Innovationen in der Therapie rheumatischer Erkrankungen
"Was man nicht erklären kann, sieht man gern als Rheuma an." Mit diesem Zitat von Wilhelm Busch war Professor Schulze-Koops mitten im Thema seines Vortrags anlässlich der Eröffnungs-Pressekonferenz zum Jahreskongress der DGIM am 6. April 2013 in Wiesbaden. Denn bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts lagen die Ursachen rheumatischer Erkrankungen im Dunklen, und folglich waren spezifische Behandlungsmöglichkeiten nicht möglich. Erst während des letzten Jahrzehnts ist durch die Einführung der Biologika in die Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen der Durchbruch gelungen und die Patienten müssen heute - wenn sie rechtzeitig fachärztlich behandelt werden - keine Gelenkzerstörungen mit entsprechenden Konsequenzen mehr befürchten.
Rheuma, das sind weit mehr als 100 verschiedene Erkrankungen des Bewegungsapparates, die jeden befallen können, vom Säugling bis zum Greis. Die Ursache der Erkrankungen lag lange im Dunklen. Bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts hatte man keine Ahnung davon, welche Mechanismen zu einer Gelenkentzündung führen können, und man hatte infolgedessen noch weniger eine Idee, wie die Patienten, die an „Rheuma“ litten, am besten zu therapieren seien. Da man die Entstehungsmechanismen nicht kannte, konnte man auch keine unterschiedlichen Erkrankungen definieren und schon gar nicht daran denken, krankheitsspezifisch zu therapieren.
Die Forschung hat die Rheumatologie in den letzten Jahrzehnten enorm voran gebracht. Basierend auf einem immer besseren Verständnis der Molekularbiologie und der Immunologie ist es gelungen, klare Vorstellungen von der Entstehung rheumatischer Erkrankungen zu entwickeln und verschiedene Erkrankungen mit sehr ähnlichen klinischen Symptomen zu unterscheiden.
Heute unterscheidet der Rheumatologe vor allem auf dem Fundament ihrer Pathogenese mehrere große Gruppen rheumatischer Erkrankungen. Dazu gehören die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (mit ihren Hauptvertretern, der rheumatoiden Arthritis und der Arthritis bei Schuppenflechte), die nicht-entzündliche, degenerative Arthrose, die Gelenkschmerzen bei Stoffwechselerkrankungen (wie der Gicht) und die weichteilrheumatischen Erkrankungen (mit der Fibromyalgie). Zu den Erkrankungen, die ebenfalls Gelenke befallen können aber primär andere klinische Manifestationen haben, gehören die Bindegewebserkrankungen (Kollagenosen) und die Gefäßentzündungen (Vaskulitiden).
Mit der Erkenntnis, dass sich die Ursache rheumatischer Erkrankungen unterscheiden, bestand die Möglichkeit, mit Therapien in diese Ursachen einzugreifen. Auch diese Entwicklung profitierte seit den 1980er Jahren vom großen Fortschritt in der Zell- und Molekularbiologie. Vor allem über die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen hat man in den letzten 30 Jahren enorm viel gelernt.
Wir kennen heute nicht nur die Gene, die das Risiko erhöhen, an bestimmten Rheumaformen zu erkranken. Wir haben alle Zellen identifiziert, die für chronische Entzündungsprozesse verantwortlich sind, wir haben auch einzelne Komponenten der Entzündungskaskade definieren können und damit letztlich ein Bild entstehen lassen, das es uns ermöglicht, viele Erkrankungen molekular zu begreifen.
Was nützt das dem Patienten? Mit denselben Methoden, die wir für die Untersuchung der Erkrankungscharakteristika benutzen, hat man auch zentrale Punkte in der Entzündungsskala identifiziert und gezielt Substanzen entwickelt, die an diesen zentralen Punkten die Entzündung blockieren. Dazu kam anfänglich etwas Glück und durchaus auch eine, wie man heutzutage weiß, nicht ganz korrekt interpretierte Serie von Laborbefunden.
Aber mit der Entwicklung von Antikörpern gegen einen Schlüsselbotenstoff der Entzündung (Tumor-Nekrose-Faktor, TNF) und der Einführung dieser Substanzen in die Therapie hat die Behandlung der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen einen Quantensprung vollzogen. Wir können mit den modernen Therapeutika heute nicht nur jedwede Gelenkzerstörung vermeiden. Wir können mit unseren Patienten sogar über lange medikamenten- und krankheitsfreie Phasen sprechen und damit erstmals einen Zustand erreichen, der die früher so behindernden und zerstörenden Erkrankungen für Monate bis Jahre in den Schlaf versetzt, sie vielleicht sogar beendet.
Wir haben jetzt zehn moderne Therapieverfahren (sogenannte Biologika) für die Behandlung rheumatischer Erkrankungen zugelassen, das jüngste seit Juli 2011. Das Spektrum der Erkrankungen, die wir mit den modernen Therapien behandeln können, erweitert sich ständig und umfasst heute nicht die großen, häufigen Erkrankungen der Erwachsenen sondern zunehmend auch Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen. Dasselbe gilt für seltene Erkrankungen des Erwachsenen, für die bisher keine Alternativen bestanden.
Die neueste Entwicklung von Medikamenten betrifft Substanzen, die gezielt in Signalkaskaden und Immunzellen eingreifen und damit deren Funktion – zum Beispiel die Förderung einer Entzündung – blockieren. Diese Kinaseinhibitoren haben eine ähnliche Effizienz in er Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen wie die Biologika. Sie sind im Gegensatz zu Biologika aber chemisch hergestellte Medikamente und können daher als Tablette gegeben werden, während Biologika im Magen von der Magensäure zerstört werden würden. Mit der Zulassung eines Inhibitors, der sogenannten Januskinasen, wird in Deutschland im Laufe des Jahres gerechnet.
Die neuen Behandlungsoptionen in der Rheumatologie haben auch dazu geführt, dass die Betreuung von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen dramatisch anders ist als noch vor 15 Jahren. Heute empfehlen die Europäische Liga gegen Rheuma und die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), dass Patienten mit einer Entzündung in mindestens zwei Gelenken (Arthritis) idealerweise innerhalb der ersten sechs Wochen nach Beginn der Symptome von einem Rheumatologen gesehen werden sollen.
Beim Rheumatologen kann dann unter Umständen mithilfe modernster diagnostischer Verfahren, zu denen er Ultraschall gehört, eine Diagnose gestellt und unmittelbar eine geeignete Therapie eingeleitet wird. Die jüngsten Erfahrungen einer solch früh einsetzenden intensiven Behandlung zeigen, dass tatsächlich Knorpel-, Knochen- und Gelenkzerstörung verhindert werden können, wenn nur rechtzeitig mit der Therapie begonnen wird.
Damit das sich verändernde Verständnis über die Notwendigkeit einer frühen Therapie auch den Patienten zugutekommt, haben sich an vielen Orten in Deutschland niedergelassene Rheumatologen, rheumatologische Fachkliniken und universitäre Rheumatologen zu lokalen Rheumazentren zusammengeschlossen. Die Rheumazentren informieren auf Veranstaltungen, mit Veröffentlichungen und durch Vorträge über die neuen Richtlinien, die neuen Konzepte und die neuen Behandlungsmethode.
Das Ziel dieser Aktivitäten ist es, jeden, Ärzte wie potenzielle Patienten, darüber aufzuklären, dass Rheuma heute kein Zipperlein mehr ist, dass frühes Handeln dauerhaften Schmerz und permanente Behinderung verhindert, und dass heute Therapien zur Verfügung stehen, mit denen private, soziale und berufliche Lebensqualität erhalten werden kann.
An vielen Rheumakliniken sind in den letzten Jahren Früharthritis-Sprechstunden eingerichtet worden, und auch viele niedergelassene Rheumatologen haben spezielle Zeiten für Akutfälle reserviert. Mithilfe dieser Maßnahmen und einem besseren Verständnis in der Bevölkerung über die Dynamik der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gelingt es zunehmend, die durchschnittliche Wartezeit von 18 Monaten von Beginn der Symptome bis zum Besuch beim Rheumatologen auf wenige Wochen zu reduzieren.
Andere Länder wie Holland oder Österreich sind schon ein gutes Stück vorangekommen. Aber auch in Deutschland sind wir auf dem richtigen Weg. Denn Rheuma, und das ist die erfreulichste Konsequenz der fruchtbaren Übertragung von Laborergebnissen auf die tägliche klinische Praxis, ist jetzt endlich behandelbar. Es muss jetzt nur noch rasch erkannt werden.
Quelle:
Vortrag Professor Dr. med. Hendrik Schulze-Koops,
Leiter der Rheumaeinheit,
Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München
Eröffnungs-Presskonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM)
Samstag 6. April 2013 in Wiesbaden
Moderation: Anne-Katrin Döbler, Pressestelle DGIM
DGIM Pressestelle:
Anna Julia Voormann/Corinna Spirgat