Fibromyalgie und Polymyalgie kann auch HIV / AIDS sein
Es gibt eine ganze Reihe von Virusinfektionen, die mit fibromyalgischen und polymyalgischen Symptomen einhergehen und insbesondere dann zu der falschen Diagnose einer Fibromyalgie oder Polymyalgia rheumatica führen können, wenn die Behandlung durch rheumatologisch unerfahrene Ärzte erfolgt, die mit diesen Erkrankungen nicht jeden Tag zu tun haben. Ein User weist auf eine fatale Fehldiagnose bei seiner Mutter hin.
Uns hat schon vor etwas längerer Zeit eine Mail erreicht, die uns sehr nachdenklich gemacht hat. Durch die außerordentlich große Hilfsbereitschaft und Kooperation des Sohnes der Patientin konnten wir uns sehr intensiv mit dem Krankheitsbild und den Befunden beschäftigen und mussten feststellen, dass eine HIV-Infektion bzw. eine beginnende AIDS-Erkrankung tatsächlich eine Krankheit ist, die vermutlich bei den meisten Rheumatologen, hier schließe ich mich absolut und sofort selber als ersten mit ein, nicht zu den Differentialdiagnosen einer Polymyalgia rheumatica gehört, an die man sofort denkt.
Wenn man sich die Krankheitsgeschichte der betroffenen Patientin anschaut, stellt man fest, dass es möglicherweise nicht zu diesem ganz fatalen Verlauf gekommen wäre, wenn sie von Anfang an von spezialisierten internistischen Rheumatologen behandelt worden wäre, die die Polymyalgia rheumatica auch in weiteren Facetten gut kennen und die möglicherweise irgendwann im Krankheitsverlauf doch auf die Idee gekommen wären, dass da eine ganze Menge an Symptomen doch nicht zu dieser Diagnose passt. Man muss dies aber sehr zurückhaltend sagen und immer daran denken, dass im Nachhinein immer alles viel klarer ist als in der unmittelbaren Situation zu Krankheitsbeginn. Außerdem sitzen wir alle im Glashaus und sollten uns hüten, mit Steinen zu werfen. In diesem Sinne ist dieser Beitrag also in keinem Fall gemeint.
Andererseits halten wir es für wichtig, dem Wunsch des Sohnes zu entsprechen und über den wirklich fatalen Krankheits- und Behandlungsverlauf bei seiner Mutter zu berichten, da wir nur so alle lernen können.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer
Im folgenden geben wir die Mail an rheuma-online wieder. Wir haben die Inhalte anonymisiert, da es uns nicht darum geht, irgendeinen der Betroffenen zu brüskieren. Auch denken wir, dass in diesem speziellen Fall eine ganz besondere Diskretion notwendig ist.
S.g. Damen und Herren,
ich schreibe Ihnen, weil ich glaube, daß diese Information lebenswichtig für manche Polymyalgiepatienten, wenigstens in Österreich sein kann.
(Anmerkung von rheuma-online: Nicht nur in Österreich. Wir sind absolut sicher, dass die Situation in Deutschland kaum anders ist).
Ich will mit dieser Information niemandem Angst machen, sondern helfen und informieren, damit es diesen Leuten nicht unter Umständen so geht wie meiner jetzt 65-jährigen Schwiegermutter, die - jahrelang falsch behandelt - im Sterben liegt.
Wie gesagt, meine Schwiegermutter hatte jahrelang alle Symptome der Fibromyalgie bzw. Polymyalgie, sie hatte auch genau all jene Symptome, die Sie in Ihrer Webseite anführen, eigentlich waren ihre Symptome wie eine Kopie ihres Symptom-Webseitenlinks.
Nach der Diagnose der Ärzte vor einigen Jahren (Fibromyalgie und Polymyalgie) hatten wir auch immer wieder Webseiten wie Ihre besucht und - leider auch vergebens, da falsche Diagnose - hier und auch woanders im Internet Ratschläge gesucht.
(Anmerkung von rheuma-online: Was denn nun: Fibromyalgie oder Polymyalgie? Bei der Polymyalgie ist die Blutsenkung stark erhöht und auch in der Regel das CRP, bei der Fibromyalgie ist es normal. Da beginnt also schon das Problem. Die Originalunterlagen weisen eine erhöhte Entzündungsaktivität auf, so dass in erster Linie an eine Polymyalgia rheumatica gedacht wurde).
(In einer weiteren Mail aufgrund einer entsprechenden Rückfrage ergibt sich folgende genauere Erläuterung)
„ ... Wir selbst hatten natürlich diese Internetseiten erst gefunden bzw. gesucht, nachdem erstmals die Diagnose Polymyalgie gestellt worden war, einfach damit wir uns erkundigen können, welches Krankheitsbild, welche Gefahren und welche Verhaltensmaßregeln für die Patientin bestehen.
Insofern fanden wir die Seiten der deutschsprachigen Fibromyalgie- bzw. Polymyalgie- Selbsthilfegruppen, aber auch die Seite von rheuma-online, sehr hilfreich. Ich würde schon sagen, daß diese Internetseiten für alle Patienten sehr hilfreich sind und Informationen beinhalten, die man oft vom Hausarzt nicht bekommt. Ich sehe diese Seiten positiv und sie sind keinesfalls der Grund einer Fehldiagnose, denn diese stellt immer noch der Arzt.
Was natürlich die Angehörigen in ihrer Meinung bestärkt, daß der Arzt mit der Diagnose recht hat (und sie das Krankheitsbild auch nicht hinterfragen lässt, selbst dann wenn keine Besserung eintritt), sind die Beschreibungen der Symptome auf diesen Internetseiten. Diese sind auch natürlich in Ihrer Homepage gegeben (ich zitiere unten in rot). Wenn man diese Beschreibungen liest, dann kann auch ich heute noch sagen: Ja, genau dieses Krankheitsbild hatte sie gehabt. Daß auch bei HIV dasselbe Krankheitsbild auftreten kann, das wußten wir damals natürlich nicht und haben es daher auch nicht hinterfragt, denn es wird auf keiner dieser Rheuma-Webseiten erwähnt, zumal die Patienten auch keinesfalls zu einer der HIV-Risikogruppen gezählt hatte.
Zitat der Symptome auf Ihrer Webseite:
Typische Symptome sind ein morgendlich betonter Muskelschmerz in den Muskelgruppen, die nah am Körper sind (Oberarme, Oberschenkel), z.T. begleitet von einer ausgeprägten Muskelschwäche. Typisch ist weiterhin eine deutliche Morgensteifigkeit. Häufig beginnt eine Polymyalgia rheumatica auch mit starken Nackenschmerzen, die in die Schläfe und in die Augenregion einstrahlen. Je nach Entzündungsaktivität geht sie darüber hinaus mit Gewichtsabnahme, erhöhten Körpertemperaturen, allgemeinem Krankheitsgefühl und manchmal auch ausgeprägter Depressivität einher. Bei den Laborbefunden ist die Blutsenkung stark bis sehr stark erhöht, so daß oft zuerst an einen Tumor gedacht wird.
Vergleichen Sie dazu Krankheitssymptome auf www.m-ww.de für HIV Stadium B:
Zitat:
Das mittlere Stadium einer HIV-Infektion hat folgende Symptome:
· wiederholt Fieber über 38,5 °C, das keine andere Ursache hat
· Durchfälle (Diarrhö), die länger als einen Monat auftreten und keine andere Ursache haben
· Pilzbefall des Mund-Rachenraumes (orale und/oder pharyngeale Candidiasis)
· Pilzbefall der Vulva oder der Vagina (chronisch oder schwer therapierbar)
· Gürtelrose an mehreren Stellen oder wiederholt auftretend (multisegmentaler oder rezidivierender Zoster)
· Nervenerkrankungen an Armen und Beinen (periphere Neuropathien)
· Gewebsveränderungen am Gebärmutterhals
· weißliche, behaart wirkende Mundschleimhautveränderungen (orale Haarleukoplakie)
· Infektion mit Listerien (Bakteriengattung)
· Bakterielle Blutgefäßinfektion (bazilläre Angiomatose)
· Beckenentzündungen z.B. mit Abszess im Eileiter bzw. Eierstock
Natürlich ist nicht alles ident, aber einige der Folgekrankheiten bzw. Symptome sind ident, in unserem Falle die Nervenentzündungen, die Gelenkschmerzen auslösten, und vor allem die grundlosen Fieberanfälle. Dazu die Depressivität und die Gewichtsabnahme, die typisch bei HIV sind. Dazu auch die starke Blutsenkung. ...“
(Es geht dann weiter mit der ersten Mail):
... Die falsche Diagnose kam von den Spitälern LKH ...., LKH ... und LKH... . Erst jetzt, wo es zu spät ist, wurde im AKH ... richtig diagnostiziert.
Die richtige Diagnose war: HIV positiv.
Natürlich, Ärzte suchen bei knapp 60-jährigen Frauen kaum nach HIV, und niemand dachte leider in den diversen Spitälern je daran, einen solchen Test zu machen, doch hätte ihr ein einfacher HIV-Test das Leben - wenn nicht verlängert - so doch viel angenehmer zu ertragen gemacht, zumal die HAART Therapie heute schon oft ganz gut anschlägt. Wie gesagt, wir machen den Ärzten keine Vorwürfe, da sie auch nur Menschen sind und bei diesen Diagnosen bei älteren Menschen offenbar wohl eher auf Fibromyalgie bzw. Polymyalgie als auf HIV tippen (zumal wir auch keine Ahnung haben, wie und wo sie sich das geholt haben könnte, da sie seit über 10 Jahren als Witwe keinen Partner mehr hatte).
(Anmerkung von rheuma-online: Aus den Unterlagen geht hervor, dass es längere Zeit vorher zu einem schweren Unfall gekommen war, bei dem nach dem Ausmaß und der Schwere der Verletzungen anzunehmen ist, dass auch Blut übertragen wurde. Da der Unfall zu einem Zeitpunkt passierte, als die heutigen Sicherheitsbestimmungen hinsichtlich HIV für Blutkonserven noch nicht galten, wäre die HIV-Infektion darüber u.U. erklärt).
Wie gesagt, ich will hier niemandem Angst machen, aber wenn bei einer Patientin falsch diagnostiziert wurde, dann könnten auch andere ähnlich diagnostizierte Patienten in Österreich, eventuell auch in Deutschland und anderen Ländern, falsch diagnostiziert worden sein und heute noch immer falsch diagnostiziert und falsch behandelt werden. Und wenn es auch nur einer oder zwei sind, ist es wert, dieses diagnostische Problem mitzuteilen. Nach all dem, was ich jetzt weiss, glaube ich, dass viel viel mehr Patienten mit Fibromyalgia oder Polymyalgia dianostiziert wurden und noch immer falsch behandelt werden, die aber wahrscheinlich in Wirklichkeit eine HIV Infektion in sich tragen. Ich schreibe diese Message aber in kein Forum, um keine Panik zu verbreiten, das wäre noch schlimmer als die diskrete Aufklärung.
(Anmerkung von rheuma-online: Grund zur Beunruhigung besteht bei dem allergrößten Teil der Patienten mit einer Fibromyalgie und einer Polymyalgie nicht. Eine unentdeckte HIV-Infektion als Ursache von diesen Krankheitsbildern ist sicherlich eine absolute Rarität, insbesondere bei längerem Krankheitsverlauf. Sehr wahr ist, dass vermutlich ein sehr großer Teil der Fibromyalgie-Patienten an einer anderen Erkrankung leidet, Virusinfektionen ganz unterschiedlicher Art eingeschlossen, und dies nicht wissen, weil die Kultur der Ausschlussdiagnostik bei dieser Erkrankung immer mehr verloren geht und gerade die Diagnose einer Fibromyalgie sich immer mehr zu einer Schnellschuß-Diagnose und leider nicht selten zu einer Fehldiagnose entwickelt. Ebenfalls wichtig ist, dass eine beginnende HIV-Infektion in der Tat mit myalgischen und auch fibromyalgischen Symptomen einhergehen kann. Ein erfahrener Arzt, der sowohl die Fibromyalgie als auch die beginnende HIV-Infektion gut kennt, sieht allerdings in den allermeisten Fällen doch erhebliche Unterschiede, so dass es gerade bei dieser Differentialdiagnose doch in der Regel gelingen dürfte, die beiden Krankheitsbilder auseinanderzuhalten. Dies setzt allerdings eine ordentliche, sorgfältige Anamnese und eine detallierte, umfassende körperliche Untersuchung einschließlich einer differenzierten Labordiagnostik voraus. Dass es unter den Bedingungen der modernen Budgetmedizin immer schwieriger wird, eine solche gute Medizin auch in einer rheumatologischen Kassenarztpraxis umzusetzen, ist derzeit die große Tragödie der Rheumatologie zumindestens in Deutschland. Ob die restriktiven finanziellen Einschränkungen durch die Krankenkassen auch in Österreich für einen zunehmenden Qualitätsverlust der rheumatologischen Versorgung relevant sind, können wir von hier aus nicht beurteilen).
Mein Vorschlag wäre aber, und deshalb kontaktiere ich nur den Webmaster dieser Site, daß Sie in Ihre Webseite unbedingt aufnehmen sollten, daß sich solche Polymyalgie-Patienten unbedingt auch einem HIV Test unterziehen sollten, einfach zur Sicherheit, vielleicht ist sonst ja auch niemand in Ö falsch diagnostiziert worden.
(Anmerkung von rheuma-online: Wir halten die routinemäßige Durchführung eines HIV-Testes im Zusammenhang mit der Abklärung einer Polymyalgia rheumatica zumindest im ersten Schritt nicht für notwendig. Dies gilt gleichermaßen auch für die Fibromyalgie. Allerdings hat dieser Fall aus Österreich meine eigene Diagnostik zwischenzeitlich tatsächlich doch schon stark beeinflusst. Bei genauem Hinsehen habe ich nämlich festgestellt, dass ich tatsächlich in der letzten Zeit nur sehr selten und eigentlich in den letzten Jahren immer weniger auch an die Möglichkeit einer HIV-Infektion als Ursache von zunächst nicht ganz genau zuzuordnenden Krankheitsbildern gedacht habe und früher viel häufiger einen HIV-Test veranlasst habe als heute. Aktuell veranlasse ich in der Tat diesen Test wieder sehr viel eher als noch zu Beginn des Jahres 2003 und vor Kenntnis des vorliegenden Reports).
Vielleicht aber rettet diese Info bzw. der HIV-Test aber auch manchen Menschen das Leben oder verlängert es oder macht es erträglicher, wenn man diesen Test gemacht hat, man doch HIV positiv ist, und sich dann erst richtig behandeln lassen kann. Wie gesagt, die HIV-Symptome bei einem älteren Menschen können - aus Erfahrung jetzt gesagt - über viele Jahre exakt genau gleich aussehen wie die Symptome der Polymyalgie, und die Ärzte tendieren eher dazu, vorschnell bei älteren Menschen Fibromyalgie bzw. Polymyalgie zu diagnostizieren als einen simplen HIV Test zu veranlassen, das wissen wir aber leider erst jetzt, leider zu spät.
Hoffentlich kann diese unsere erst jetzt gemachte Erfahrung wenigstens anderen leidenden Menschen helfen, die darüber hoffentlich aufgeklärt werden. Vielleicht lernen nun auch Ärzte dazu. Dann wäre das jahrelange Leiden meiner Schwiegermutter wenigstens nicht umsonst gewesen.
Anmerkung von rheuma-online: Wir danken sehr für diese sehr ausführliche Mail und die Überlassung von Kopien der Krankenakte bzw. von Befunden und Arztbriefen. Vielleicht kann der Fallbericht wirklich dazu beitragen, dass solche fatalen Fehldiagnosen in Zukunft seltener werden. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist aber – neben einer guten Ausbildung und Weiterbildung – auch intellektuelle Bescheidenheit und die Erkenntnis, dass Facharztqualifikationen und Spezialisierungen nicht deshalb erfunden wurden, um Weiterbilder und die Prüfungskommissionen von Ärztekammern zu beschäftigen, sondern deshalb, weil viel dafür spricht, dass ein Generalist eben von speziellen Krankheitsbildern doch nicht soviel versteht wie ein Spezialist. In diesem Sinne noch einmal unser gebetsmühlenartig wiederholter Appell, sich bei allen unklaren rheumatischen Symptomen und Krankheitsbildern von spezialisierten internistischen Rheumatologen untersuchen und behandeln zu lassen.
Verantwortlich für die Kommentare / Anmerkungen: Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer