Kam die rheumatoide Arthritis über den großen Teich?
Der Maler Peter Paul Rubens könnte eines der ersten Opfer einer Seuche gewesen sein, die von Seefahrern aus der Neuen Welt nach Europa gebracht wurde.
Der Gedanke, dass die rheumatoide Arthritis (RA) eine zumindest in Europa relativ junge Erkrankung ist, wird seit etlichen Jahren diskutiert.
Dr. Thierry Appelboom vom Erasmus Hospital in Brüssel nennt den Maler Peter Paul Rubens eines der ersten (bekannten) Opfer einer RA-Epidemie in Europa, die im 16.-17. Jahrhundert begann. Details seiner Gemälde spiegeln nach Appelboom`s Ansicht die Erscheinungen einer fortschreitenden RA wieder.
Antwerpen, wo Rubens lebte, wurde von Seeleuten bevölkert, die aus der „Neuen Welt“ zurückkehrten. Die Inhalte der Schiffsladungen veränderten in steigendem Maße die Essgewohnheiten. Die Bevölkerung wurde zunehmend multikulturell durch die ankommenden Schiffsbesatzungen und -passagiere, ansteckende Krankheiten wurden mitgebracht und übertragen, die gesamten Lebensbedingungen änderten sich fortlaufend.
Die Gesamtheit dieser Veränderungen könnte dafür gesorgt haben, dass ein zwar ansteckender, bis dahin aber nicht aggressiver Erreger aus der Neuen Welt bei seinen europäischen „Gastgebern“ ein neues, schädliches Potential entfaltete.
Die Frage, ob Rubens eher an RA oder an Gicht litt, wird sowohl durch seine Bilder, als auch durch seine Briefe beantwortet. Rubens schrieb, "dass er an einer gichtähnlichen rheumatischen Erkrankung leide, die etliche Gelenke, aber hauptsächlich Hände, Füße und Knie beträfe und die zu mancher Zeit so schlimm sei, dass sie ihn von der Erledigung einiger Aufträge abhalte". Appelboom ist der Ansicht, dass Rubens seine eigenen Hände und Füße als Vorlage für seine Gemälde nahm, so dass auf einigen Bildern deutliche Zeichen einer arthritischen Gelenkveränderung zu erkennen sind.
Ein Beispiel ist das Gemälde „Die Drei Grazien“, das er 1638 malte. Aus Sicht eines Arztes, so Appelboom, sind die Fingergelenke der rechten Hand der links stehenden Grazie in einer Art gebogen und gleichzeitig aber auch überstreckt, die bei einer gesunden Hand so nicht erreicht werden kann.
Normalerweise können die Gelenke eines Fingers nur gemeinsam gebeugt werden, allenfalls eine geringe Streckung ist gleichzeitig möglich. Wenn jedoch die Gelenke eines Fingers gleichzeitig in verschiedene Richtungen zeigen, muss von einem Unfall oder einer Erkrankung ausgegangen werden.
Da Rubens für die Gracien seine 23-jährige Frau Helene Fourment als Modell nahm, von der keine Gelenkbeschwerden bekannt sind, ist die Vermutung, dass die dargestellten Hände seine eigenen sind, nicht so weit hergeholt.
Die Auffälligkeiten in den Gemälden von Rubens zeigen ein Fortschreiten, wie es von einer rheumatoiden Arthritis bekannt ist. So zeigen Bilder des Jahres 1609 Schwellungen an den Fingergrundgelenken des zweiten und dritten Fingers beider Hände.
Im darauf folgenden Jahr sind zusätzlich bereits Schwellungen der Handgelenke zu sehen. 1615 ist die symmetrische Veränderung beider Hände zu beobachten.
Die Fingermittelgelenke sind ab 1629 mit betroffen, 1633 ist auf dem Bild „The Holy Family with St Anne“ bereits eine Abweichung der Finger nach außen zu sehen.
Konkave Verformungen (1633) und Schwanenhals-Deformationen (1638) der Hände können ebenfalls auf den Bildern gefunden werden.
Bei europäischen Skeletten der Zeit vor Rubens sind rheumatoide Veränderungen der Gelenke nur selten festzustellen. So hat Dr. Bruce M. Rothschild vom „Arthritis Center of Northeast Ohio, Youngstown” vor kurzem von einer Untersuchung an 688 Skelettfunden von der Bronzezeit (3.-1. Jahrtausend v. Chr.) bis zur Zeit der Großen Pest ( 1485-1486) berichtet. Eine erosive Gelenkveränderung war sehr selten und nur an wenigen Gelenken zu finden, also nicht mit einer Polyarthritis zu vergleichen.
Auf der anderen Seite des "Großen Teichs", in Amerika, sind dagegen deutliche Anzeichen für eine Verbreitung der RA bei Indianern zu finden, die in diesem Zeitabschnitt lebten. Dies lässt vermuten, dass die rheumatoide Arthritis ursprünglich in Amerika beheimatet war und durch den Kontakt der europäischen Eroberer mit den Einheimischen weltweite Verbreitung fand.
Hafenstädte, wie Rubens` Heimatstadt Antwerpen, waren naturgemäß zuerst betroffen. Interessanterweise ist bei Indianerstämmen in Amerika, unter denen die rheumatoide Arthritis zum Teil weit verbreitet ist und durchaus auch in schwerer Ausprägung auftreten kann, keine HLA-DR4-Beteiligung wie bei weißen Bevölkerungsteilen zu finden.
Bei der Erforschung der Geschichte der RA versuchen die Wissenschaftler, die frühesten aufgezeichneten Fälle in Europa zu finden und eine Verbindung zum deutlichen Anstieg der Erkrankungshäufigkeit ab dem 16. Jahrhundert herzustellen.
Der mexikanische Arzt Dr. FJ Aceves-Avila sieht in Übereinstimmung mit einigen anderen Forschern einen Schwerpunkt bei den veränderten Ernährungsgewohnheiten in Europa und macht die Verwendung verschiedener Produkte aus der Neuen Welt, insbesondere Tabak, für die zunehmende Verbreitung der RA verantwortlich.
Tabak, in Europa vor 1492 unbekannt, steht als Auslöser oder zumindest Verstärker einer rheumatoiden Arthritis in Verdacht. Die Schädigung der Gefäßwände und eine erhöhte Produktion von Substanzen, die eine Arthritis auslösen oder verschlimmern können, werden als Zusammenhang vermutet.
Auch zu Aspirin wird eine Verbindung hergestellt. Zwei amerikanische Ärzte sehen die Einführung von Acetylsalicyläure, die 1899 erfolgte, mit ihrer schädigenden Wirkung auf die Magenschleimhaut als einen möglichen Faktor für die gesteigerte Aufnahme von schädlichen Bakterien und Nahrungsallergenen in die Blutbahn.
Appelboom ist sich aber bewusst, dass ein genauer Nachweis auf die eigentliche Ursache wohl kaum zu erbringen sein wird. Zuviel hat sich damals in kurzer Zeit verändert: Ernährung, Kleidung, Klimaeinflüsse, Wohnsituationen, Krankheitsbilder und auch genetische Einflüsse, da die Menschen ihre Partner nicht mehr in der näheren Umgebung suchen mussten, sondern sich durch die bereits zu dieser Zeit zunehmenden Mobilität mit immer fremderem Blut vermischten.
Die Erforschung der Entstehung der rheumatoiden Arthritis, angeregt durch die Analyse der Bilder eines zeitgenössischen Malers, könnte auch Hinweise auf die Entwicklung dieser Erkrankung in der Zukunft geben. Wenn man genau wüsste, was diesen Krankheitsschub zu Rubens` Zeiten ausgelöst hat, würden möglicherweise einer erfolgreichen Therapie neue Wege geebnet.
Literatur
Appelboom T. Hypothesis: Rubens one of the first victims of an epidemic of rheumatoid arthritis that started in the 16th-17th century? Rheumatology 2005; 44:681-683.
Rothschild BM, Coppa A, Petrone PP. "Like a virgin": Absence of rheumatoid arthritis and treponematosis, good sanitation, and only rare gout in Italy prior to the 15th century. Reumatismo 2004; 56:61-66.
Buchanan WW, Kean WF. Rheumatoid arthritis: Beyond the lymphocyte. J Rheumatol 2001; 28:691-693.
Aceves-Avila FJ, Medina F, Fraga A. The antiquity of rheumatoid arthritis: a reappraisal. J Rheumatol 2001; 28:751-757.
Buchanan WW, Laurent RM. Rheumatoid arthritis: an example of ecological succession? Can Bull Med Hist 1990; 7:77-91.