goethe-Universität, Frankfurt/Main
Pressekonferenz anlässlich des 38. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh)
Donnerstag, 16. September 2010, Hamburg