Manchmal ist es auch Gold, was glänzt
Die ersten Auswertungen der MEDAL-Studie bringen etwas Ruhe in die Coxib-Diskussion. Das wichtigste Ergebnis: Auch unter einer langdauernden Therapie mit Etoricoxib (Arcoxia) ist das Risiko für thrombotische kardiovaskuläre Komplikationen gegenüber einer Behandlung mit Diclofenac nicht erhöht.
Der September steckt den Amerikanern in den Knochen. Heute jährt sich zum fünften Mal der Terroranschlag auf das World Trade Center und führte zur größten Identitätskrise einer Nation, die sich bis dahin zumindest auf ihrem Kontinent für unangreifbar und unverletzbar gehalten hatte.
Ein dagegen unendlich viel bedeutungsloseres, aber für die medizinische Welt dennoch sehr folgenreiches Datum ist der 30. September 2004.
An diesem Tag wurde Vioxx vom Markt genommen, durch diese Maßnahme fast ein Viertel des Börsenwertes des seinerzeit drittgrößten pharmazeutischen Herstellers der Welt vernichtet und eine Diskussion über die Sicherheit von cortisonfreien Entzündungshemmern ausgelöst, die bis heute zu nachhaltigen Turbulenzen und Irritationen bei Patienten und Ärzten geführt hat.
Wir alle erinnern uns: Zeitweise gewann man in der öffentlichen Darstellung in den Medien den Eindruck, Vioxx, Bextra & Co seien von der pharmazeutischen Industrie erfunden worden, um Patienten umzubringen.
Da Daten spärlich, das mediale Interesse dagegen aber sehr hoch war, wuchsen die Spekuationen, Halbwahrheiten und Falschdarstellungen schneller ins Kraut, als seriöse, wissenschaftlich fundierte Analysen vorgelegt werden konnten.
In der Folge waren nicht nur Patienten massiv verunsichert, sondern auch ihre Ärzte standen nun vor einem Problem, daß man verkürzt auf die Formel "Herz oder Schmerz" reduzieren könnte, d.h. die Frage, ob die wirksame Behandlung von Rheumaschmerzen unter Umständen mit einem erhöhten Risiko für sogenannte kardiovaskuläre Komplikationen verbunden sein könnte, d.h. eine erhöhte Rate an Herzinfarkten, Thrombosen oder Schlaganfällen.
Ins Visier gerieten dabei insbesondere die neuen Substanzen aus der Gruppe der Coxibe, d.h. eine neue Gruppe von cortisonfreien Entzündungshemmern ("nicht-steroidalen Antirheumatika", NSAR), die wegen ihrer hohen "Magenfreundlichkeit" bis zu diesem Zeitpunkt die Shooting-Stars unter den Rheumamedikamenten gewesen waren.
Nach Vioxx folgte Bextra, und Patienten und Ärzte fürchteten von Tag zu Tag, von Woche zu Woche darum, daß es die beiden verbliebenen Substanzen Celebrex und Arcoxia nun auch noch ereilen könnte.
Intensive wissenschaftliche Arbeit und Studien in einer bis dahin nicht gekannten Größenordnung, so epidemiologische Auswertungen von Hunderttausenden von Patientendaten brachten dann etwas Ruhe in die Diskussion.
Die Erwartungen von Wissenschaftlern, Zulassungsbehörden und nicht zuletzt auch von praktisch tätigen Ärzten und Patienten richteten sich aber auf eine "landmark-study", die über mehrere Jahre angelegt war und deren Datenerhebung in der Mitte dieses Jahres abgeschlossen werden konnte. Gemeint ist das MEDAL-Programm (Multinational Etoricoxib and Diclofenac
Arthritis Long-Term), in dem an insgesamt über 30.000 Patienten mit Arthritis und Arthrose und über durchgehende Behandlungszeiträume von bis zu 4 Jahren die kardiovaskuläre Sicherheit von Etoricoxib (Handelsname Arcoxia) im Vergleich zu Diclofenac (Handelsname z.B. Voltaren) untersucht werden sollte.
Die allerersten Auswertungen dieser bahnbrechenden Studie liegen nun vor, und danach können Patienten und Ärzte aufatmen. Es konnte gezeigt werden, daß sich unter einer Behandlung mit dem COX-2 Hemmer Etoricoxib die Rate der bestätigten thrombotischen kardiovaskulären Ereignisse nicht von denen bei Diclofenac unterscheidet.
Wie der pharmazeutische Hersteller von Arcoxia, der US-amerikanische Pharmakonzern MSD, in einer aktuellen Pressemitteilung bekanntgab, sollen die vollständigen Ergebnisse der MEDAL-Studie in einer von Experten geprüften wissenschaftlichen Publikation und bei Präsentationen im Rahmen von wissenschaftlichen Kongressen bekannt gegeben werden.
Wegen des hohen Interesses der Öffentlichkeit und wegen der großen Bedeutung der Studie wurden aber nun die ersten, vorläufigen Auswertungen vorab mitgeteilt.
Für die Experten einige Details, die wir aus der Pressemitteilung übernehmen.
In der präspezifizierten „Per-Protokoll"-Analyse des primären Endpunkts betrug das relative Risiko der bestätigten thrombotischen kardiovaskulären Ereignisse zwischen ARCOXIA® und Diclofenac 0,95 (95 % KI: 0,81, 1,11). In der "Intent-to treat"-Analyse betrug das relative Risiko der bestätigten thrombotischen
kardiovaskulären Ereignisse zwischen ARCOXIA® und Diclofenac 1,05 (95 % KI:0,93, 1,19), was mit der primären Per-Protokoll-Analyse übereinstimmte.
Das MEDAL-Programm besteht aus drei Studien mit ARCOXIA® 60 mg oder 90mg bei Patienten mit Arthrose und rheumatoider Arthritis (MEDAL, EDGE und EDGE II).
In der MEDAL-Studie (der größten Komponente des MEDALProgramms) war die Inzidenz der Therapieabbrüche wegen hypertoniebedingter unerwünschter Ereignisse unter ARCOXIA® höher als unter Diclofenac. Ebenfalls in der MEDAL-Studie war die Inzidenz der Therapieabbrüche wegen ödembedingter unerwünschter Ereignisse nur unter ARCOXIA® 90 mg höher als unter Diclofenac, und die Inzidenz der zugesprochenen und bestätigten Fälle dekompensierter Herzinsuffizienz zeigte im Vergleich zu Diclofenac auch nur unter ARCOXIA® 90 mg einen höheren Trend.
Die Inzidenz der Therapieabbrüche wegen eines zusammengesetzten Endpunkts aus klinischen gastrointestinalen und hepatischen unerwünschten Ereignissen war in der MEDAL-Studie unter Diclofenac signifikant höher als unter ARCOXIA®.
Diese Befunde aus der MEDAL-Studie stimmen mit den früher veröffentlichten Ergebnissen der EDGE-Studie überein, die in dem europäischen Labeling für ARCOXIA® beschrieben sind.
“Nach vierjähriger Durchführung dieses Arthritis-Studienprogramms mit mehr als 34.000 Patienten freuen wir uns, in naher Zukunft die vollständigen Ergebnisse des MEDAL-Programms mitteilen zu können", sagte Dr. Peter S. Kim, Präsident der Merck Forschungslaboratorien. Die Analysen der Daten werden fortgeführt. Wie vorher geplant, werden die vollständigen Ergebnisse des MEDAL-Programms, das 2002 begann, in einer von Experten geprüften wissenschaftlichen Publikation und bei Präsentationen im Rahmen von wissenschaftlichen Kongressen bekannt gegeben. Die in der Publikation veröffentlichten endgültigen Analysen werden von einem unabhängigen statistischen Zentrum verifiziert.
Die vorläufigen Analysen aus dem MEDALProgramm wurden kürzlich der European Medicines Agency (EMEA), der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) und anderen Zulassungsbehörden von Ländern vorgelegt, in denen ARCOXIA® zugelassen ist oder geprüft wird. Das Unternehmen sieht der Überprüfung der Daten durch all diese Behörden erwartungsvoll entgegen.
Zum MEDAL-Programm
Das in 38 Ländern durchgeführte MEDAL-Programm ist das erste Arthritis-Studienprogramm, das mit der kardiovaskulären Sicherheit als primärem Endpunkt entwickelt wurde. Es ist die umfangreichste und am längsten kontrollierte klinische Beurteilung eines selektiven Cox-2-Hemmers im Vergleich zu einem herkömmlichen NSAR bei einer Patientenpopulation mit Gelenkschmerzen.
Das primäre Ziel des MEDAL-Programms war die Durchführung einer Nicht-Unterlegenheits-Analyse der bestätigten thrombotischen (einen Blutpfropf bildenden) Ereignisse nach täglicher Therapie von Patientenpopulationen mit Arthrose und rheumatoider Arthritis (RA) mit ARCOXIA® (60 oder 90 mg täglich) oder Diclofenac (150 mg täglich). Diclofenac ist das weltweit am häufigsten verordnete herkömmliche NSAR.
Das MEDAL-Programm war ein prospektives klinisches Studienprogramm, das die kardiovaskulären Sicherheitsdaten aus drei Studien – der MEDAL-, EDGE und EDGE-II-Studie – kombinierte.
Die MEDAL-Studie, die längste der drei Studien, war eine an den kardiovaskulären Ereignissen orientierte Studie, die Daten von mehr als 23.000 Patienten mit Arthrose und RA umfasste. Die primäre Hypothese des MEDAL-Programms war, dass 60 oder 90 mg ARCOXIA® pro Tag bei der Behandlung von Patienten mit Arthrose oder RA auf Basis der bestätigten thrombotischen kardiovaskulären Ereignisse 150 mg Diclofenac pro Tag nicht unterlegen, d.h. "nicht schlechter als" 150 mg Diclofenac pro Tag sein würden. Das präspezifizierte Kriterium für die Nicht-Unterlegenheit in dem MEDAL-Programm war eine obere Grenze eines zweiseitigen 95 % Konfidenzintervalls unter 1,30.
Quellen und weiterführende Literatur
Merck & Co., Inc., Whitehouse Station, N.J., und MSD Deutschland, Haar bei München: Pressemitteilung vom 24. August 2006
Design der MEDAL-Studie:
Christopher P. Cannon, MD, Sean P. Curtis, MD, James A. Bolognese, MS, and Loren Laine, MD, for the MEDAL Steering Committee:
Clinical trial design and patient demographics of the Multinational Etoricoxib and Diclofenac Arthritis Long-term (MEDAL) Study Program: Cardiovascular outcomes with etoricoxib versus diclofenac in patients with osteoarthritis and rheumatoid arthritis
Am Heart J 2006;152:237-45 (Abstract)
Curt D. Furberg:
The COX-2 inhibitors—An update (Editorial)
Am Heart J 2006;152:197 - 9