Editorial vom Oktober 2003
High Heels auf Kassenrezept? Für die Schuhmesse und die Modestadt Düsseldorf eröffnen sich völlig neue Perspektiven. Die Ergebnisse einer Studie aus dem britischen Oxford waren für das modebewusste Düsseldorf offensichtlich so bedeutsam, dass sie es bis auf die Seite Eins der hochseriösen Rheinischen Post schafften: „Stöckeln ist kein Grund für Arthritis“ heißt es dort auf der Titelseite vom 30. September 2003.
High Heels auf Kassenrezept? Für die Schuhmesse und die Modestadt Düsseldorf eröffnen sich völlig neue Perspektiven
Die Ergebnisse einer Studie aus dem britischen Oxford waren für das modebewusste Düsseldorf offensichtlich so bedeutsam, dass sie es bis auf die Seite Eins der hochseriösen Rheinischen Post schafften: „Stöckeln ist kein Grund für Arthritis“ heißt es dort auf der Titelseite vom 30. September 2003.
Im Innenteil erfahren wir dann unter „Wissenschaft und Bildung“ mehr über diese wissenschaftiche Untersuchung:
Neue Studie: Freispruch für Stöckelschuhe
Medizin Wer auf hohen Absätzen durchs Leben trippelt, hat kein erhöhtes Risiko für Knie-Arthritis
Die frohe Botschaft aus dem Artikel: High-Heels-Trägerinnen haben kein erhöhtes Risiko, an einer Kniegelenks-Arthritis zu erkranken. Wer dagegen vor dem vierzigsten Lebensjahr sehr stark an Gewicht zulege, begünstige das Auftreten der äußerst schmerzhaften Gelenkentzündung erheblich.
Warum schafft es diese Studie nun auch noch, Anlaß für ein Editorial im hochseriösen rheuma-online zu werden?
Weil kaum besser deutlich werden kann, was die Rheumatologie aktuell mit Bundeskanzler Gerhard Schröder gemein hat: Ein Riesen-Kommunikationsproblem.
Zumindest meint der Bundeskanzler, dass sein Problem ein Kommunikationsproblem sei.
Im Fall der Rheumatologie scheint dies sicher der Fall zu sein. Mit allen Folgen für die Disziplin selber und, was noch schlimmer ist, für alle Betroffenen, die an schweren, tief in das Leben eingreifenden und z.T. ihr Leben bedrohenden entzündlich-rheumatischen Erkrankungen leiden.
Wenn man nämlich den wissenschaftlichen Artikel im Oktoberheft des „Journal of Epidemiology and Community Health“ im Original liest, zeigt sich, dass dort nicht von Arthritis die Rede ist, also einer in der Regel prognostisch ungünstigen, schwerverlaufenden entzündlichen Gelenkerkrankung, sondern von Arthrose. Das Dumme: Im Englischen lautet der Begriff für Arthrose „osteoarthritis“. Arthritis heißt auf Englisch schlicht „arthritis“. Kann ein Journalist nicht wissen. Ändert aber die Aussage der Studie kolossal. Dumm gelaufen.
Natürlich ist die Botschaft auch nicht schlecht: High-Heels verursachen keine Arthrose. Rein statistisch ist bei High-Heels-Trägerinnen das Risiko sogar vermindert, eine Arthrose zu entwickeln. Die Schlagzeile in der Boulevard-Presse könnte es damit sogar noch toppen:
„Nun auch wissenschaftlich bewiesen: High-heels schützen vor Arthrose“.
Was wirklich schlimm ist: Frauen, die eine Arthritis haben und damit an einer entzündlich bedingten Gelenkerkrankung leiden, müssen nun auch noch lesen, dass diese Erkrankung unter der Rubrik „Wissenschaft und Bildung“ im Kontext mit Übergewicht und Lifestyle und Lebensgewohnheiten und Konsumverhalten und natürlich – das alte Thema – Alter dargestellt wird.
So kocht der Artikel die bekannten Fehlinformationen zur Arthritis noch einmal richtig schön auf:
„Die Befragung ergab, dass frühere Verletzungen, starkes Rauchen und Übergewicht eine Arthritis in den Knien begünstigten.“ …
Wenn solche Vorstellungen zur Arthritis in der Presse verbreitet werden, müssen wir uns als Rheumatologen nicht wundern, warum es Schwierigkeiten von allen Seiten gibt, wenn wir unsere schwerkranken Arthritis-Patientinnen mit hochwirksamen und zum Teil auch ziemlich teuren Medikamenten behandeln wollen und dann dafür weder von den Kassenärztlichen Vereinigungen noch von den Krankenkassen das ausreichende Budget zur Verfügung gestellt bekommen.
Wofür soll denn eine Frau gegen ihre Arthritis Enbrel oder Remicade oder andere hochwirksame Medikamente bekommen, wenn sie diese doch gar nicht erst bekommen hätte, wenn sie in ihrem Leben ein bisschen öfters Stöckelschuhe getragen hätte. Wahrscheinlich wäre sie dann auch gar nicht erst so dick geworden und hätte dadurch die Arthritis ebenfalls verhindern können. Das einzige Problem: Die Kombination von High-Heels und Rauchen sieht natürlich im entsprechenden Ambiente ….
Um es abschließend noch einmal klar und unmissverständlich und in aller Deutlichkeit zu sagen:
- Arthritis ist eine entzündliche Gelenkerkrankung und wird durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren verursacht, die aber allesamt von den Betroffenen nicht zu beeinflussen sind: Für eine Arthritis kann man nichts.
- Arthritis betrifft Menschen aus heiterem Himmel in der Blüte ihres Lebens, dicke und dünne, kluge und dumme, Rothaarige und Blonde und Träger von Stöckelschuhen und Trägerinnen von Jesuslatschen.
- Arthritis hat nichts mit Überlastung von Gelenken zu tun. Gelenkverschleiß heißt Arthrose.
- Arthritis hat auch nichts mit dem Alter zu tun. An Arthritis können auch Kinder und Jugendliche erkranken, selbst Kleinkinder und Säuglinge.
- Arthritis geht nicht auf Lebensgewohnheiten, Lebensführung oder Lebenslaster zurück. Arthritis lässt sich damit durch eine Änderung der Ernährung oder andere Änderungen im täglichen Leben nicht kurieren.
- Arthritis ist eine schwere Erkrankung, die in erster Linie nicht guter Ratschläge von Freunden und Bekannten, Tips beim Friseur und Mittelchen aus der Lifestyle-Ecke des örtlichen Gesundheitsladens bedarf, sondern einer differenzierten Diagnostik beim Spezialisten, einer genauen Abklärung der unterschiedlichen zugrundeliegenden Ursachen und einer zielgerichteten, wirksamen Therapie.
- Die moderne Behandlung einer Arthritis kann sehr teuer sein. Da aber einige Arthritisformen gefährlicher sind als bestimmte Krebsarten, darf hier wie da die Kostenfrage kein Argument sein, den Betroffenen eine Therapie mit wirksamen Medikamenten zu verweigern.
Es wäre zu schön, wenn Rheumatologie so einfach wäre: Nicht TNF-alpha-Blocker, sondern High-Heels auf Kassenrezept. Düsseldorf würde zum Mekka aller Arthritis-Kranken, denn wir haben beides: Eine gute Rheumatologie und gute Schuhläden.
Wir freuen uns auf einen goldenen Oktober und wünschen allen Userinnen und Usern einen ebensolchen.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer für das rheuma-online-Team