Neue Aspekte der Fibromyalgie: Was hilft gegen den Schmerz?
Was ist das Fibromyalgie Syndrom? Was sind die Ursachen? Wie verläuft die FMS? Welche Therapien sind wirksam? Diese Bündel an Fragen beantwortete Prof. Dr. med. Heinz-Jürgen Lakomek, Minden, während der Pressekonferenz anlässlich des 40. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und gab zusätzlich Tipps für Betroffene.
Das Fibromyalgie-Syndrom (FMS) ist gekennzeichnet durch:
o Chronische starke Schmerzen in
mehreren Körperregionen (z.B.
im Kreuz,im Brustkorb, an beiden Armen
und an beiden Beinen),
o Schlafstörungen bzw. nicht-erholsamer
Schlaf sowie Müdigkeit und
o geistige und körperliche Erschöpfung
(so dass man z.B. die tägliche Arbeit
nicht mehr bewältigen kann)
o depressive Störungen können,
müssen aber nicht auftreten
Oft wird behauptet, dass es sich nicht um eine Erkrankung oder um eine reine psychiatrische Erkrankung handelt – das ist nicht so.
Es braucht Aufklärung über das Fibromyalgie-Syndrom, auch um die Situation der Betroffenen zu verbessern:
Was ist Fibromyalgie?
- Es sind etwa 3 bis 4 Prozent der Bevölkerung betroffen und oft Frauen
im Alter zwischen 40 und 60 Jahren (aber auch Männer, Jüngere und
Kinder können betroffen sein)
- Es handelt sich bei der Fibromyalgie (das heißt übersetzt: Faser-Muskel-
Schmerz) um eine „wirkliche“, am ehesten als anhaltende somatoforme
Schmerzstörung zu bezeichnende Erkrankung
- Was ist das? Kennzeichnend sind die starken Schmerzen am ganzen
Körper, dazu oft Schlafstörungen, Magen-Darm- oder Herzbeschwerden
und seelische Beschwerden ohne dass eine somatische (körperliche)
Ursache (wie zum Beispiel eine Gelenkentzündung bei Rheumatoider
Arthritis) gefunden würde
- Die Beschwerden sind chronisch und führen zu einer deutlichen
Funktionseinschränkung im Alltag
Was sind die Ursachen dieser Erkrankung?
Es gibt nicht die eine, definierte Ursache: Das FMS ist wahrscheinlich die „Endstrecke“ verschiedener biologischer, familiärer, psychischer und sozialer Faktoren mit Veränderungen der Schmerzverarbeitung im Gehirn
Welche Auswirkungen hat das FMS?
Die Beschwerden bestehen oft ein Leben lang, können aber deutlich gebessert werden; auf keinen Fall kommt es zu Invalidität (Rollstuhl, deformierte Gelenke) oder Einschränkung der Lebensdauer.
Wie verläuft ein FMS?
Man unterscheidet leichte Verläufe (Schmerzen, aber nur geringe Beeinträchtigung im Alltag) und schwere Verläufe (Schmerzen, deutliche körperliche und seelische Beschwerden wie Erschöpfung, Herzrasen sowie Angststörung, Depression und starker Beeinträchtigung in Familie, Beruf und Haushalt,) die unterschiedlich therapiert werden.
Welche Diagnostik ist sinnvoll?
Anamnese auch mit persönlichen Fragen zu Stressoren und psychischer Verfassung, Erfassen der Schmerzen an Muskel-Sehnen-Ansätzen als Druckschmerz (tender points), Laboruntersuchungen und ggf. Röntgenuntersuchungen oder Sonographie (diese Untersuchungen werden nur zum Ausschluss anderer Erkrankungen (wie Rheuma- Erkrankungen, Muskelerkrankungen oder Hormonerkrankungen durchgeführt)
Welche Therapieprinzipien gelten? „der Patient als Co-Therapeut“ ist das Prinzip: Der Betroffene hat eine aktive Rolle, er ist informiert (Schulung), er bespricht Therapieentscheidungen mit seinem Arzt, wobei wissenschaftlich erwiesene Therapien, die mit den persönlichen Vorlieben im Einklang stehen, angewendet werden sollen (z.B. Ausdauertraining (bewiesen) mit freier Wahl der Sportart (z.B. Schwimmen oder Nordic Walking oder Aquajogging nach Vorliebe), er bevorzugt eigenständig durchzuführende aktive Therapiemaßnahmen (wie Entspannungstraining, Funktionstraining)
Welche Therapien sind sinnvoll bzw. erwiesen wirksam?
Die Therapie ist abgestuft nach Ausprägung der Erkrankung und Wirkung
Die meisten Therapien wirken nur für die Dauer der Anwendung; für angepasstes Herz- Kreislauf-Training, die (stationäre) multimodale Therapie und z.B. die kognitive Verhaltenstherapie ist eine längere Wirkung belegt.
Die Therapie sollte aktiv langfristig durchgeführt werden und nebenwirkungsfrei sein
Tipps für Betroffene:
o Besprechen Sie jede Therapie
o Führen Sie ein Symptomtagebuch (Wirkung – Nebenwirkung)
o Eine Therapie wird nur bei positivem Nutzen weitergeführt
o Pflegen Sie aktiv Freundeskreis und Hobbies
o Reden Sie über Ihre Erkrankung
- Therapien (multimodal, besonders bei schwerem Verlauf):
o Schulung (Information, Selbstmanagement) (führt nicht zu
Beschwerdeverbesserung)
o Körperbezogen (niedrig dosiert – mit langsamer Steigerung) (wirkt
individuell)
- Ausdauertraining = z.B. Walking, Schwimmen, Radfahren
mindestens 3 mal/Woche über 30 Minuten ; Tipp: man muss
sich dabei unterhalten können - reduziert Schmerzen und
Müdigkeit
- Funktionstraining = Trocken-/Wassergymnastik in Gruppen
(Rheuma-Liga / Deutsche Fibromyalgie Vereinigung) - reduziert
Schmerzen und Müdigkeit, verbessert Lebensqualität
- Meditative Bewegungstherapie = Tai-Chi, Qi-Gong, Yoga -
reduzieren Schmerzen, Müdigkeit und verbessern Lebensqualität
o Psychologische Verfahren auch bei Nicht-Vorliegen seelischer
Störungen (Führungskräfte oder Leistungssportler werden auch
psychologisch gecoacht) möglichst später in Selbstanwendung
- Kognitiv –verhaltenstherapeutische Schmerztherapie =
ungünstige negative Gefühle erkennen und durch positive ersetzen
sowie angemessenes Verhalten erlernen (Kräfteeinteilung, aktives
Verhalten, regelmäßige Pausen) - Verbesserung der
Stimmungslage
- Hypnose und geleitete Imagination = Phantasiereisen und
Suggestion (auch selbst oder über CD durchführbar) - reduziert
Schmerzen
o Physikalische Maßnahmen = Ganzkörperwärmetherapie
(Thermalbäder); lokale Therapien wie Fango, Infrarottherapie,
Lymphdrainage wirken nicht, Kältetherapie verschlimmert die
Beschwerden
- Akkupunktur kann bei manchen Patienten hilfreich sein
o Medikamentös
- Amitryptilin = Antidepressivum; niedrig dosiert auch bei
Nichtvorliegen einer Depression - wirkt schmerzlindernd reduziert
Schlafstörungen
- Duloxitin (bei zusätzlich depressiver Störung oder Nicht-
Einsetzbarkeit von Amitryptilin)
- Ggf. (wenn Amitryptilin nicht wirksam oder nicht vertragen): ohne
Angststörung: Pregabalin, mit Angststörung: Fluoxetin
o Stationär – multimodal in Rheumatologie oder Psychosomatik mit
Schmerzschwerpunkt, wenn die Beschwerden die Teilhabe am Berufs- und/oder gesellschaftlichen Leben gefährden - hier werden viele der
genannten Therapien kombiniert und in hoher Intensität durchgeführt
o Nicht empfohlene Therapien:
- Psychopharmaka wie Beruhigungsmittel, Angstlöser,
Schlafmittel
- wirken nicht und führen zu Benommenheit
- Entzündungshemmende Schmerzmittel (wie Diclofenac =
Voltaren® oder Ibuprofen) wirken nicht und haben Nebenwirkungen
wie Magengeschwüre oder Nierenschädigung
- Andere Schmerzmittel (wie Acetylsäure (Aspirin®), Paracetamol
oder Metamizol (Novalgin®) - wirken nicht und führen zu z.B.
zu Blutbildveränderungen oder Leberschaden
- Opioide
*Tramadol kann in Einzelfällen wirken, da es auch
antidepressiv wirkt
*Andere (Morphin, Tilidin, Oxycodon, „Schmerzpflaster“) wirken
nicht und haben Nebenwirkungen wie Verstopfung,
Benommenheit, körperliche Abhängigkeit
- Muskelrelaxantien - nachgewiesene Unwirksamkeit
- Lokale Injektionen egal ob mit lokalem Betäubungsmittel oder
entzündungshemmenden Mitteln - wirken nicht und können zu
lokalen Infektionen führen
- Weiterhin wirken nicht:
*Cannabis (oder ähnliche)
*Betäubungsmittel
*hyperbare Sauerstofftherapie
*Magnetfeldtherapien
*Reiki
*Nahrungsergänzungsmittel
*Spezielle Operationen
Literatur: AWMF-Leitlinie – Patientenversion „Definition, Ursachen, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms“
Quelle: Vortrag Prof. Dr. med. Heinz-Jürgen Lakomek, Chefarzt am Zentrum für Innere Medizin - Schwerpunkt Rheumatologie / Physikalische Medizin, Mkk Mühlenkreiskliniken, Minden
Pressemitteilung zur Pressekonferenz anlässlich des 40. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh)
Donnerstag, 20. September 2012, RuhrCongress
Kathrin Gießelmann/Christina Seddig
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) Kongress-Pressestelle