r-o Special: Glucocorticoide in der Schwangerschaft und Stillzeit
Cortison gehört zu den Medikamenten, um die die meisten Gerüchte und Halbwahrheiten kreisen. Viele Patienten scheuen sich daher, Cortison einzunehmen. Eine Cortisontherapie während der Schwangerschaft erscheint ihnen völlig undenkbar. In der Rheumatologie ist jedoch auch während der Schwangerschaft bei einigen Patientinnen eine Cortisontherapie unverzichtbar und auch machbar. Die korrekte Vorgehensweise für diese Fälle haben Spezialisten während der internationalen Konsensus-Konferenz im September 2004 erarbeitet.
Die Plazenta (der Mutterkuchen) verfügt über ein Enzymsystem, das Cortisol in relativ inaktive Formen überführt. Nur ca. 10% der aktiven Form erreichen das ungeborene Kind (den Fötus) [1]. Glucocorticoide, d.h. Cortisonpräparate mit einem Fluor in der 9-alpha-Position (Betamethason und Dexamethason) werden in erheblich geringerem Maße in der Plazenta metabolisiert (verstoffwechselt). Sie führen damit zu höheren Dosen beim Kind im Mutterleib. Dies kann in einigen Fällen therapeutisch erwünscht sein, hat aber umgekehrt auch eine Bedeutung für möglicherweise stärkere Nebenwirkungen.
Für die Schwangerschaft relevante Nebenwirkungen
Glucocorticoide können bei schwangeren Patientinnen die gleichen unerwünschten Effekte wie bei nicht-schwangeren Frauen verursachen. Eine Blutdruckerhöhung, Osteopenie (Kalksalzverlust des Knochens), Osteonekrose (Knocheninfarkte, speziell in der Kugel des Hüftgelenks oder des Schultergelenks) oder erhöhte Anfälligkeit für Infekte haben jedoch während einer Schwangerschaft eine andere Relevanz.
Die Schwangerschaft kann in späteren Stadien eine Insulinresistenz mit Glucose-Intoleranz induzieren, d.h. Cortison kann zu einer Zuckerkrankheit führen (die nach der Schwangerschaft dann wieder verschwindet). Hier besteht die Gefahr einer ernsteren Schwangerschaftskomplikation, eines sogenannetn Gestationsdiabetes, da eine Cortisontherapie die Glucose-Intoleranz noch weiter verschlechtern kann.
Mögliche mutagene und teratogene Effekte
Ergebnisse aus Fallstudien und prospektiven Studien liefern Hinweise, dass Hydrocortison und Prednison während des ersten Trimenon (die ersten 3 Schwangerschaftsmonate, von gr. tri=3 und menos= Monat) zu einem geringfügig vermehrten Auftreten von Gaumen- und Lippenspalten führen können.
Daten einer prospektiven Studie mit Prednison und anschließender Metaanalyse ergaben eine Odds Ratio von 3,4 für diese Form der Fehlbildung. Da Gaumenspalten in der Bevölkerung generell mit einer Häufigkeit von 1:1000 gesehen werden, wird der mögliche Anstieg auf 3:1000 bis 4:1000 von den Autoren als minimal erachtet.
Insgesamt betrachtet, scheinen Corticosteroide das Risiko für Fehlbildungen beim Menschen nicht wesentlich zu erhöhen.
Der Einfluss der Corticosteroide auf das intrauterine Wachstum, das heißt das Wachstum im Mutterleib, wird kontrovers diskutiert. Einige Autoren berichten über Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht, wenn die Mutter mit Cortison behandelt wurde [3], während andere Autoren keinen Einfluss von Cortison auf das Geburtsgewicht beobachteten [4].
Infektionen bei Neugeborenen nach einer vor der Entbindung (ante partum) notwendigen Cortisontherapie der Mutter wurden selten beschrieben [5]. Die Behandlung der Mutter mit Corticosteroiden führte nicht zu einer Immunsuppression des Neugeborenen [6].
Pränatale Exposition mit synthetischen fluorierten Corticosteroiden
Bei Schwangeren mit erhöhtem Risiko für eine vorzeitige Geburt reduzierte die einmalige Gabe von 24 mg Betamethason oder Dexamethason zwischen der 24. und 36. Schwangerschaftswoche eindeutig das Risiko für Todgeburten, für Atemnotsyndrome oder zerebrale Blutungen (Hirnblutungen) bei den zu früh geborenen Kindern [7].
Zwischenzeitlich gibt es vermehrt Hinweise auf potenzielle Schädigungen von Mutter und Kind nach mehrfacher Gabe von fluorierten Corticosteroiden.
Bei Tieren wurde eine Interaktion mit dem Wachstum und der Entwicklung des unreifen Gehirns angenommen. Bei Menschen beeinflusst die perinatale Verabreichung von Dexamethason vermutlich die neuro-psychologische Entwicklung des Kindes [8-10].
Das NIH (National Institutes of Health) hat deshalb in einer Konsensus-Konferenz 2000 die bereits getroffene Stellungnahme zum positiven Effekt einer einmaligen pränatalen Corticosteroidgabe bestätigt (pränatal von lat. prä = vor und natum = geboren, d.h. vor der Geburt). Im Hinblick auf die möglichen Gefahren sollen fluorierte Corticoide in der Routine nicht mehr wiederholt verabreicht werden [11].
Diese negativen Effekte scheinen mehr unter Dexamethason als unter Betamethason aufzutreten [12]. Eine Cochrane-Analyse hat zudem gezeigt, dass nur Betamethason die neonatale Mortalität, d.h. die Neugeborenensterblichkeit signifikant senkte [13].
Die neuropsychologische Entwicklung wurde durch Corticosteroide, die durch Plazentaenzyme inaktiviert werden, nicht gestört [14].
Stillen
Hydrocortison wird nur in Spuren mit der Muttermilch ausgeschieden [15]. Selbst bei einer Dosierung von 80 mg Hydrocortison würde das gestillte Kind mit nur 10 µg/kg belastet. Das entspricht <10% der kindlichen endogenen Cortisolproduktion [16]. Daten für Dexamethason und Betamethason in der Stillzeit liegen nicht vor.
Zusammenfassend erarbeitete die Konsensus-Konferenz folgende Empfehlungen:
- In der Therapie der Mutter sollte Prednison, Prednisolon oder Methylprednison verwendet werden.
- In der pränatalen Behandlung ist Betamethason dem Dexamethason vorzuziehen.
- Patientinnen, die langfristig mit Corticosteroiden behandelt worden sind, sollten während der Geburt Hydrocortison erhalten.
- Bei in utero Exposition mit fluorierten Steroiden sollte eine postnatale Behandlung des Kindes nur erwogen werden, wenn eine Nebenniereninsuffizienz dokumentiert ist. Es wird die Konsultation eines Spezialisten empfohlen.
- Das Stillen ist unter der Therapie mit moderaten Cortisondosen erlaubt. Überschreitet die Dosis 40 mg Predniso(lo)n, sollte eine Pause von vier Stunden zwischen Medikamenteneinnahme und Stillen liegen.
Die komplette Publikation finden Sie unter folgendem Link:
Anti-inflammatory and immunosuppressive drugs and reproduction.
Arthritis Res Ther. 2006;8(3):209. Epub 2006 May 11.
Ostensen M, Khamashta M, Lockshin M, Parke A, Brucato A, Carp H, Doria A, Rai R, Meroni P, Cetin I, Derksen R, Branch W, Motta M, Gordon C, Ruiz-Irastorza G, Spinillo A, Friedman D, Cimaz R, Czeizel A, Piette JC, Cervera R, Levy RA, Clementi M, De Carolis S, Petri M, Shoenfeld Y, Faden D, Valesini G, Tincani A.
Department of Rheumatology and Clinical Immunology/Allergology, University Hospital of Bern, Switzerland.
Full Text
Literatur und Links
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