Hunter´s Corner – Die Silberne Kongreßzitrone
Schade eigentlich, daß alles, was mein Rheumatologenfreund und ich bei unseren morgendlichen Spazierengängen so besprechen, der Menschheit verloren geht, denke ich schon länger. Bis mir am Sonntag früh auf den Rheinauen zwischen Langst und Ilverich die Idee kam, vielleicht die eine oder andere Geschichte einfach einmal zu erzählen. Fast in einer Art Dog-Blog. Was haltet ihr davon?
Wenn ich morgens mit meinem Rheumatologenfreund über die Felder gehe, unterhalten wir uns über gar manches. Manches ist garer, manches auch ungar. Immer ist es interessant, denn Rheumatologie, das ist mir sehr schnell klar geworden, ist ein faszinierendes Fach.
Schade eigentlich, daß unsere morgendlichen Episodenfilme der Menschheit verloren gehen, fast noch mehr schade, daß auch die tief- und hintergründigen Gedanken, die oft abrupt, fast wie ein Werbeblock, die rheumatologische daily soap unterbrechen, im Raum über den Feldern und Wiesen verschwinden.
Bis mir letzten Sonntag früh in den Rheinauen – man muß wissen, daß mein Rheumatologenfreund und ich am Sonntag meistens durch die Rheinauen laufen – eine Idee kam. Ob man nicht vielleicht die eine oder andere Geschichte erzählen sollte, und ob man nicht vielleicht auch den einen oder anderen Gedanken im Web kursieren lassen sollte, der sich bei unseren Spaziergängen so entwickelt, um nicht zu sagen, teilweise auch verwickelt.
„Wie war denn Dein Kongreß“, fragte ich an diesem Morgen meinen Rheumatologenfreund. Sein Herz war voll, der Eindruck noch frisch und der Weg lang, will sagen, es wäre eine Hundearbeit, alles aufzuschreiben, was ich über Berlin erfahren habe.
Um es zusammenzufassen: Der Berliner Kongreß überzeugte wohl über weite Strecken durch exzellente Themen, brillante Referenten und hochklassige Diskussion.
Was meinen Rheumatologenfreund vor diesem Hintergrund aber offensichtlich regelrecht geärgert haben muß, waren Veranstaltungen oder Einzelvorträge, die er, wenn ich ihn da richtig verstanden habe, geradezu als Beleidigung für die Zuhörer empfand.
„Wenn Du eine „Silberne Kongreßzitrone“ vergeben solltest – Du weißt, so wie der ADAC damals die „Silberne Zitrone“ für das schlechteste Auto des Jahres verliehen hat – welchem Vortrag würdest Du sie geben?“
Erstaunlich war, daß er nur sehr kurz nachdachte, um mir dann eine kleine Geschichte vom Freitagmorgen, dem 24. September 2008 zu erzählen.
„Wer sich an diesem Morgen“, begann mein Rheumatologenfreund, „voller Hoffnung um 10:00 Uhr in den Saal Berlin B des Hotels Maritim aufmachte, um auf dem Symposium über „Rheumatische Erkrankungen und Fernreisen“ mehr zu erfahren, als es jeder rheuma-online-User bereits aus unseren specials kennt, durfte mit einem leibhaftigen Tropenmediziner vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg zunächst noch eine interessante Einführung in die Thematik erleben.
Bei der Planung meines Kongreßbesuches hatte ich es zwar schon geahnt: „Die Parvovirus B19-Infektion als Auslöser von Entzündungsreaktionen und viralen Arthritiden“ hatte ich spontan nicht als spezifische Problematik von Fernreisen gesehen, dann aber gehofft, daß die Kongreßplaner wussten, was sie tun.
Ob sie es wussten, weiß ich bis zum jetzigen Augenblick nicht. Einen Bezug zum Thema Fernreisen hatten diese immerhin 25 Minuten Vortrag jedenfalls zu keiner Sekunde, nicht einmal in Form der Referentin, da diese aus Regensburg angereist war und dazu nicht den Weg über Iguassu und Swasiland gewählt hatte. Um nicht missverstanden zu werden: Die Frau Professor liebte das Parvovirus und man merkte ihr diese Leidenschaft an. Ich habe auch einiges Neue gelernt. Man hätte ihr die Chance geben sollen, es zielgruppengerecht und im richtigen thematischen Kontext in einer anderen Session zu erzählen.“
„Wo ist Iguassu“, fragte ich, da ich zwar als Verwandter von Neufundländern geographisch ziemlich fit bin, aber das hatte ich noch nicht gehört.
„Iguassu liegt in Südamerika“, erklärte mein Rheumatologenfreund. „Eigentlich ist der Iguassu ein Fluß, der in den Bergen von Parana und Santa Catarina entspringt und dann nach etwa 600 km genau auf der Grenze von Brasilien und Argentinien in einen riesigen Wasserfall oder besser eine ganze Reihe von Wasserfällen übergeht, die insgesamt über drei Kilometer breit und 80 Meter hoch sind und damit breiter als die Viktoriafälle und höher als die Niagarafälle. Müßtest Du als Landseer eigentlich wissen, schließlich gehört Rettungshund zu Deinen Zuchtmerkmalen.“
„Sorry, aber ich wollte nicht von der Reisemedizin ablenken. Was kam denn nach dem Parvovirus?“
„10:40h-11:05h: „Dürfen immunsupprimierte Patienten noch reisen?“ Dieses Thema war für mich ein wesentlicher Entscheidungsgrund, warum ich die Parvoviren über 25 Minuten ausgehalten hatte.
Die Referentin von der Charité Universitätsmedizin stellte sich als Nephrologin und Transplantationsmedizin-Expertin heraus.“
„Nephrologin: Das ist doch Nierenspezialistin. Was hat das denn mit Rheumatologie zu tun“, fragte ich. „Und Transplantationsmedizin?“
Mein Rheumatologenfreund erklärte es mir. Nach ihrem Vortrag wisse er nun, was er in Bezug auf obligate und fakultative Schutzimpfungen tun müsse, wenn eine seiner Rheumapatientinnen oder einer seiner Rheumapatienten vor einer Nierentransplantation stehe und nach erfolgreicher Transplantation eine Fernreise unternehmen möchte.
„Verstehe, das ist natürlich für die tägliche rheumatologische Praxis wichtig“, pflichtete ich ihm bei.
„Allerdings“, warf mein Rheumatologenfreund ein, „darf man es der Berliner Privatdozentin nicht übelnehmen, daß sie zu anderen wichtigen Fragen aus der rheumatologischen Praxis keinen unmittelbaren Zugang hatte, so zu der Frage aus dem Auditorium, wie man vorgehen sollte, wenn bei einem Patienten mit einer TNF-alpha-blockierenden Therapie aus beruflichen Gründen ein Auslandsaufenthalt in einem Gelbfieber-Endemiegebiet ansteht und für die Einreise eine Gelbfieberimpfung behördlich vorgeschrieben ist.
Gut, daß einer der beiden Vorsitzenden der Sitzung ein Tropenmediziner war. Ihm fiel dann auch die hohe Schule der Diplomatie zu, die Aussage einer Powerpoint-Folie zu korrigieren: „Malaria - 100 % vermeidbar bei adäquater Prophylaxe“. Ich hatte dazu schon eine Bemerkung machen wollen“
„ist das eine schöne rheinische Formulierung“, konnte ich mir als Einwurf nicht verkneifen,
„ich hatte dazu schon eine Bemerkung machen wollen“, fuhr mein Rheumatologenfreund fort, „dies dann aber doch besser gelassen, da mein Kommentar vielleicht etwas zu unfreundlich geworden wäre.
„„Manipulation der Immunantwort durch parasitäre Würmer und deren Komponenten“ – 11:05 bis 11:30“
„Parasitäre Würmer hat aber doch etwas mit Tropenmedizin zu tun, das weiß doch sogar ich“, musste ich nun doch hinterfragen.
„Du hast ja recht, Würmer gibt es auch in den Tropen. Leider kann ich Dir aber nicht sagen, ob man Arthritis-Patienten nun auf Krankenkassenkosten in ferne Länder reisen lassen sollte, damit sie sich dort mit Würmern oder Parasiten infizieren bzw. solche ingestieren und es in der Folge zu einer Abnahme der Krankheitsaktivität kommt oder ob es umgekehrt ist und man bei einem Krankheitsschub nach einer Fernreise immer auch daran denken muß, daß der Patient Würmer oder Parasiten mitgebracht hat.
Ich schäme mich ein bisschen. Ich habe es nicht bis zum Ende ausgehalten, sondern bin gegangen und habe einen Kaffee getrunken.“
Ich glaube, mein Rheumatologenfreund wird alt. Mehr Toleranz hätte ich zumindest erwartet. Und bei so einem Kongreß, bei dem sogar die Rheuma-Akademie für die Qualität sorgt, darf man eine solche Veranstaltung nicht gedankenlos kritisieren, sondern muß sich selber hinterfragen, warum man noch nicht verstanden hat, was sie an diesem Freitagmorgen auf der 36. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie in Berlin zu suchen hatte.
Das ist schließlich mein Job: Denkanstöße zu geben, aber bitte, fangt bei Euch selber mit dem Denken an, bevor ihr über andere herzieht.
Euer Hunter – der rheumatologische Landseher