Interview mit Professor Steffen Gay: Neue Erkenntnisse aus der Epigenetik
Während des 4. Interdiziplinären Symposiums `Inflammation at Interfaces´ des Exzellenzclusters Entzündungsforschung (Schleswig-Holstein) vom 22. bis 23. Februar 2013 in Hamburg war Professor Dr. Steffen Gay einer der Keynote Speaker mit dem Thema: "Epigenetics in the regulation of Inflammation".
Während des Symposiums ergab sich die Gelegenheit für ein Interview mit Professor Gay, der an der Universitätsklinik in Zürich als Professor für Experimentelle Rheumatologie mit den Fachgebieten: Entstehung und Verlauf von Autoimmunerkrankungen, Epigenetik und Rheumatische Erkrankungen arbeitet. Professor Gay beschäftigt sich bereits seit mehr als 15 Jahren mit epigenetischen Phänomena. Er war so freundlich, einige wichtige Begriffe für uns zu erläutern und über neue Erkenntnisse zu berichten
Missler-Karger: Herr Professor Gay gibt es eine einfache Beschreibung für den Begriff Epigenetik?
Professor Gay: Lassen sie mich dazu etwas ausholen: Wir wissen seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, dass nur zwei Prozent unseres genetischen Materials ausmachen, wer wir sind, d. h. unser klassisches Erbgut darstellen. Die verbleibenden 98 Prozent hat man zunächst als „Junk“ (Müll) angesehen bis sich herausstellte, dass die Produkte, die dort abgeleitet werden, zu den Millionen „Lichtschalter Aus-Ein Kombinationen“ gehören, mit denen man Gene an- oder abschalten kann. Und genau dieses An- oder Abschalten der Gene ist Epigenetik.
Missler-Karger: Wie kann ich mir diesen Mechanismus des An- oder Abschaltens vorstellen?
Professor Gay: Es gibt nicht nur einen sondern mehrere Regulationsmechanismen, die bei chronisch entzündlichen Erkrankungen eine Rolle spielen. Ich will sie hier nur nennen, ohne sie weiter zu erklären, weil das den Rahmen unserer Unterhaltung sprengen würde: Acetylierung, Methylierung, Ubiquitinierung, Sumoylierung, und microRNAs . In den Fibroblasten von RA-Patienten ist zudem die gesteigerte Metabolisierung von Polyaminen von Bedeutung, da sie zu einer Abnahme von S-Adenosyl-Methionin und darüber zu einer allgemeinen Hypomethylierung – sprich „Bloßlegung“ der DNA und damit Modifizierbarkeit führt [1].
Unterlegung der Begriffe im Netz mit
Missler-Karger: Gibt es Untersuchungen, ob eine Supplementierung mit S-Adenosyl-Methionin und evt. mit anderen Methylgruppe-Donatoren wie der Folsäure positive Effekte hinsichtlich epigenetischer Veränderungen bewirken?
Professor Gay: In vitro Untersuchungen mit Fibroblasten von RA-Patienten haben diese Effekte zeigen können. Um diesen Einsatz empfehlen zu können, fehlen jedoch klinische Studien, die sorgfältig durchgeführt die Wirkungen und Nebenwirkungen von Methyl Donatoren beim Menschen untersuchen. Im Übrigen bestehen epigenetische Regulationsmechanismen aus fein austarierten Vorgängen, die sich nicht nur z. B. auf die Methylierung herunterbrechen lassen.
Dass die Ernährung einen Einfluss auf epigenetische Mechanismen ausüben kann, haben die Versuche mit der Agouti-Maus gezeigt. Bei diesen dicken, gelben Mäusen senkten Waterland und Jirtle die Aktivität des Agouti-Gens mit einer Vitamin B12-, Folsäure- und einer cholinreichen Diät. Die Weibchen bekamen das angereicherte Futter zwei Wochen vor der Paarung und während der Schwangerschaft. Das Resultat war erstaunlich: Die Mehrzahl der Mäusenachfahren waren überwiegend schlank und braun. Zudem fehlte die Veranlagung für Krebs und Diabetes [2, 3].
Missler-Karger: Gibt es außer der Ernährung noch weitere Umweltfaktoren, die bei epigenetischen Vorgängen eine Rolle spielen?
Professor Gay: Ja, neben der Ernährung können z. B. auch das Klima, die Luftverschmutzung, das Rauchen, der Alterungsprozess und besonders psychosoziale Belastungen von Bedeutung sein. So wurden in einem Versuch Mäusekinder von ihren Müttern getrennt, was zu aggressivem Verhalten der Nachfahren führte. Dieses Verhalten wurde an die nächste Generation weitergegeben, auch wenn die Mutter sich ganz normal um ihren Nachwuchs kümmern konnten [4].
Missler-Karger: Sind diese epigenetischen Veränderungen also vererbbar?
Professor Gay: Nur bedingt. Aber für eine Vererbung spricht auch dieses Beispiel der schwangeren Niederländerinnen aus den Hungerjahren 1944/45. Sie brachten untergewichtige Kinder zur Welt, die später Übergewicht und psychische Störungen entwickelten, und früh an Alterskrankheiten litten. Erstaunlicherweise gebaren die betroffenen Frauen selbst wieder verhältnismäßig kleine Kinder, obwohl es zum Zeitpunkt der Zeugung reichlich Nahrung gab und der Zweite Weltkrieg mit seinen weiteren Komplikationen vorbei war. Die Gene der Enkel wiesen demnach noch Informationen über die Lebensbedingungen der Großmütter auf [5].
Missler-Karger: Welche Bedeutung hat die Epigenetik bei der Entstehung und im Verlauf von chronischen Erkrankungen (z. B. RA und bösartige Erkrankungen)?
Professor Gay: Epigenetische Faktoren spielen eine wesentliche Rolle bei allen diesen Erkrankungen. Bei der Rheumatoiden Arthritis haben wir in Zürich eine Reihe von epigenetischen Veränderungen gefunden [6]. Details zu weiteren Erkrankungen sind aktuell noch Gegenstand der Grundlagen- und Medizinischen Forschung.
Missler-Karger: Herr Professor Gay herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für die Beantwortung der Fragen genommen haben.
1) Karouzakis E, Gay RE, Gay S, Neidhart M.
Increased recycling of polyamines is associated with global DNA hypomethylation in rheumatoid arthritis synovial fibroblasts.
Arthritis Rheum. 2012 Jun;64(6):1809-17. doi: 10.1002/art.34340
Abstract
2) Wolff GL, Kodell RL, Moore SR, Cooney CA.
Maternal epigenetics and methyl supplements affect agouti gene expression in Avy/a mice.
FASEB J. 1998 Aug;12(11):949-57.
Abstract
3) Waterland RA, Jirtle RL.
Transposable Elements: Targets for Early Nutritional Effects on Epigenetic Gene Regulation.
Mol Cell Biol 2003; 23(15): 5293–5300.
Arthritis Rheum. 2012 Jun;64(6):1809-17. doi: 10.1002/art.34340. Epub 2011 Dec 14.
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4) Franklin, T. B., et al.:
Influence of early stress on social abilities and serotonergic functions across generations in mice.
PLoS One 6 (2011) e21842
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5) Bygren, L.O. et al.
Longevity Determined by Paternal Ancestors' Nutrition during Their Slow Growth Period.
ACTA BIOTHEORETICA, 1999, Volume 49, Number 1, 53-59
Abstract
6) Lars C. Huber, Joanna Stanczyk, Astrid Jüngel, and Steffen Gay
Epigenetics in Inflammatory Rheumatic Diseases
Arthritis & Rheumatism, Vol. 56, No. 11, November 2007, pp 3523–3531
DOI 10.1002/art.22948
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Weitere Informationen zum Interdisziplinären Symposium `Inflammation at Interfaces´ des Exzellenzclusters Entzündungsforschung (Schleswig-Holstein) in Hamburg vom 22. bis 23. Februar 2013 bei rheuma-online
Mittwoch, 27.02.2013
Interdisziplinären Symposium `Inflammation at Interfaces´ des Exzellenzclusters Entzündungsforschung (Schleswig-Holstein) in Hamburg vom 22. bis 23. Februar 2013
Freitag, 08.02.2013
Exzellenzcluster tagt in Hamburg