Neuer Zunder in alter Streitfrage - niedrig dosiertes Kortison ineffektiv?
Der Einsatz von niedrig dosiertem Kortison (7mg/Tag) bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, die zusätzlich eine Basistherapie mit Sulfalazin erhalten, zeigt nach zwei Jahren keine positiven Effekte auf die radiologischen Gelenkschäden, die Laborwerte und das Befinden der Patienten.
Ob und inwieweit eine niedrig dosierte Kortisontherapie in der Lage ist, die Krankheitsaktivität und den Krankheitsverlauf der rheumatoiden Arthritis (RA) auf Dauer zu verändern, wird in der Expertenwelt unterschiedlich diskutiert. Eine schottische Arbeitsgruppe von der Universität Glasgow ging dieser Frage im Rahmen einer doppelt verblindeten Studie nach.
167 Patienten in einem frühen Stadium einer rheumatoiden Arthritis wurden auf eine Basistherapie mit Sulfasalazin eingestellt. Die Studienteilnehmer erhielten darüber hinaus entweder 7 mg Prednisolon pro Tag oder ein Placebo, d.h. ein Präparat ohne Wirkstoff. 84% dieser Patienten waren Rheumafaktor-positiv, das mittlere Patientenalter betrug 56 Jahre, und der Anteil der Frauen war nahezu doppelt so hoch wie der der Männer.
In erster Linie wurde das Ausmaß der radiologisch nachweisbaren Gelenkschäden gemessen und in zweiter Linie das gesamte Befinden und die Laborwerte des Patienten.
84 Patienten wurden mit Prednisolon behandelt. Davon behielten 73% die Kortisontherapie und 70% die Sulfasalazintherapie über 2 Jahre bei. Von den 83 Teilnehmern der Placebogruppe nahmen 80% das Placebo und 64% das Sulfasalazin über 2 Jahre hinweg ein.
Nach 2 Jahren ließ sich Folgendes feststellen: In den beiden Therapiearmen trat weder ein Unterschied in Bezug auf die radiologisch nachweisbaren Gelenkschäden, noch hinsichtlich des Befindens oder der Laborwerte auf.
Die Autoren dieser Studie kommen daher zu dem Schluß, dass RA-Patienten, die eine Basistherapie erhalten, keinen Gewinn von einer zusätzlichen niedrig dosierten Kortisontherapie haben. Sie halten daher den Einsatz einer niedrig dosierten Kortisontherapie bei RA-Patienten mit einer Basistherapie für wenig sinnvoll.
Literatur:
Capell HA, Madhok R, Hunter JA, Porter D, Morrison E, Larkin J, Thomson EA, Hampson R, Poon FW.
Centre for Rheumatic Diseases, Glasgow Royal Infirmary, North Glasgow University NHS Trust, Castle St, Glasgow G40SF, UK. Lack of radiological and clinical benefit over two years of low dose prednisolone for rheumatoid arthritis: results of a randomised controlled trial. Ann Rheum Dis. 2004 Jul;63(7):797-803.
Kommentar (Dr.Langer): Die Ergebnisse dieser Studie widersprechen den Ergebnissen des LDPT-Trials, in dem ganz eindeutig ein Vorteil von niedrigdosiertem Cortison zu sehen war. Sie stehen auch im Widerspruch zu den Ergebnissen der SIMERA-Studie. Damit spricht vieles dafür, daß die Aussage dieser Studie nur für Sulfasalazin und nicht für andere DMARDs gilt.
Im LPDT-Trial wurden die Patienten über einen Zeitraum von 2 Jahren zusätzlich zu ihrer laufenden langwirksamen antirheumatischen Therapie mit Methotrexat oder Gold mit niedrig-dosiertem Cortison oder mit Placebo behandelt (LDPT = Low Dose Prednisolon Trial = niedrig-Dosis-Prednisolon-Studie). Die Cortisondosis war in dieser Studie sogar noch niedriger als in der schottischen Studie und betrug 5 mg Prednisolon (in dieser Studie Decortin H) pro Tag.
Nach 2 Jahren zeigte sich, daß die Patienten, die zusätzlich zu Methotrexat oder Gold die kleine Menge Cortison bekommen hatten, wesentlich geringere entzündliche Gelenkschäden erlitten hatten (Erosionen) als die Patienten, die zwar auch Mtx oder Gold als Basismedikament erhielten, aber kein Cortison.
Das praktisch identische Ergebnis war bereits Anfang der 90er Jahre in der SIMERA-Studie gesehen worden (SIMERA = Sandimmun in Early Rheumatoid Arthritis = Sandimmun bei früher rheumatoider Arthritis). Hier erhielten die Patienten entweder Sandimmun (heute Immunosporin, Inhaltsstoff Ciclosporin) oder Gold. Die Hälfte der Patienten bekam zusätzlich niedrig-dosiertes Cortison bis zu einer Dosis von 7,5 mg Prednisolon pro Tag in Ergänzung zu Sandimmun oder Gold, die andere Hälfte der Patienten erhielt zwar die Basistherapie mit eine der beiden Substanzen, aber statt Cortison eine Placebo-Tablette ohne wirksamen Inhaltsstoff.
Auch hier zeigte sich eine deutlich geringere Erosivität bei den Patienten, die zusätzlich zur langwirksamen antirheumatischen Therapie mit niedrig-dosiertem Cortison behandelt worden waren.
Gold und Sandimmun waren beide vergleichbar wirksam im Hinblick auf die Verzögerung der entzündlich bedingten Gelenkdestruktion. Durch die zusätzliche Gabe von Cortison konnte gegenüber der Placebo-Behandlung dieser Effekt aber noch einmal fast verdoppelt werden.
Möglicherweise erklärt sich das abweichende Ergebnis der schottischen Studie für die Kombination von Sulfasalazin mit Cortison durch den anderen Wirkmechanismus von Sulfasalazin und ein dadurch bedingtes fehlendes günstiges Zusammenwirken der beiden Substanzen. Eine andere Möglichkeit ist die Patientenselektion. Üblicherweise werden mit Sulfasalazin nur Patienten mit einer milderen Verlaufsform einer rheumatoiden Arthritis behandelt, mit Gold und Methotrexat dagegen in der Regel Patienten mit einer ungünstigeren Prognose und einer höheren Krankheitsaktivität. In der SIMERA-Studie waren sogar bewußt nur solche Patienten eingeschlossen worden, bei denen es in einem frühen Stadium der Erkrankung bereits zum Auftreten von Usuren / Erosionen gekommen war, d.h. einer beginnenden entzündlichen Zerstörung der Gelenke.
Wir wissen inzwischen recht sicher, daß die entzündliche Gelenkdestruktion bei der rheumatoiden Arthritis sehr stark von der Höhe der im Blut meßbaren Entzündung über die Zeit abhängt. Cortison ist der am schnellsten und am stärksten wirkende Entzündungshemmer, den wir kennen. Der Effekt der zusätzlichen Cortisongabe bei prognostisch ungünstigeren, hochaktiven Verläufen einer rheumatoiden Arthritis könnte dann dadurch erklärt werden, daß es durch die zusätzliche Cortisongabe gelingt, die Entzündungsaktivität schneller und wirksamer zu kontrollieren als durch die Gabe von Mtx, Gold oder Ciclosporin alleine.