Nun hat es auch Celebrex erwischt: Studie zeigt erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bei hohen und sehr hohen Dosierungen
Am Freitagnachmittag gab der Hersteller von Celebrex, der weltgrößte Pharma-Konzern Pfizer, die Ergebnisse einer Studie bei Patienten mit Darmtumoren bekannt. Danach ist das Risiko eines solchen Patienten, unter der Einnahme von täglichen Dosen von 400 mg Celebrex einen plötzlichen Herztod, einen anderes kardiovaskuläres Ereignis (z.B. Herzinfarkt oder einen Schlaganfall), zu erleiden, etwa 2,5-fach erhöht, bei täglicher Einnahme von 800 mg sogar um das 3,5-fache. Ob die Ergebnisse auf die Situation bei Rheumapatienten übertragbar sind, ist völlig unklar. Diese Frage wird aber an keiner Stelle thematisiert. Stattdessen überschlägt sich die US-amerikanische Börse, und vermutlich reiben sich erneut Hunderte von amerikanischen Anwälten die Hände, da sie sich erhoffen, an diesem Studienergebnis eine goldene Nase mit Sammelklagen gegen Pfizer verdienen zu können.
Die Facts in Kürze:
Behandelt wurden über 2.000 Patienten mit Darmtumoren, im Schnitt 33 Monate. Die Dosierung von Celebrex betrug über den gesamten Zeitraum täglich entweder 400 mg oder 800 mg. Die Kontrollgruppe erhielt Placebo, d.h. ein unwirksames Präparat.
Nach der Studiendauer von im Schnitt 2.75 Jahren trat bei 15 von 2.000 in der Studie behandelten Patienten unter 400 mg Celebrex, bei 20 Patienten unter 800 mg und bei 6 Patienten unter Placebo ein kardiovaskuläres Ereignis auf. Insgesamt war die Rate dieser Nebenwirkung damit sehr niedrig (0.0027 pro Patientenjahr), d.h. das individuelle Risiko für einen Patienten war sehr niedrig. Im Vergleich zu Placebo war die Rate solcher Nebenwirkungen allerdings mehr als verdoppelt (für 400 mg) bzw. mehr als verdreifacht (für 800 mg).
In einer zweiten, im Studiendesign vergleichbaren Studie zu Celebrex war eine erhöhte Rate an kardiovaskulären Nebenwirkungen nicht beobachtet worden. Einige Patienten werden dabei schon im 5. Jahr mit Celebrex behandelt.
Auch zeigen alle anderen bislang vorliegenden Daten, z.T. an sehr großen Patientenkollektiven von mehr als 100.000 Patienten aus Beobachtungsstudien kein erhöhtes Risiko für Celebrex. Diese Studien untersuchten allerdings die kardiovaskuläre Sicherheit von Celebrex bei der Behandlung von rheumatischen Erkrankungen (z.B. Arthritis oder Arthrose).
Die Frage ist deshalb, ob sich die Ergebnisse aus einer Studie bei Tumorpatienten überhaupt auf Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis, einer Arthrose oder anderen rheumatischen Erkrankungen übertragen lassen.
Wir haben genau diese Frage schon bei der Marktrücknahme von Vioxx gestellt, die sich ebenfalls auf eine Studie bei Patienten mit Darmtumoren gründete.
Leider ist diese entscheidende Frage bislang von den relevanten Stellen bislang noch nicht thematisiert worden.
Wir wollen die Ergebnisse der aktuellen Studie nicht in ihrer Bedeutung herunterspielen. Und auf keinen Fall wollen wir einer unkritischen Haltung gegenüber Medikamenten das Wort sprechen. Wir sehen aber unsere Verantwortung darin, die Diskussion um Arzneimittelsicherheit durch die vorhandenen Daten zu beleben und das Ringen um die Sinnhaftigkeit eines individuellen Medikaments in einem medizinischen Umfeld und nicht an der New Yorker Wall Street zu führen.
Es ist zu erwarten, daß die Verunsicherung der Patienten - wie im Fall Vioxx - riesig sein wird. Es ist zu hoffen, daß viele von ihnen anläßlich der Vioxx-Problematik begriffen haben, daß es sich hier nicht zu allererst um ein medizinisches Problem handelt, sondern daß hier in allererster Linie ein US-spezifisches juristisches Problem von Produkthaftung und Schadensersatzrecht vorliegen dürfte (US-amerikanische Wissenschaftler sagen, das es bei Vioxx in allererster Linie nicht um wissenschaftliche und medizinische Daten, sondern um eine juristische Problematik gegangen ist).
Nach den bisherigen Stellungnahmen beabsichtigt Pfizer nicht, Celebrex vom Markt zu nehmen. Wir können den Konzern nur ermutigen, bei dieser Entscheidung standhaft zu bleiben.
Nicht, weil wir ihm den Umsatz mit Celebrex gönnen, sondern weil alles andere eine unglaubliche Fremdbestimmung von mündigen Patienten und mündigen Ärzten wäre.
Oder anders gesagt: Wenn man das, was mit Vioxx begonnen wurde und nun vielleicht auch für Celebrex droht, einmal konsequent weiterdenkt: Dann wird es bald hochwirksame Arzneimittel überhaupt nicht mehr geben. Denn es ist eine Grundweisheit, die schon einem Medizinstudenten im ersten klinischen Semester vermittelt wird: Ein Medikament, das wirkt, kann auch mögliche Nebenwirkungen haben.
Wenn es sich durchsetzt, daß das US-amerikanische Recht dazu führt, daß solche Medikamente dann wegen Schadensersatzforderungen vom Markt genommen werden, werden wir bald nur noch mit alten und uralten Substanzen behandeln können, zu denen es solche umfangreichen Sicherheitsstudien nicht gibt und bei denen ein vergleichbares Risiko wahrscheinlich auch besteht, das wir aber nicht kennen, da es nie untersucht wurde.
Wir sollten den Begriff "Innovation" aus unserem Wortschatz streichen. Den meisten Menschen macht das Neue ohnehin nur Angst. Und die Krankenkassen sind glücklich: Die guten alten Medikamente sind aus dem Patentschutz raus und damit auch viel, viel billiger. Und unsere Eltern und Großeltern mußten schließlich auch unter den gastrointestinalen Komplikationen der konventionellen nicht-steroidalen Antirheumatika leiden, d.h. den Magenschmerzen und Unverträglichkeiten bei der Einnahme der guten alten cortisonfreien Entzündungshemmer.
Daß die Sterblichkeit in der Folge der alten Medikamente (Magenblutungen, Magendurchbrüche etc.) in den USA so hoch ist wie die Zahl der jährlichen Verkehrsunfalltoten, wollen wir einmal ausblenden. Im Augenblick interessiert, daß bei einem kleinen Teil der Patienten, die die neuen Medikamente jahrelang in hohen Dosen regelmäßig einnehmen, um das Wiederauftreten von Tumoren in ihrem Darm zu verhindern, kardiovaskuläre Ereignisse auftreten: Genau gesagt im Fall von Celebrex bei 0.003 Patienten, die dieses Präparat in einer täglichen Dosis von 2 x 200 mg jeden Tag ein ganzes Jahr ununterbrochen einnehmen.
Wir können den Amerikanern nicht helfen. Ein Land, das George W. Bush freiwillig ein zweites Mal wählt, kann nicht geholfen werden (oder wie muß das richtig heißen?).
Aber vielleicht wäre es doch möglich, wenigstens uns Europäern die Medikamente zu lassen, damit wir frei entscheiden können, ob wir sie bei einem einzelnen Patinten in Kenntnis und in Abwägung aller Risiken eigenbestimmt einsetzen oder ebenso eigenbestimmt darauf verzichten.
In diesem Sinne unser Appell an Pfizer: Nehmt uns Celebrex nicht weg. Wir brauchen den deutschen Wald und die deutschen Eichen. Wir können doch zukünftig nicht alle Patienten mit Eichenrindenextrakten behandeln. Und der Massenimport von amerikanischer Eiche ist ökologisch nicht vertretbar.
Eine Anmerkung von rheuma-online:
Priv. Doz. Dr. Langer als der verantwortliche Autor dieses Beitrags steht nicht auf der Gehaltsliste von Pfizer. Dieser Beitrag in den news wurde eigeninitiativ von rheuma-online erstellt und hat das Anliegen, die jetzt schon abzusehende Panik unter den Patienten möglichst gering zu halten. Insbesondere wurde dieser Beitrag auch nicht von Pfizer angeregt oder gar gesponsort. Pfizer gehört auch nicht zu den Sponsoren von rheuma-online (warum eigentlich nicht????). Im Gegenteil: Eigentlich überlegen wir gerade, ob David Goliath verklagen möchte, da sich Pfizer, was rheuma-online als Domain angeht, eine Riesen-Sauerei erlaubt hat. Sind wir ihnen sogar richtig böse. Aber: Hier geht es um höhere Dinge. Und da müssen wir von rheuma-online aus von kleinen Befindlichkeiten abstrahieren. Alles andere würden uns unsere User auch nicht verzeihen.
In diesem Sinne noch eine schöne Adventszeit und schon die ersten guten Wünsche für das herannahende Weihnachtsfest.