r-o-Special: Fortschritte bei der Cortisontherapie der rheumatoiden Arthritis
Cortison wird seit über 50 Jahren in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen eingesetzt. Nun deutet sich eine kleine Revolution auch bei dieser Therapie an. Genau vor einem Jahr, im April 2009, wurde als Weltneuheit in Deutschland eine neue Cortisonformulierung zugelassen, die erstmals eine chronobiologische Cortisontherapie der rheumatoiden Arthritis ermöglicht. Anläßlich des ersten „Geburtstages“ von Prednison MR (Lodotra) stellen wir in diesem Special das Wirkprinzip dieser Substanz und die wichtigsten Studienergebnisse vor.
Cortison ist der stärkste Entzündungshemmer, den wir kennen. Es wirkt sehr schnell, ein Wirkungseintritt ist in der Regel bereits nach wenigen Stunden zu verspüren. Nach neuen Erkenntnissen hemmt Cortison zudem in der Kombination mit krankheitsmodifizierenden Substanzen (DMARDs, disease modifying antirheumatic drugs) bei der rheumatoiden Arthritis das Fortschreiten der entzündlichen Gelenkzerstörung und bremst damit die sogenannte Röntgenprogression.
Der prinzipielle Nachteil von Cortison: Es ist als Cortisol ein Hormon, d.h. ein körpereigener Wirkstoff, und unterliegt sogenannten circadianen Rhythmen. Dies bedeutet, daß die Cortisonproduktion im Körper in den frühen Morgenstunden am höchsten ist und in den späten Nachmittagsstunden ihren Tiefstwert erreicht. Gesteuert wird dieser Rhythmus durch einen Regelkreis, der so ähnlich funktioniert wie ein Thermostat bei einer Heizung: Sinkt der Cortisonspiegel im Blut ab, führen Signale aus spezialisierten Gehirnregionen (Hypothalamus und Hypophyse) zur Steigerung der Cortisonproduktion in der Nebenniere (einer Drüse, die so heißt, weil sie neben der Niere liegt, mit der Niere selber ansonsten aber nichts zu tun hat). Durch die medikamentöse Zufuhr von Cortison kann dieser Regelkreis gestört werden. In der Folge können sich unerwünschte Wirkungen entwickeln, insbesondere dann, wenn die Cortisoneinnahme am späten Nachmittag oder abends erfolgt.
Bei vielen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wären die frühen Morgenstunden, d.h. gegen 2:00h nachts, der optimale Zeitpunkt für eine Cortisoneinnahme. Dieses Timing greift zum einen am geringsten in den körpereigenen Cortisonregelkreis ein, zum anderen erfolgt die Cortisongabe damit auch zu einem Zeitpunkt, an dem die Entzündungshemmung am gezieltesten ansetzt.
Wie man seit einiger Zeit weiß, steigt die Konzentration von pro-inflammatorischen Zytokinen, d.h. körpereigenen Entzündungsstoffen wie Interleukin-6 (IL-6), im Blut mitten in der Nacht an und erreicht ihren höchsten Wert in den Morgenstunden. Dieser Mechanismus ist vermutlich die Erklärung für die typische Tagesrhythmik entzündlich-rheumatischer Symptome mit der charakteristischen Zunahme der Schmerzen in der Nacht und am Morgen, der stärkeren Ausprägung von Gelenkschwellungen ebenfalls am Morgen sowie der Morgensteifigkeit.
Um die Cortisongabe möglichst zeitnah an die Zunahme der nächtlichen und morgendlichen Symptome zu plazieren, wurden in der Vergangenheit unterschiedliche Strategien entwickelt. Am bekanntesten ist die Aufteilung der Cortisondosis auf einen morgendlichen und einen abendlichen Anteil. Damit wird eine gewisse Wirkung in der Nacht erreicht, allerdings mit der möglichen Folge, daß der Cortisonregelkreis gestört wird. Berliner Forscher der Charité kamen auf die Idee, Patienten, die dort wegen einer rheumatoiden Arthritis stationär behandelt wurden, nachts um 02:00h aufzuwecken und ihnen die gesamte Cortisontagesdosis zu diesem Zeitpunkt zu verabreichen. Im Ergebnis führte dies zu einer deutlich besseren Cortisonwirkung.
Außerhalb eines Krankenhausaufenthaltes ist eine solche Strategie aber in der Regel nur schwer umzusetzen. Sich Nacht für Nacht den Wecker für die Tabletteneinnahme stellen zu müssen, würde die Lebensqualität nachhaltig verschlechtern.
Wissenschaftler des deutschen Arzneimittelherstellers Merck in Darmstadt, dem Unternehmen, das bereits Jahrzehnte vorher das Glukocorticoid Prednison in den deutschen Markt eingeführt hatte, ließ die Idee einer zeitoptimierten Cortisontherapie allerdings nicht los. Sie entwickelten zusammen mit spezialisierten Partnern ein Verfahren zur zeitversetzten Wirkung von Cortison, indem sie den Wirkstoff Prednison mit einem Mantel umgaben, der sich im Magen nach einer definierten Zeitspanne öffnet und das Cortison auf diese Weise Stunden nach der Tabletteneinnahme freigibt. Durch die neuartige, spezielle „Verpackung“ kann eine Prednisonwirkung zum optimalen Wirkzeitpunkt mitten in der Nacht erreicht werden.
Das entsprechende Medikament nannten sie Prednison MR. Der Namenszusatz MR steht für die englische Bezeichnung „modified release“ und bedeutet veränderte Freisetzung. Prednison MR hemmt die Entzündung genau dann, wenn sie entsteht, und verringert so insbesondere die morgendlichen Beschwerden der Patienten. Als neues Glucocorticoidpräparat für die Therapie der rheumatoiden Arthritis wurde es im Frühjahr 2009 von der europäischen Zulasungsbehörde EMEA in Deutschland zugelassen.
Die Zulassung bezieht sich auf die Behandlung der mäßig bis schwer aktiven rheumatoiden Arthritis bei Erwachsenen, insbesondere wenn diese von schwerer Morgensteifigkeit begleitet ist.
Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Prednison MR wurde in zwei doppelblinden, randomisierten klinischen Multicenter-Studien (CAPRA-1 und CAPRA-2) untersucht. Beide Studien zeigen eine Überlegenheit von Prednison MR gegenüber dem traditionellen Prednison bzw. Placebo.
CAPRA-1 verglich MR-Prednison mit herkömmlichem Prednison in einem doppelblinden Design über 3 Monate; in einer anschließenden offenen Phase erhielten alle Patienten MR-Prednison. Die deutlichste Wirkung der neuen Cortisonformulierung ist eine Verringerung der Morgensteifigkeit (um 22,7% nach 3 Monaten gegenüber 0,4% unter herkömmlichem Prednison, p<0,05; um etwa 50% nach 12 Monaten in der offenen Verlängerungsphase). Prednison MR verringert im Vergleich zu konventionellem Prednison zugleich signifikant die Interleukin-6-Spiegel im Serum (860 vs 1.110 U/L nach 3 Monaten, 470 U/l nach 12 Monaten).
CAPRA-2 prüfte Prednison MR in einer Doppelblindstudie über 3 Monate gegenüber Placebo. Erstmals bei einem Cortisonpräparat wurde dabei als primäres Studienziel die ACR20-Ansprechrate definiert. Unter Prednison MR wurde ein ACR20-Ansprechen von 49 Prozent der Studienteilnehmer erreicht gegenüber einer ACR20-Ansprechrate von 29 Prozent unter Placebo. Ein signifikanter Unterschied zwischen Prednison MR und Placebo zeigte sich dabei bereits nach 2 Wochen Therapiedauer.
Prednison MR wurde in den klinischen Studien gut vertragen; relevante Unterschiede bei der Verträglichkeit und Therapiesicherheit zeigten sich im Vergleich zu herkömmlichem Prednison nicht.
Referenzen
Bijlsma JWH, Jacobs JWG:Glucocorticoid chronotherapy in rheumatoid arthritis.
The Lancet, Volume 371, Issue 9608, Pages 183 - 184, 19 January 2008
Buttgereit F, Doering G, Schaeffler A, Witte St, Sierakowski St, Gromnica-Ihle E, Jeka S, Krueger K, Szechinski J, Alten R: Efficacy of modified-release versus standard prednisone to reduce duration of morning stiffness of the joints in rheumatoid arthritis (CAPRA-1): a double-blind, randomised controlled trial
The Lancet, Volume 371, Issue 9608, Pages 205 - 214, 19 January 2008
Abstract
A Randomized Multi-Center, Double-Blind, Placebo-Controlled Study of a New Modified-Release Tablet Formulation of Prednisone (Lodotra®) in Patients With Rheumatoid Arthritis
Clinical trials.gov
Abstract: Die Studie ist derzeit noch nicht publiziert
Positive phase III results from Capra-2 study of Lodotra™ (single-pulse delayed-release low-dose prednisone) in rheumatoid arthritis
NHS (National electronic Library for Medicines)
Abstract
Nitec Pharma meldet positive und hochsignifikante Phase-III-Ergebnisse der CAPRA-2-Studie zu Lodotra bei rheumatoider Arthritis
Pressemitteilung Nitec Pharma GmbH vom 2. September 2009