EULAR 2008: Symposium "Schwangerschaft und rheumatische Erkrankungen" (Teil 2)
Ein eigenes Symposium auf dem diesjährigen europäischen Rheumatologenkongreß (EULAR 2008) in Paris beschäftigte sich mit mehreren Aspekten rund um das Thema "Schwangerschaft bei rheumatischen Erkrankungen". r-o-Autorin Dr. med. Gudrun Lind-Albrecht faßt die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Hier der zweite Teil zur Frage, ob Frauen mit rheumatischen Erkrankungen mehr Probleme haben als Gesunde, schwanger zu werden, außerdem zum Thema Medikamente und Schwangerschaft sowie Stillen.
Der Vortrag von Frau Prof. Dr. Monika Oestensen, Leiterin der Schwangerschaftsrheumatologie in der Klinik für Rheumatologie und Immunologie am Inselspital in Bern, Schweiz, lautete „Fertility and fecundity in women with rheumatic diseases. Medication during pregnancy and lactation“.
Zur Begriffs-Definition vorab: Während man unter Fertility die Fruchtbarkeit allgemein und ergebnisorientiert versteht, so bedeutet Fecundity die Fähigkeit, innerhalb eines bestimmten Zeitraums schwanger zu werden.
Allgemeine Daten zur Fertilität rheumakranker Frauen besagen, dass sie weniger Kinder haben als der jeweilige landestypische Durchschnitt und dass die Pausen zwischen den einzelnen Schwangerschaften größer sind. So bekommt im relativ stark reproduktiven Land Norwegen eine Frau durchschnittlich 2-3 Kinder, während rheumakranke Frauen weniger als 2 Kinder gebären.
Die Gründe für die etwas niedrigere Geburtenrate rheumakranker Frauen sind vielschichtiger, als man vordergründig meinen könnte.
Angefangen vom bewussten Verzicht, über die erniedrigte Libido in Phasen der Krankheitsaktivierung oder durch Schmerzen, über das Aufschieben der Schwangerschaft in eine entzündungsärmere Zeit, über eine teils verkürzte fruchtbare Lebensspanne durch zu frühe Menopause bis hin zu erhöhter Fehlgeburtsrate beim SLE und beim Anti-Cardiolipinsyndrom gibt es eine Reihe von Einflußgrößen.
Auch die medikamentöse Therapie kann Einfluss nehmen auf die Fruchtbarkeit: NSAR sind ovulationshemmend, die Eizellreifung geht zwar normal vonstatten, aber der Eisprung wird beeinträchtigt.
Eine reversible (vorübergehende) Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit bei Männern ist übrigens unter Sulfasalazin-Einnahme bekannt.
Stichwort „Timing“: Wann ist es besser die Schwangerschaft aufzuschieben?
Frau Dr. Oestensen rät eigentlich nur den SLE-Patientinnen zum Aufschieben in eine entzündungsarme Phase. In allen anderen Fällen geht es eher darum, wie ich die medikamentöse Therapie manage rund um die Familienplanung.
Und hier ist der Expertenrat von Frau Prof. Oestensen: Nicht einfach alle Medikamente absetzen aus Angst (z.B. vor dem Beipackzettel…), denn die Aktivierung der Erkrankung kann dann schnell das größere Problem werden.
Man muss sehr genau unterscheiden, welche Medikamente bis wann weiter genommen werden dürfen und welche überhaupt nicht eingenommen werden dürfen bzw. eine bestimmte Zeit vor der geplanten Empfängnis abgesetzt werden müssen.
Frau Prof. Oestensen erklärte, der Beipackzettel diene ja nicht in erster Linie dem Verbraucher, sondern eigentlich dem Schutz des Herstellers vor evtl. Prozessen – und da es aus ethischen Gründen keine Studien mit Schwangeren oder stillenden Müttern geben darf, gibt es keine statistisch gesicherten Zahlen zu den verschiedenen Medikamenten. Daher warnen alle Hersteller bei allen in der Rheumatherapie eingesetzten Medikamenten vor dem Gebrauch in Schwangerschaft und Stillzeit.
Aber es gibt langjährige ärztliche Erfahrungen und praktische Beobachtungen (zum Teil aus „versehentlichen“ Einnahmen), und diese helfen schon weiter.
So weiß man z.B. seit Jahrzehnten, dass Hydroxychloroquin (Quensyl) absolut unkompliziert ist als fortgeführte Therapie während der Schwangerschaft, aber der Hersteller hat bis zum heutigen Tage den Beipackzettel nicht geändert.
Bevor man überhaupt zur Frage der Medikamente kommt, sollte man bei Schwangerschaftswunsch zuerst einmal folgende Fragen bearbeiten:
Bin ich überhaupt fruchtbar?
Sind wir (mein Partner und ich) fruchtbar?
Diese Fragen sollte man mit dem Gynäkologen zusammen zu beantworten versuchen.
Zu den in der Rheumatherapie eingesetzten Medikamenten, die ein sicher bewiesenes Risiko haben, gehört Methotrexat (Handelsname z.B. Metex, Lantarel …).
Methotrexat ist mutagen (Erbgut verändernd!) und teratogen (Missbildungen hervorrufend), als Folsäureantagonist macht es Neuralrohrdefekte, außerdem erhöht es die Rate von Fehlgeburten. Dies alles ist aber nur dann gegeben, wenn Methotrexat weiter genommen würde während der Schwangerschaft. Wird es dagegen 3 Monate vor der geplanten Empfängnis abgesetzt, dann gibt es kein Risiko.
Daraus folgt aber andererseits auch, dass beide Partner im Falle einer Methotrexat-Einnahme eine sichere Verhütungsmethode anwenden müssen.
Auch Cyclophosphamid (Handelsname Endoxan) ist teratogen und muss 3 Monate vor der geplanten Empfängnis abgesetzt werden.
Mycophenolat Mofetil (Handelsname Cellcept) hat (im Tierversuch) Missbildungen hervorgerufen (auch wenn der Vater es einnahm). Es reicht aber, wenn man es 6 Wochen vor der geplanten Empfängnis absetzt, da es sehr schnell ausgeschieden ist. Ein sicherer Empfängnisschutz während der Einnahme ist für beide Partner nötig.
Leflunomid (Handelsname Arava) hat (im Tierversuch) Fehlbildungen hervorgerufen. Es bleibt sehr lange im Körper, nämlich 2 Jahre! Daher muss man bei Planung einer Schwangerschaft eine Auswaschtherapie machen (z.B. mit Cholestyramin über 11 Tage) und dann den Blutspiegel 2x kontrollieren, bevor eine Empfängnis stattfinden darf. Während der Einnahme von Leflunomid ist also unbedingt auch ein Empfängnisschutz nötig.
Wenn man ungeplant schwanger geworden ist und noch unter einem der o.g. Medikamente steht, ist laut Dr. Oestensen vor allem eins wichtig:
Don’t panic! (Keine Panik!).
Zuerst einmal sollte man versuchen, den Empfängnistermin möglichst genau herzuleiten. Dann sollte man zusätzlich zur gynäkologischen Untersuchung zu einer genetischen Beratungsstelle gehen. Ultraschallkontrollen und ggf. eine Amniozentese sind nötig. Das Risiko für Anomalien des Fötus ist in der „Normalbevölkerung“ bereits 3%, es steigt mit der Einnahme bestimmter oben besprochener Medikamente, aber es steigt nicht auf 100%, d.h. es kann auch gut gehen.
Nicht bekannt ist das evtl. Risiko unter den Biologika (Etanercept, Infliximab, Adalimumab, Abatacept, Rituximab ...).
Es gibt zwar schon eine ganze Reihe von Berichten über unkomplizierte Schwangerschaften trotz anfangs versehentlicher Weiterbehandlung mit Biologika. Insgesamt haben wir aber laut Prof. Oestensen doch noch zu wenige Erfahrungen damit.
Für Rituximab (Handelsname MabThera) und Abatacept (Handelsname Orencia) rät Frau Dr. Oestensen zum Absetzen vor einer geplanten Empfängnis. Für Infliximab (Handelsname Remicade), Etanercept (Handelsname Enbrel) und Adalimumab (Handelsname Humira) ist es ausreichend, wenn das Biologikum dann abgesetzt wird, wenn die erwartete Menstruation ausbleibt bzw. wenn der Schwangerschaftstest positiv ist.
Es gibt aber auch langwirksame Medikamente mit gutem Sicherheitsprofil in der Schwangerschaft:
Unter Einnahme von Sulfasalazin (Handelsname z.B. Azulfidine RA) gibt es inzwischen 2.000 berichtete Schwangerschaften, sämtlich ohne Probleme. Es kann mit der Dosierung von 4 x 500mg pro Tag kontinuierlich in der Schwangerschaft weiter eingenommen werden.
Auch für die Antimalariamittel gibt es keine Einschränkungen. Allerdings ist Hydroxychloroquin (Handelsname Quensyl) zu bevorzugen gegenüber Chloroquin (Handelsname Resochin). Mehr als 500 Berichte über unkomplizierte Schwangerschaften unter Fortführung von Hydroxychloroquin existieren.
Auch Azathioprin (Handelsname z.B. Imurek) kann weitergeführt werden, allerdings maximal mit 2g/Tag.
Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR = entzündungshemmende Rheuma-Schmerzmittel wie z.B. Ibuprofen, Diclofenac…) können bis zur 32. Schwangerschaftswoche eingenommen werden. Danach müssen sie abgesetzt werden.
Cortison kann kontinuierlich weitergeführt werden, möglichst in der Dosis unter 15-20mg/Tag.
Zu den „alternativen Therapien“ im Einsatz während der Schwangerschaft muss gesagt werden, dass die Wirkungen pflanzlicher Heilmittel auf den Fötus/Embryo noch schlechter untersucht sind als die schulmedizinischen Medikamente und dass daher Vorsicht geboten ist.
Gegen Akupunktur ist nichts einzuwenden, aber Frau Dr. Oestensen rät, vor der Schwangerschaft schon auszuprobieren, wie man reagiert. Physiotherapie ist natürlich essentiell wichtig, körperliches Training ebenso.
Für die Medikamenteneinnahme während Stillzeit gibt es noch weniger Wissens-Grundlagen als bzgl. Schwangerschaft. Aber generell gehen weniger als 10% der Medikamente in die Muttermilch über. Biologika sollte man laut Dr. Oestensen in der Stillzeit vorerst komplett vermeiden. Generell ist die Einnahme von Prednisolon, NSAR, Antimalariamitteln und Sulfasalazin in der Stillzeit möglich. Wichtige Hinweise zum Einsatz dieser „erlaubten“ Medikamente bzw. ein Überblick über die in der Stillzeit mögliche Medikation ist bei Frau Dr. Oestensen unter www.muetterzentrum-ria.insel.ch anzufordern.
Weiterführende Informationen und verwandte Links:
EULAR 2008: Symposium "Schwangerschaft und rheumatische Erkrankungen"
rheuma-news vom Donnerstag, 26.06.2008