Interdisziplinäres Symposium: Sehnerveninfarkt AION (vordere ischämische Optikopathie, Apoplexia papillae) am 12. und 13. September in Düsseldorf
Augenärzte aus Praxis, Klinik und Wissenschaft trafen sich am Wochenende in Düsseldorf, um sich auf diesem interdisziplinären Symposium zusammen mit Neurologen, Kardiologen, Nephrologen, Gerinnungsspezialisten, Rheumatologen und klinischen Immunologen über die aktuellen Kenntnisse zur Ursache, Diagnostik und Therapie des Sehnerveninfarktes AION auszutauschen. Eine wesentliche Ursache der AION sind entzündlich-rheumatische und immunologische Systemerkrankungen sowie durch Infektionen ausgelöste Immunreaktionen.
AION bei infektiösen und entzündlichen Erkrankungen
Hans-Eckhard Langer, Renate Unsöld
Interdisziplinäres Symposium: Sehnerveninfarkt AION (vordere ischämische Optikopathie, Apoplexia papillae)
Neue Erkenntnisse zur Ätiologie, Pathogenese, Diagnostik und Therapie
12. und 13. September 2003, Rheinterrassen Düsseldorf
AION bei entzündlich-rheumatischen und immunologischen Systemerkrankungen
Entzündungen können bei der Entstehung einer AION eine unmittelbare Ursache darstellen (z.B. bei Autoimmunerkrankungen als Vaskulitis mit vaskulitisch bedingten Gefäßverschlüssen oder durch gerinnungsaktive Auto-Antikörper wie Anti-Phospholipid-Antikörper), sie können aber auch eine indirekte Rolle spielen, z.B. durch entzündlich bedingte Veränderungen der Hämodynamik (Exsikkose und Blutdruckabfall bei hochfieberhaften Infekten mit starken Flüssigkeitsverlusten, z.B. bei Gastroenteritiden) oder durch Veränderungen der Hämostaseologie (z.B. entzündlich bedingte Erhöhung des Fibrinogens und Aktivierung andere Gerinnungsfaktoren, entzündlich bedingte Thrombozytose).
Die gängigen Differentialdiagnosen einer entzündlich bedingten AION umfassen in erster Linie Erkrankungen aus der Gruppe der Vaskulitiden, danach die verschiedenen Kollagenosen und weitere Autoimmunerkrankungen.
Bei den Vaskulitiden geht die Riesenzellarteriitis (Arteriitis temporalis, M. Horton) mit Abstand am häufigsten mit der Komplikation einer AION einher. Ischämische Augenbeteiligungen finden sich typischerweise, allerdings wesentlich seltener als bei der Arteriitis temporalis, auch bei den übrigen nekrotisierenden Vaskulitiden, z.B. als retinale Infarkte. Manifestationen im Sinne einer AION werden bei diesen Erkrankungen eher kasuistisch mitgeteilt. Das differentialdiagnostische Spektrum umfasst dabei in erster Linie die Gruppe der ANCA-assoziierten Arteriitiden wie die klassische Panarteriitis nodosa, den M. Wegener und das Churg-Strauss-Syndrom. Mehrere Kasuistiken berichten außerdem über das Auftreten einer AION beim Takayasu-Syndrom.
In der Gruppe der Kollagenosen tritt eine AION oft in Verbindung mit einem sekundären Cardiolipin-Antikörper-Syndrom (Antiphospholipid-Syndrom, APS) auf, speziell beim systemischen Lupus erythematodes (SLE), aber auch bei undifferenzierten Kollagenosen und beim primären Sjögren-Syndrom. In einigen Fällen entwickelt sich die AION auch ohne Nachweis von Cardiolipin-Antikörpern oder Lupus-Antikoagulans. In diesen Fällen wird von einer Vaskulitis im Rahmen der Grunderkrankung ausgegangen.
Einzelfälle beschreiben eine AION bei der rheumatoiden Arthritis (chronischen Polyarthritis), bei eosinophiler Fasziitis sowie bei Autoimmunthyreopathien, außerdem bei undifferenzierten Autoimmunerkrankungen. Bei mehreren unserer Patienten war eine AION die Erstmanifestation einer Sarkoidose.
Über eine vermutlich immunologisch vermittelte anteriore ischämische Optikus-Neuropathie wurde im Zusammenhang mit Impfungen (Influenza, Hepatitis B) berichtet.
Eine weitere seltene immunologische Ursache einer AION ist die Interferon-Therapie (Interferon alpha und Interferon beta-1a), wie sie bei der Therapie der chronischen Hepatitis C bzw. in der Onkologie eingesetzt wird (z.B. beim malignen Melanom).
AION in der Folge von Infektionen
Eigene Beobachtungen fokussieren zunehmend auf die Bedeutung von Infektionen als auslösende Faktoren einer AION. Bei genauer Anamnese geht den ersten Manifestationen der AION nicht selten ein Infekt der oberen Luftwege voraus. Bei einem hohen Prozentsatz dieser Patienten lassen sich in der Serologie Antikörper gegen Chlamydia pneumoniae nachweisen, zumeist IgG- und IgA-Antikörper, in einigen Fällen sogar IgM-Antikörper als relativ sicheren Hinweis auf eine noch floride Infektion.
Nach den infektserologischen Befunden kommen als weitere mögliche Auslöser Infektionen mit Ebstein-Barr-Virus (EBV), Cytomegalie-Virus (CMV), humanem Herpes-Virus 6 (HHV-6) und Hepatitis (insbesondere Hepatitis C) in Betracht, aus der Gruppe der bakteriellen Erreger Mykoplasma pneumoniae, Borrelia Burgdorferi, Treponema pallidum (Lues) und Streptokokken.
Eine potentielle Bedeutung von Chlamydia pneumoniae bei der Ätiopathogenese der Arteriosklerose und insbesondere auch der Koronarsklerose wird schon seit längerem diskutiert. Einige Arbeiten deuten auch auf einen Zusammenhang mit dem akuten ischämischen Schlaganfall. In neuerer Zeit mehren sich die Hinweise auf eine mögliche ätiopathogenetische Rolle auch bei der Riesenzellarteriitis. Ganz aktuelle Arbeiten unterstützen die Hypothese eines möglichen Zusammenhangs zwischen einer vorausgehenden Infektion mit Chlamydia pneumoniae und der Entstehung einer AION.
Über welchen Mechanismus es in der Folge einer Infektion zur Entwicklung einer AION kommen könnte, ist derzeit noch ungeklärt. Denkbar ist die Induktion einer Vaskulitis.
Die Beobachtung einer vorausgehenden Infektion mit Chlamydia pneumoniae mit nachfolgender AION und gleichzeitigem Nachweis von Cardiolipin-Antikörpern lässt aber auch andere Hypothesen zu, z.B. die Entwicklung von Auto-Antikörpern in der Folge der Chlamydien-Infektion und die Auslösung der AION nicht durch einen primär vaskulitischen Prozeß, sondern durch ein infektreaktiv induziertes Cardiolipin-Antikörper-Syndrom.
Die ätiopathogenetische Rolle von Cardiolipin-Antikörpern bei der AION im Rahmen von Kollagenosen ist gut dokumentiert. Ihre Bedeutung im Zusammenhang mit Infekten ist für die AION bislang noch nicht systematisch untersucht worden. Einzelfallbeobachtungen deuten aber darauf hin, dass Cardiolipin-Antikörper zumindestens als Co-Faktoren für die Entstehung einer infektassoziierten AION wirken könnten. So beschreibt eine ganz aktuelle Arbeit eine bilaterale AION im Zusammenhang mit einer chronischen Hepatitis C und assoziierten Cardiolipin-Antikörpern.
Bei einem anderen Patienten kam es in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit einer schweren Bronchitis mit beginnender Pneumonie zu einer AION des rechten Auges. Die Infektserologie machte eine Infektion mit Chlamydia pneumoniae als auslösenden Erreger wahrscheinlich. Ein Jahr später kam es, diesmal ohne erkennbare äußere Ursachen, zu einer AION links. Zu diesem Zeitpunkt waren nun erstmals signifikant positive antinukleäre Antikörper nachweisbar (ANA von 1:320), Antiphospholipid-Antikörper hingegen zu allen Zeitpunkten negativ. Denkbar ist nach dieser Beobachtung auch ein anderer infektinduzierter Autoimmun-Mechanismus, bei der die AION nicht durch ein APS-Syndrom hervorgerufen wird. Der Krankheitsverlauf in diesem Fall verdeutlicht darüber hinaus die außerordentlich komplexen ätiopathogenetischen Mechanismen im Zusammenhang mit Infektionen, immunologischen Reaktionen und Autoimmunphänomenen und lässt vermuten, dass die Ätiopathogenese von vielen Autoimmunkrankheiten nicht monokausal, sondern multifaktoriell gedacht werden muß. Dies dürfte auch für die entzündlichen Ursachen einer AION zutreffen.
Anamnestische Hinweise auf eine entzündliche Ursache einer AION
Entscheidende diagnostische Hinweise auf eine infektiöse Ursache einer AION oder eine zugrundeliegende entzündlich-rheumatische oder immunologische Systemerkrankung ergeben sich aus der Anamnese.
Systematisch abgefragt werden sollten insbesondere:
- vorausgehende Infekte der oberen Luftwege (Bronchitis, Husten, Sinusitis, Halsschmerzen, Schluckbeschwerden)
- gastrointestinale Infekte (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen); gezieltes Nachfragen nach abdominellen Symptomen auch in der länger zurückliegenden Anamnese (pseudoappendizitische Symptome; unklare Bauchschmerzen, Durchfallsepisoden, blutige und schleimige Stühle)
- urogenitale Infekte (Schmerzen und Brennen am Wasserlassen, Pollakisurie, Ausfluß aus der Harnröhre, Unterbauchschmerzen); gezielte Nachfrage nach Vorhaut-Entzündungen, Prostata-Entzündungen, Eileiter-Entzündungen, Eierstocksentzündungen auch in der länger zurückliegenden Anamnese; Wechsel des Sexualpartners im relevanten Zeitraum (Wochen bis wenige Monate vor dem aktuellen Ereignis)
Als Hinweise auf einen Infekt:
- Lymphknotenschwellungen
- Arthralgien, Myalgien
- Kopfschmerzen
- Temperaturerhöhungen, Fieber
- Allgemeinsymptome (Leistungsminderung, Abgeschlagenheit, Nachtschweiß)
- Hautsymptome (Erythema nodosum, Erythema migrans)
- Insektenstiche, auch länger zurückliegende Zeckenbisse
- Vorhergehende Urlaubsaufenthalte (Länder mit erhöhtem Infektionsrisiko; Fernreisen, auch im Hinblick auf seltene und „exotische“ Infektionserreger)
Als Hinweise auf eine entzündlich-rheumatische oder immunologische Systemerkrankung:
- Gelenkschmerzen, Gelenkschwellungen
- Muskelschmerzen, polymyalgische Symptome (stammnah betonte Muskelschmerzen: Schultergürtel, Gesäßmuskulatur, Oberschenkelmuskulatur)
- Nackenschmerzen, besonders in den frühen Morgenstunden und beim morgendlichen Aufstehen
- Rückenschmerzen vom entzündlichen Typ (insbesondere in Ruhe, nachts, in den frühen Morgenstunden, schmerzbedingtes nächtliches Erwachen)
- Schläfenkopfschmerz
- Schmerzen in der Kaumuskulatur, Kauschmerz, insbesondere auch morgendlich betont
- Ausgeprägte Morgensteifigkeit von länger als 30 – 60 Minuten
- Sicca-Symptomatik (Auge, Mund)
- Hauterkrankungen: Psoriasis, Psoriasis in der Familie (bei Verwandten 1. und 2. Grades)
- Hautsymptome (Schmetterlingserythem, Erythema nodosum, Erythema migrans)
- Raynaud-Symptomatik
- Starke Sonnenunverträglichkeit
- Schwangerschaftskomplikationen, Aborte
- Neurologische Symptome: periphere Sensibilitätsstörungen, neurologische Ausfälle, Konzentrationsstörungen, psychomotorische Attacken
- Vorbestehende Schilddrüsenerkrankungen (Autoimmunthyreopathien)
- Allgemeinsymptome (Leistungsminderung, Abgeschlagenheit, Nachtschweiß)
- Temperaturerhöhungen, Fieber (bei vielen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen oft, wenn überhaupt, eher subfebrile Temperaturen)
- Fieber unklarer Ursache (Riesenzellarteriitis!)
- stärkere / starke ungewollte Gewichtsabnahme
- Unerklärliche Stimmungsschwankungen, Depressivität
- Vorhergehende Urlaubsaufenthalte (starke UV-Exposition, Infektionen)
- Zeitlicher Zusammenhang mit hormonellen Umstellungen (Menarche, Schwangerschaft, Wechseljahre, erstmalige Einnahme der Pille, Wechsel des Präparats, sonstige Hormon-Therapien)
Klinische Untersuchung bei Verdacht auf eine entzündliche Ursache einer AION: Typische Leitbefunde
Bei der klinische Untersuchung sollte speziell auf wichtige Leitbefunde geachtet werden. In manchen Fällen erlauben pathognomonische Veränderungen bereits eine „Blickdiagnose“, die allerdings immer durch entsprechende Untersuchungen bestätigt und
und durch eine sorgfältige Differentialdiagnostik abgesichert werden muß.
Typische Leitsymptome und Leitbefunde für wichtige entzündlich-rheumatische und immunologische Systemerkrankungen sind:
- Verdickte, druckschmerzhafte Schläfenarterien ---> Arteriitis temporalis
- Schmetterlingserythem ---> SLE
- Gelenkschwellungen / Querdruckschmerz über den Fingergrundgelenken ---> chronische Polyarthritis
- Raynaud-Symptomatik ---> Kollagenosen
- Sklerodaktylie ---> Sklerodermie / CREST – Syndrom
- Teleangiektasien ---> CREST
- Livedo reticularis, livedo racemosa -à Vaskulitiden, Kollagenosen, APS (Anti-Phospholipid-Syndrom, Cardiolipin-Antikörper-Syndrom)
- Nagelfalznekrosen ---> Vaskulitis, Kollagenosen
- Hautinfarkte ---> nekrotisierende Vaskulitiden
- Kapillarnekrosen ---> Vaskulitiden, APS, Kryoglobulinämie
- Erythema nodosum -à Sarkoidose (aber auch andere granulomatöse Erkrankungen, insbesondere M. Crohn, außerdem in der Folge von Infektionen, z.B. Yersinien, Streptokokken, Tuberkulose (!))
Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit
Das breite Ursachenspektrum der AION macht es notwendig, neben einer differenzierten Anamnese und der klinischen Untersuchung auch durch gezielte Laboruntersuchungen und weitere diagnostische Maßnahmen nach entzündlich-rheumatischen und immunologischen Systemerkrankungen sowie nach Infektionen als möglichen Auslösern des Krankheitsbildes zu fahnden. Da hier noch viele Fragen offen sind, sollte bei der Diagnostik ein einheitliches Vorgehen und eine Basisdokumentation angestrebt werden, um eine systematische Auswertung der klinischen Daten und die Generierung von Hypothesen zu ermöglichen. In Düsseldorf hat sich dazu ein interdisziplinär und multidisziplinär strukturiertes Kooperationsmodell bewährt.
Korrespondenzadresse:
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer
Schwerpunktpraxis für Rheumatologie, klinische Immunologie und Infektiologie
am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf
Fürstenwall 99
40217 Düsseldorf
Tel. 0211 – 99 444 77
Fax 0211 – 99 444 80
E-Mail: Dr.Langer@rheuma-online.de