Kinder-Rheumahilfe München e.V.: Rheuma bei Kindern: Zu spät erkannt und unzureichend versorgt
München – In Deutschland leiden genau so viele Kinder an Gelenkrheuma wie an Diabetes oder Krebs – etwa 20 000. Damit zählt Rheuma zu den häufigsten chronischen Leiden im Kindesalter. Und längst nicht alle Betroffenen sind in der Statistik erfasst. Denn manche rheumatischen Erkrankungen, die ohne Gelenkentzündungen auftreten, werden gar nicht als Rheuma erkannt.
Weil die Erkrankung so wenig bekannt und die Versorgungsstrukturen unzureichend sind, wird die Diagnose Rheuma bei Kindern häufig erst nach Irrwegen gestellt. Die Folgen sind jahrelange Schmerzen und Entzündungen, Organschäden, sogar Blindheit. Die ambulante Versorgung Betroffener müsse deshalb dringend verbessert werden, fordert die Kinder-Rheumahilfe München e.V. Zumal nicht nur die jungen Patienten und ihre Familien leiden.
Kinderrheuma sei auch ein gesellschaftliches Problem, so der Verein: Denn eine späte Diagnose und unzureichende Betreuung führen zu körperlichen Einschränkungen und psychischen Problemen. Viele der Betroffenen können am gesellschaftlichen Leben nicht teilhaben, keine Ausbildung antreten oder einen Beruf nur eingeschränkt ausüben.
Nach statistik-basierter Schätzung unter Einberechnung der Dunkelziffer leben in Bayern 5000 bis 6000 an Rheuma erkrankte Kinder. Jährlich erkranken dort mindestens 500 Kinder an einer chronisch-rheumatischen Erkrankung. Viele andere sind von vorübergehenden rheumatischen Erkrankungen betroffen, die ebenfalls von Spezialisten diagnostiziert und behandelt werden sollten. „In den letzten Jahren hat sich die Situation für rheumakranke Kinder im ambulanten Bereich zwar verbessert, doch noch immer sind wir von einer adäquaten Versorgungssituation weit entfernt“, sagt Privatdozentin Dr. med. Annette Jansson, Vorstandsmitglied der Kinder-Rheumahilfe München und Leiterin der Rheumatologie im Dr. von Haunerschen Kinderspital am Klinikum der Universität München.
„So gibt es in ganz Bayern gerade einmal 13 speziell ausgebildete Kinderärzte, die ambulant-rheumatologisch tätig sind.“ Von diesen versorgt ein Teil nur Privatpatienten, andere wiederum sind als niedergelassene Kinderärzte tätig und behandeln nur selten Rheuma-Patienten. „Grund für den Mangel ambulanter Behandlungsmöglichkeiten ist die zeitintensive ärztliche Versorgung der chronisch kranken Patienten, die in unserem Gesundheitssystem noch immer nicht adäquat entlohnt wird“, erläutert Jansson.
Denn sowohl die Abklärung der Krankheit – die gründliche Untersuchung der Gelenke, Blutentnahmen, Ultraschall und weiterführende Diagnostik – sowie die Betreuung chronisch betroffener Kinder ist zeitaufwendig und kostet weit mehr, als die Kassen bislang erstatten. „Daher werden viele Kinder mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen in Deutschland stationär behandelt, obwohl sie aus ärztlicher Sicht oftmals auch ambulant versorgt werden könnten“, so Jansson. Und gerade für Familien mit mehreren Kindern bedeutet es einen enormen Aufwand, sich während der Zeit eines stationären Klinikaufenthalts sozial zu organisieren.
„Um die frühzeitige Diagnosestellung und eine kontinuierliche Versorgung zu gewährleisten und damit die langfristige Prognose betroffener Kinder zu verbessern, braucht es flächendeckende ambulante Versorgungsstrukturen“, sagt Jansson. Eine angemessene Vergütung im ambulanten Bereich ließe sich verwirklichen, wenn durch wohnortnahe Angebote hohe stationäre Kosten wegfallen würden. Zudem könnte eine ausreichend finanzierte und strukturierte ambulante Versorgung Kinderärzte motivieren, sich rheumatologisch weiterzubilden. Damit wäre eine flächendeckende Versorgung auch langfristig garantiert.
Regionale Fortbildungen in Kollegenkreisen – wie sie derzeit von Kinder-Rheumatologen vereinzelt angeboten werden – wären auf regelmäßiger Basis eine gutes Forum, um lokale interdisziplinäre Netzwerke für die betroffenen Kinder zu schaffen. „Zudem brauchen wir geschulte, regional tätige physiotherapeutische und psychosoziale Mitarbeiter, die die ärztliche Arbeit unterstützen und dazu beitragen, dass auch schwer betroffene Patienten am sozialen Leben und am Arbeitsleben teilnehmen können.“
Derzeit leiden mindestens die Hälfte der betroffenen Kinder und Jugendlichen noch im Erwachsenenalter an der Erkrankung. Die Folge sind vermehrte berufliche Ausfallzeiten und vorzeitige Berentung. Die offizielle Anerkennung der rheumatischen Erkrankungen im Kindesalter von gesundheitspolitischer Seite ist deshalb ebenso unabdingbar wie eine entsprechende Vergütung der erforderlichen Betreuungsmaßnahmen im ambulanten Bereich.
Quelle: Pressemitteilung Kinder-Rheumahilfe München e.V.