Neue Therapiestrategien gegen Rheuma – Alles im Griff?
Die rheumatoide Arthritis ist eine entzündliche Systemerkrankung auf dem Boden multipler (epi)genetischer Veränderungen, einer autoimmunen Fehlregulation des Immunsystems und der Überaktivität ortsständiger Zellen des Gelenkes, die bei den meisten Patienten chronisch-progredient verläuft. Die Erkrankung führt ohne Therapie zu einer progredienten Zerstörung der Gelenke, schweren systemischen Organbeteiligungen und konsekutiv zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität in der Größenordnung eines Diabetes mellitus oder einer 3-Gefäß-KHK.
Die rheumatoide Arthritis ist eine der häufigsten entzündlich-rheumatischen Erkrankung mit geschätzt 500 000 behandlungs-bedürftigen Patienten in Deutschland, wobei etwa drei Viertel aller Patienten zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr erkranken.
Wichtigster externer Faktor in der Pathogenese ist der Nikotingenuss. Raucher haben nicht nur ein erhöhtes Risiko für die Entstehung der Erkrankung sondern auch ein höheres Risiko, einen schweren Verlauf einer einmal etablierten rheumatoiden Arthritis zu entwickeln. Bestandteile des Zigarettenrauchs fördern die Citrullinierung von Peptiden und die Bildung der spezifischen „Rheuma“-Antikörper gegen citrullinierte Peptide (ACPA).
Viele klinische Symptome lassen sich durch die permanente Entzündungs-reaktion erklären. Vor allem die pro-inflammatorischen Zytokine Interleukin (IL)-1 und IL-6 sowie der Tumor-Nekrose-Faktor (TNF) sind Ausdruck der fortlaufenden Entzündung. Ähnliches gilt für den Rheumafaktor (RF) und auch für ACPAs. RF- und insbesondere ACPA-positive Erkrankungen sind aktiver als Antikörper-negative Formen, haben ein deutlich höheres Risiko für die Entwicklung von knöchernen Defekten, für die Entwicklung extraartikulärer Manifestationen und konsekutiv eine insgesamt höhere Morbidität und Mortalität.
Die wichtigsten (Früh-)Symptome der rheumatoiden Arthritis sind meist symmetrische Gelenkschmerzen der Hände mit morgendlichem Schmerzmaximum sowie im weiteren Verlauf Gelenkschwellungen. In der Regel ist der weitere Verlauf schubförmig und betrifft unbehandelt nach und nach alle Gelenke des Körpers.
Bei etwa zwei Dritteln der Patienten tritt dann auch die progrediente und irreversible Gelenkzerstörung ein. Zusätzlich erkranken diese Patienten durch die chronische Entzündung an sekundärer Osteoporose, Arteriosklerose, Lungenfibrose, rheumatoiden Vaskulitiden oder einer sekundären Amyloidose beziehungsweise Malignomen.
Vor die Therapie haben die Götter bekannterweise die Diagnose gesetzt. Hierfür wurden die Klassifikationskriterien vor kurzem überarbeitet. Diese Kriterien setzen entzündete und geschwollene Gelenke voraus, und bei einer Zahl von sechs Punkten oder mehr kann die Erkrankung als rheumatoide Arthritis bezeichnet werden. Interessanterweise sind die Bildgebung und Rheumaknoten nicht mehr für eine Diagnose notwendig.
Auch die Therapie der rheumatoiden Arthritis hat sich in den letzten Jahren aufgrund der detaillierten Kenntnisse der Pathophysiologie grundlegend gewandelt. Vor allem die schnelle Behandlung mit immunmodulierenden oder immunsuppressiven krankheitsmodifizierenden Therapeutika (DMARDs) erreicht in der Regel eine deutliche Reduktion der Krankheitsaktivität oder sogar eine längere Remission.
Grundlage der möglichst schnell einsetzenden Therapie (hit hard and early) ist die Nutzung des Potenzials der nichtsteroidalen Antirheumatika beziehungsweise Coxibe und einer aktivitätsangepassten Dosis an Kortikosteroiden (einschließlich des neuen Nachtprednisons zur Verminderung der Morgensteifigkeit) in Kombination mit den individuell für den Patienten angepassten DMARDs. Bei letzteren kommt zuerst Methotrexat, Leflunomid oder Sulfasalazin zum Einsatz. Bei persistierender Aktivität erfolgt die Therapie in Kombination mit den sogenannten Biologics, zum Beispiel der TNF-Hemmer, aber auch Antikörpern gegen IL-6 Rezeptoren, B-Zellen, oder durch Hemmung der T-Zell-Interaktion. Diese therapeutischen Möglichkeiten sind inzwischen in Konsensuspapieren veröffentlicht und werden regelmäßig aktualisiert.
Diese Empfehlungen finden sich im Wesentlichen auch bei den europäischen Rheumatologen (EULAR) wieder. Hier soll bei Therapieversagen eine möglichst schnelle Umstellung auf eine andere Therapie erfolgen beziehungsweise eine Therapieintensivierung vorgenommen werden – beides unter dem Motto: treat-to-target, wobei das Ziel die bestmöglich erreichbare Krankheitsminderung unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten und Risikofaktoren des Patienten ist. Auch hier ist der frühe Einsatz von Biologika nach dem Versagen eines einzelnen konventionellen DMARDs vorgesehen, um auch die Möglichkeit zu haben, früher wieder Medikamente in Zahl und Dosis reduzieren zu können.
Die wichtigsten Regeln der EULAR Empfehlungen beinhalten:
i) eine umgehende Therapie mit DMARDs nach Diagnosestellung,
ii) das Erreichen einer Krankheitsremission,
iii) Methotrexat als erstes DMARD,
iv) die Nutzung des Effekts niedrig dosierter Glukokortikosteroide,
v) bei ungenügendem Ansprechen auf synthetische DMARDs der zügige Einsatz von Biologika,
vi) das konstante Monitoring von internistischen Begleiterkrankungen und
vii) der multidisziplinäre Therapieansatz
Letzteres schließt neben den internistischen Rheumatologen auch Orthopäden, Allgemeinärzte, Internisten, und vor allem auch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Psychologen ein.
Quelle:
Vortrag Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner, Lehrstuhl für Innere Medizin mit Schwerpunkt Rheumatologie, Justus-Liebig-Universität Gießen, Abteilung für Rheumatologie und Klinische Immunologie, Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim
Pressekonferenz der DGIM am 17.04.2012
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