Editorial vom November 2009 Schweinegrippe und Impfung bei rheumatischen Erkrankungen - Ja oder nein, das ist die Frage
Einen ganzen Sonntag lang habe ich mich mit dem Thema Schweinegrippe und insbesondere mit der Frage der Impfung beschäftigt. Nun weiß ich viel: Daß man die Pandemie nicht unterschätzen sollte, daß es auch Erkrankungen mit untypischen Symptomen gibt, und daß nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Bundesregierung und Mitglieder nachgeordneter Behörden einen anderen Impfstoff bekommen sollen als die Bevölkerung. Was ich nach stundenlangen Recherchen nicht weiß: Können Patientinnen und Patienten mit entzündlich-rheumatischen und immunologischen Systemerkrankungen, insbesondere auch solche mit Autoimmunerkrankungen, gefahrlos mit Pandemrix geimpft werden oder nicht?
Zunächst: Die Schweinegrippe.
Auch wenn es in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung danach klingt, daß ein Tiger angekündigt wurde und nun ein Kätzchen auf uns zukommt: Wir sollten die Schweinegrippe nicht unterschätzen.
Die Erkrankung wird durch ein neues Virus ausgelöst (deshalb auch „Neue Grippe“ mit dem Erreger H1N1), auf das unser Immunsystem nicht gut bzw. eigentlich überhaupt nicht vorbereitet ist und das dadurch die Gefahr einer sehr schnellen Verbreitung in sich birgt (die älteren Jahrgänge haben allerdings in der 50er Jahren schon einmal eine ähnliche Grippe-Pandemie erlebt und stehen der neuen Grippe deshalb vielleicht nicht ganz so wehrlos gegenüber wie die jüngeren und ganz jungen).
Offensichtlich scheint die Erkrankung auch sehr ansteckend zu sein, und wenn sie bislang in Deutschland eher relativ harmlos verlaufen ist, sollten wir uns nicht in Sicherheit wiegen, die ersten Todesfälle hat es nun auch schon bei uns gegeben.
Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche sowie junge Erwachsene; ältere Erwachsene erkranken seltener (mögliche Gründe siehe oben). Nach Angaben des Epidemiologischen Bulletins des Robert-Koch-Instituts erkrankten Angehörige der Altersgruppe der 5- bis 45-Jährigen weltweit am häufigsten.
Die in Deutschland bis zum 18. September 2009 gemeldeten Fälle wiesen einen Altersgipfel zwischen 15 und 19 Jahren auf. Der Altersmedian aller gemeldeten Fälle lag bei 19 Jahren. Der Altersmedian in anderen Ländern lag zwischen 12 und 17 Jahren.
Während in Deutschland etwa 7 % der gemeldeten Fälle hospitalisiert, d.h. im Krankenhaus behandelt wurden, waren es in den USA 16 %, in Australien 12 % und in Kanada 20 %.
Etwa 10–30 % der hospitalisierten Personen wurden auf Intensivstationen aufgenommen.
Der Altersmedian von 945 hospitalisierten Patienten in Deutschland lag zum 18. September 2009 bei 20 Jahren (mittleres Alter: 23 Jahre; 95% KI 22,5–24).
Die Mortalität (Sterblichkeitsquote, Meldefälle pro Bevölkerung) reicht in den meisten Ländern von ca. 1 bis 5 pro einer Million Einwohner.
Die meisten Todesfälle traten insgesamt bei Patienten in einem Alter zwischen 20 und 49 Jahren auf. Allerdings wurden hier auch regional deutliche Unterschiede festgestellt.
Nach Darstellung des epidemiologischen Bulletins haben dabei Daten insbesondere aus den USA, Kanada und Australien gezeigt, dass Personen mit chronischen Grundkrankheiten sowie Schwangere und Wöchnerinnen im Falle einer Erkrankung an Neuer Influenza A (H1N1) ein mehrfach erhöhtes Risiko für einen schweren bzw. tödlichen Krankheitsverlauf gegenüber Personen ohne derartige Risikofaktoren haben.
Übertragen wird die Schweinegrippe durch eine sogenannte Tröpfcheninfektion, d.h. von Mensch zu Mensch beim Niesen und Husten, wobei die Viren bis zu 2 Meter „fliegen“ können, aber auch beim Sprechen und natürlich bei engeren körperlichen Kontakten wie beim Küssen.
Aus dem Epidemiologischen Bulletin: „Die Übertragung kann aber auch über Oberflächen oder Hände erfolgen, die mit virushaltigen Sekreten verunreinigt sind. Über die Hand gelangen die Viren in Mund, Nase oder Augen.“
Deshalb wichtig: Ein wesentlicher Verbreitungsweg für das Virus sind die Hände, mit denen man Türklinken oder Flächen angefasst hat, auf die Schweineviruskranke geniest haben oder die Erkrankte angefasst haben, die vorher in die Hände gehustet haben.
Ansteckend ist ein Schweineviruserkrankter für drei bis fünf Tage, zum Teil bis sieben Tage. Bei einigen beginnt die Ansteckung bereits zu einer Zeit, wo der Virusträger selber noch keine Symptome aufweist.
Es wurde errechnet, dass 17–43 % der Personen, die in einem Haushalt mit einer an Neuer Influenza A(H1N1) erkrankten Person leben, ebenfalls erkranken (sekundäre klinische Erkrankungsquote). Insgesamt deuten die Daten darauf hin, daß das Neue Influenza A (H1N1)-Virus sehr gut von Mensch zu Mensch übertragbar ist (Epidemiologisches Bulletin).
Die sogenannte Inkubationszeit, d.h. die Zeit zwischen dem Kontakt mit einem Infizierten und dem Ausbruch der Erkrankung beträgt in der Regel ein bis zwei Tage.
Typische Symptome einer Schweinegrippe sind Fieber (bei 94% der Patienten) und Husten (bei 92%). Ebenfalls typisch ist eine Halsentzündung bei 66% der Patienten, nicht selten kommt es aber auch zu Durchfall und Übelkeit mit Erbrechen (jeweils ca. 25%). Die Schweinegrippe unterscheidet sich bei vielen Patientinnen und Patienten nicht von einer normalen Grippe mit Halsschmerzen, Schnupfen, allgemeinem Krankheitsgefühl, Muskel- und Gliederschmerzen sowie Kopfschmerzen.
Im Unterschied zu einer „normalen“ Grippe scheint es bei der Schweinegrippe auch sogenannte monosymptomatische Verläufe zu geben, die nur mit Erbrechen und Durchfall einhergehen. Bei einigen Erkrankten fehlt das Fieber, bei anderen ist Fieber das vorstechende Symptom.
In der Regel ist, so zumindest die Erfahrung in Deutschland, die Schweinegrippe eine relativ unkomplizierte Atemwegserkrankung. In schweren Verläufen kommt es aber zu lebensgefährlichen Lungenentzündungen, die sogar intensivmedizinische stationäre Behandlungen erforderlich machen und zum Teil tödlich enden.
Die schweren Verläufe wurden vor allem bei bestimmten Risikokonstellationen beobachtet: Dazu gehören chronische Atemwegserkrankungen und andere chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus, immunsupprimierte Patienten (d.h. Patienten mit Abwehrschwäche, entweder in der Folge von Erkrankungen des Immunsystems oder in der Folge einer immunsuppressiven, das Immunsystem unterdrückenden Therapie), aber auch Schwangere, nicht zuletzt stark Übergewichtige.
Die Vorbeugung
A und O ist die strikte Beachtung von hygienischen Maßnahmen. Belegt ist, daß regelmäßiges Händewaschen mit Wasser und Seife die Ansteckungsgefahr reduziert, außerdem sollte man versuchen, den Händekontakt mit Flächen zu vermeiden, die von vielen Menschen angefasst werden (z.B. Türklinken in öffentlichen Bereichen; z.B., wenn es geht, die Klinke nicht mit der Hand anfassen, sondern mit dem Ellenbogen öffnen). Außerdem sollte man versuchen, Handkontakt mit Schleimhäuten zu vermeiden, d.h. mit Mund, Nase oder Augen. Wer, als Pflegekraft oder Angehöriger, engen Kontakt zu Erkrankten haben muß, sollte einen Mundschutz anlegen, bei sehr engem Kontakt (im Pflegebereich oder als Arzt) sogar eine Schutzbrille verwenden.
Die Impfung
Angesichts der hohen Virulenz des Schweinegrippe-Virus, das auf eine ungeschützte Bevölkerung trifft, ist eine möglichst flächendeckende Impfung im Prinzip eine der wirksamsten Maßnahmen, um die Zahl von Erkrankungen und von Todesfällen zu reduzieren.
Grundsätzlich dürfen wir Deutschen froh darüber sein, daß die Schweinegrippe ihren Anfang in den Zeiten des Bundestagswahlkampfes nahm und damit unsere Ulla ebenso wie unsere Angela alles unternahmen, um ihre allumfassende Fürsorglichkeit über das deutsche Volk zu verbreiten, d.h. die Bundesregierung hat für die Bevölkerung 50 Millionen Impfdosen Pandemrix bestellt, dem Impfstoff aus dem Hause GlaxoSmithKline.
Eines der großen Rätsel in Sachen Schweinegrippe-Impfung: Die Bundeswehr darf an diesem staatlichen Segen für die Bevölkerung nicht teilhaben, auch nicht die Mitglieder der Bundesregierung und nachgeordneter Behörden. Sie bekommen Celvapan von Baxter, von dem auch Österreich 16 Millionen Impfdosen bestellt hat.
Was ist der Unterschied?
Pandemrix enthält ein sogenanntes Adjuvans, ist also ein „adjuvantierter Impfstoff“, Celvapan dagegen nicht. Pandemrix ist ein Spaltimpfstoff, Celvapan ein Ganzvirus-Impfstoff.
Der Vorteil der Adjuvantierung: Man benötigt viel weniger Impfstoff, da das Adjuvans das Immunsystem stimuliert und damit eine wesentlich stärkere Immunantwort auf die Impfung hervorruft als ein un-adjuvantiertes Präparat. Man kann also in Zeiten einer drohenden Pandemie in kürzerer Zeit viel mehr Impfstoff herstellen, als wenn man ohne Impfverstärker arbeiten würde.
Der Nachteil der Adjuvantierung: Die Immunstimulation geht mit einer deutlich höheren Rate an Nebenwirkungen und mit stärkeren Nebenwirkungen einher als eine Impfung ohne Adjuvans.
Ein weiterer Nachteil im speziellen Fall von Pandemrix: Als Impfverstärker, d.h. als Adjuvans, wird hier ein Stoff verwendet (AS03), der bislang in keinem zugelassenen Impfstoff enthalten war (KVBB) und für den insofern noch keine umfangreichen Erfahrungen aus anderen großen Impfserien vorliegen.
Ganz ohne ist allerdings der Bundeswehr- und Bundesregierungs-Impfstoff Celvapan auch nicht: Als Ganzvirus-Impfstoff hat er auch seine speziellen Probleme, denn zumindest in der Vergangenheit wurden Ganzvirus-Impfstoffe verlassen und auf Spaltimpfstoffe umgestellt, weil sie im Vergleich zu Spaltimpfstoffen ebenfalls eine höhere Nebenwirkungsrate aufwiesen.
Ungeklärt ist, ob dies auf die Eigenschaft als Ganzvirus-Impfstoff oder auf die Produktionstechniken zurückzuführen ist, die in den ersten Jahren der Impfstoffentwicklung zur Verfügung standen (wir reden in diesem Zusammenhang über die ersten formalin-inaktivierten Ganzvirus-Impfstoffe aus dem Jahr 1945, die in den 60-70er Jahren durch Spaltimpfstoffe abgelöst wurden).
Was die Adjuvantierung problematisch macht: Es gibt keine Daten zur Auswirkung auf eine Schwangerschaft. Deshalb empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts, Schwangere nicht mit adjuvantierten Impfstoffen zu impfen. Fast absurd: Schwangere werden zugleich in die drei Risikogruppen eingeordnet, die vorrangig gegen Schweinegrippe geimpft werden sollten.
Die STIKO-Empfehlung:
„Die Impfung gegen die Neue Influenza A (H1N1) sollte in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit der Impfstoffe in folgender zeitlicher Reihenfolge und Abstufung erfolgen:
Mit der Impfung der Indikationsgruppen 1, 2 und 3 sollte bei Verfügbarkeit der Impfstoffe sofort begonnen werden:
1. Beschäftigte in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege mit Kontakt zu Patienten oder infektiösem Material
2. Personen ab einem Alter von 6 Monaten mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens, wie zum Beispiel: chronische Krankheiten der Atmungsorgane, chronische Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten, Malignome, Diabetes und andere Stoffwechselkrankheiten, neurologische und neuromuskuläre Grundkrankheiten, angeborene oder erworbene Immundefekte mit T- oder B-zellulärer Restfunktion,
HIV-Infektion
3. Schwangere (vorzugsweise ab dem zweiten Trimenon) und Wöchnerinnen“
… Die STIKO ist sich der komplexen Problematik der Impfung in der Schwangerschaft bewusst, daher sollten Schwangere bis zum Vorliegen weiterer Daten mit einem nicht-adjuvantierten Spalt impfstoff geimpft werden.“
Wen womit impfen?
Soweit ich es den zur Verfügung stehenden Informationen entnehme, wird offensichtlich von der bundesrepublikanischen Administration gerade versucht, für Schwangere eine umschriebene Menge von Impfdosen einzukaufen, die einen nicht-adjuvantierten Impfstoff enthalten.
Es wird spekuliert, daß es sich dabei um das Präparat Panenza von Sanofi-Pasteur handeln könnte, das in den Vereinigten Staaten eingesetzt wird. Oder es könnten kleine Mengen einer Version von Pandemrix ohne Verstärker auf den Markt gelangen (FAZ.Net). Diese beiden Impfstoffe haben bisher freilich weder eine nationale noch eine europäische Zulassung. Außerdem sprechen experimentelle Daten sehr klar dagegen, Pandemrix ohne Adjuvans einzusetzen, da es ohne diesen Verstärker auch in höherer Dosierung offensichtlich nicht ausreichend wirksam ist (KVBB).
Im Prinzip stehen weltweit gegenwärtig als nicht-adjuvanierte Spaltimpfstoffe oder Untereinheiten-Impfstoffe drei Präparate zur Verfügung, nämlich drei der vier in den USA zugelassenen Impfungen gegen Schweinegrippe, die allesamt un-adjuvantiert sind (der vierte Impfstoff ist auch nicht adjuvantiert, aber ein Lebendimpfstoff mit abgeschwächten Viren, welcher zwar den Charme hat, in der Art eines Nasensprays zu impfen, der aber wegen seiner Eigenschaft als Lebendimpfstoff für Schwangere nicht in Frage kommt).
Allerdings ist weltweit der Markt für Schweinegrippe-Impfstoffe im Augenblick komplett leergefegt, so daß nicht sonderlich viel Hoffnung besteht, von diesen grundsätzlich charmanten Alternativen zu den europäischen Präparaten ausreichende Mengen zu bekommen.
Was die Adjuvantien ganz besonders problematisch macht: Keiner weiß, was sie mit Autoimmunerkrankungen anstellen. Will heißen: Es gibt absolut keine Einschätzungen und überhaupt keine Daten dazu, was mit einer Pandemrix-Impfung bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen oder immunologischen Systemerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Psoriasis-Arthritis, M. Bechterew oder anderen Spondyloarthritiden, systemischem Lupus erythematodes oder anderen Kollagenosen, Vaskulitiden, aber auch bei anderen Autoimmunerkrankungen passiert.
Immerhin werden sehr viele dieser Erkrankungen mit Medikamenten behandelt, die die verstärkte und/oder gestörte Immunantwort mehr oder weniger gezielt unterdrücken. Wenn nun ein „Immunverstärker“ in Form eines Impfadjuvans bei diesen Patienten eingesetzt wird, sollte man sich zumindestens theoretisch darüber im klaren sein, daß es dadurch zu einer unerwünschten Immunantwort, d.h. im ungünstigsten Fall zu einer Schubauslösung, kommen könnte. Was allerdings keinesfalls sein muß, da auf Grund der fehlenden Untersuchungen und Daten überhaupt nicht bekannt ist, ob sich die durch das Adjuvans erwünschte Immunstimulation nur auf die Steigerung der Impfantwort bezieht oder aber, ob sie auch kollateral, d.h. breiter und allgemeiner zu einer immunologischen Reaktion führt und damit natürlich in wesentlich stärkerem Maße die Gefahr in sich birgt, die rheumatische oder immunologische Erkrankung ungünstig zu beeinflussen.
Komplizierte Materie, aber hoffentlich halbwegs verständlich dargestellt.
Ich habe an diesem Sonntag eine lange Zeit damit zugebracht, irgendetwas zu finden, was mir die Entscheidung erleichtert, meinen Patientinnen und Patienten die Schweinegrippe-Impfung zu empfehlen oder eher abzuraten.
Im Prinzip war ich zunächst an der Stelle angekommen, daß die Impfung mit einem nicht-adjuvantierten Impfstoff uneingeschränkt zu empfehlen sei. Denn: Patienten mit den genannten rheumatischen Erkrankungen gehören, auch wenn sie das Robert-Koch-Institut und die STIKO nicht ausdrücklich erwähnen, zu den Risikogruppen, die vorrangig gegen das Schweinegrippevirus geimpft werden sollten.
Sie sind, zumindest beim einem größeren Teil der Erkrankungen, durch die Krankheit selber immunsupprimiert, daneben aber oft auch noch durch die immunsuppressive Therapie, z.B. mit Cortison, Methotrexat, TNF-alpha-Blocker und weitere langwirksame antirheumatische und krankheitsmodifizierenden Substanzen.
Dies ist auch die Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, die dazu in einer Pressemitteilung Stellung nimmt:
„Impfen oder nicht? Das fragen sich viele Rheumapatienten in der letzten Wochen. Denn ob sie zum Kreis der chronisch Kranken zählen, die zuerst geimpft werden müssen, ist nicht festgelegt. Ein Expertengremium der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie hat die Datenlage diskutiert und eine Empfehlung formuliert. Darin befürworten sie die H1N1-Impfung für Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, deren Krankheit schwer verläuft oder die unter immunsuppressiver Therapie stehen. Immunsuppressiva dämpfen das Immunsystem und machen es anfälliger für Infektionen. Das Arzt-Patienten-Gespräch vor der Impfung bleibt obligatorisch.
Abseits der Debatte über den Sinn der Impfung gegen die bislang mild verlaufende Neue Influenza A steht die Frage, welche Personen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Grippeverlauf haben. Sie müssen besonders geschützt werden. In Bezug auf Menschen mit rheumatischen Erkrankungen geht das nicht eindeutig aus den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts hervor. Genannt werden nur Personen mit "erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens". Rheumatische Erkrankungen sind nicht explizit aufgeführt.
"Patienten, deren Krankheit schwer verläuft oder die Immunsuppressiva einnehmen, gehören aber generell zur Hochrisikogruppe", sagt Kommissionssprecher Professor Klaus Krüger. Die meisten Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen erhalten diese Medikamente. "Sie sollten geimpft werden", fasst der internistische Rheumatologe aus München die Empfehlung zusammen."
Obwohl die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie die Impfung grundsätzlich befürwortet, bleiben einige Fragen offen, da spezielle Studien mit Rheumapatienten fehlen. Beispielsweise ist noch unklar, wie verträglich die H1N1-Impfung für Patienten mit rheumatischen Erkrankungen sein wird. Denn die Impfung kann ebenso wie die Infektion einen Krankheitsschub auslösen. Ungewiss ist auch, ob die Basismedikamente den Impfschutz beeinträchtigen. "Über die grundsätzliche Empfehlung zur Impfung einerseits, aber auch über den begrenzten Wissensstand andererseits muss jeder Patient aufgeklärt werden", sagt Professor Krüger und verweist damit auf das Arzt-Patienten-Gespräch, das der Impfung stets voraus gehen muss. In Hinblick auf die Immunisierung gegen die Saisonale Grippe empfiehlt die DGRh, die Impfung im Abstand von mindestens einem Tag durchführen zu lassen.“
Die Möglichkeit einer Schubauslösung wird in dieser Pressemitteilung angesprochen; eine wirkliche Entscheidungshilfe gibt die DGRh-Empfehlung dazu aber auch nicht.
Eine andere, kurze Anmerkung: In der Regel wird von Impfexperten empfohlen, zwischen der Impfung gegen Schweinegrippe und der Impfung gegen die saisonale, „normale“ Grippe mindestens eine Woche, besser 14 Tage verstreichen zu lassen, nicht zuletzt auch deshalb, um mögliche Nebenwirkungen besser der einen oder der anderen Impfung zuordnen zu können (was bei einem Abstand von einem Tag nicht möglich ist).
Also: Impfung grundsätzlich ja, aber mit Bedenken gegen den adjuvantierten Impfstoff, und eher wenig Bedenken gegen den nicht-adjuvantierten Impfstoff. Warum insofern nicht mit Patienten mit rheumatischen und immunologischen Systemerkrankungen und anderen Autoimmunerkrankungen ähnlich verfahren wie mit Schwangeren? Wird nicht funktionieren, da es für diese Gruppe schon zu wenig un-adjuvantierten Impfstoff gibt und die Lobby für Rheumapatienten in dieser Konkurrenzsituation nicht stark genug sein dürfte.
Und die naheliegendste Lösung, nämlich einen der in den USA zugelassenen Impfstoffe importieren? Wäre für mich persönlich mein Rat, der aber vermutlich an logistischen Problemen und natürlich in erster Linie an der Verfügbarkeit scheitern wird. Außerdem: Diese Lösung ist eine Luxusvariante, denn die gesetzliche Krankenversicherung ist für einen solchen Impfstoff nicht zahlungspflichtig. Ob private Krankenversicherungen zahlen würden, weiß ich nicht; insofern dürfte die vermutlich beste Lösung, wie oft im Leben, für die Betroffenen auch die teuerste Lösung sein.
Was werde ich nun meinen Patienten raten?
1. Da ich selber gesund bin, werde ich mich mit Pandemrix impfen lassen, damit ich nicht zu den Personen gehöre, die die Erkrankung weiterverbreiten. Dieses werde ich auch meinem Personal empfehlen. Nicht zuletzt auch, damit zumindest das medizinische Personal nicht ausfällt, wenn die Pandemie auf uns zurollt und wir alle gebraucht werden.
2. Patienten mit Erkrankungen, die sich durch eine fehlende oder nur einer geringe Autoimmunität auszeichnen (typisches Beispiel ist der M. Bechterew), sollten sich mit dem in Deutschland zugelassenen Impfstoff, d.h. mit Pandemrix, impfen lassen.
3. Patienten mit rheumatischen Erkrankungen mit einer deutlichen autoimmunen Komponente, speziell Lupus, Kollagenosen, aber auch Vaskulitiden, und ohne weiteres Risiko neben ihrer rheumatischen Erkrankung, d.h. Patienten ohne andere chronische Erkrankungen wie chronische Lungenerkrankungen, Asthma, Diabetes mellitus etc. sollten zunächst den Verlauf abwarten; bei weiter eher mildem Verlauf der Pandemie ist bei Ihnen meines Erachtens ein Verzicht auf die Impfung verantwortbar. Unabhängig davon sollten sie sich auf jeden Fall gegen die saisonale, d.h. normale Grippe und auch gegen Pneumokokken impfen lassen, um nicht eine Doppelerkrankung von normaler Grippe oder einer Pneumokokken-Lungenentzündung und Schweinegrippe zu riskieren.
4. Schwierig ist die Empfehlung bei solchen Erkrankungen wie Psoriasis-Arthritis. Im Prinzip gehört die Psoriasis-Arthritis zu den sogenannten „pauci-immunen“ Erkrankungen, d.h. sie geht mit wenig oder gar keiner Autoimmunität einher. Andererseits kommt es bei diesen Krankheitsbildern in der Folge von Infektionen sehr gerne zu Krankheitsschüben, so daß grundsätzlich eine Impfung gegen die Schweinegrippe sehr sinnvoll und empfehlenswert wäre. Was ich nicht abschätzen kann, ist die Frage, ob bei z.B. Psoriasis-Arthritis durch das Adjuvans selber auch ein Schub ausgelöst werden kann; insofern tendiere ich auch bei diesen Patienten bei fehlenden sonstigen Risikofaktoren im Augenblick und bis zum Vorliegen ausreichender Daten eher gegen eine Impfung gegen die Schweinegrippe, befürworte aber auch hier sehr deutlich eine „normale“ Grippeschutzimpfung.
5. Anzustreben ist bei nicht-geimpften Patienten eine Schweinegrippen-Impfung bei Haushaltsangehörigen und weiteren nahen Angehörigen, um das Risiko einer Ansteckung durch diese engen Kontaktpersonen zu reduzieren.
6. Wer nicht gegen Schweinegrippe geimpft ist, sollte bei einem dringenden Verdacht auf eine Schweinegrippe so schnell wie möglich mit einem wirksamen antiviralen Medikament behandelt werden, d.h. innerhalb von 48 Stunden Tamiflu oder Relenza bekommen (für beide Mittel scheint eine gute Wirksamkeit auch gegen Schweinegrippe vorzuliegen).
Zum Schluß noch ein wenig „Fakten-Check“:
In Deutschland zugelassene Impfung gegen Schweinegrippe:
Pandemrix von GlaxoSmithKline, ein Spaltimpfstoff (Totimpfstoff) mit Adjuvans (in Hühnereiern hergestellt).
In Europa von der europäischen Zulassungsbehörde ebenfalls zugelassen:
Focetria von Novartis, ebenfalls adjuvantiert (Totimpfstoff; auch in Hühnereiern hergestellt).
Kurz vor der Zulassung durch die EMEA (Stand 1. November 2009):
Celvapan von Baxter, ein Ganzvirus-Impfstoff, ebenfalls Totimpfstoff, nicht adjuvantiert.
Wohl zukünftig ebenfalls in Deutschland verfügbar:
Der zellkultur-basierte Impfstoff Celtura von Novartis (Totimpfstoff, ebenfalls adjuvantiert).
In den USA von der FDA zugelassene H1N1-Schweinegrippen-Impfstoffe:
Influenza-A (H1N1)-Impfstoff von Sanofi-Pasteur, ein nicht-adjuvantierter Spaltimpfstoff (Totimpfstoff), zugelassen für Personen ab dem 6. Lebensmonat
Influenza-A (H1N1)-Impfstoff von Novartis, ein nicht-adjuvantierter Untereinheiten-Impfstoff (Totimpfstoff), zugelassen für Personen ab dem 4. Lebensjahr
Influenza-A (H1N1)-Impfstoff von CSL-Limited, ein nicht-adjuvantierter Spaltimpfstoff (Totimpfstoff), zugelassen für Personen ab dem 18. Lebensjahr
Influenza-A (H1N1)-Impfstoff von MedImmune LLC, ein nicht-adjuvantierter, kälte-adaptierter, temperatursensitiver, attenuierter Lebendimpfstoff für die intranasale Anwendung (wie ein Nasenspray), zugelassen für Personen ab dem 2. bis zum 49. Lebensjahr.
Aus dem Epidemiologischen Bulletin der STIKO:
http://www.rki.de/cln_100/nn_1493928/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2009/41__09
Patienten mit Immunsuppression
„Es gibt keine Daten zur Gabe des AS03-adjuvantierten Impfstoffes bei Patienten mit primärer oder sekundärer Immunsuppression. Die Immunantwort kann reduziert sein. Insgesamt sind die Empfehlungen der STIKO hinsichtlich Immunsuppression zu berücksichtigen.
…
Sicherheit von Pandemrix®
Die Sicherheit von Pandemrix® wurde in klinischen Studien bei ungefähr 5.000 Probanden im Alter von 18 Jahren und älter, die Impfstoffformulierungen mit mindestens 3,75 μg Hämagglutinin vom Stamm A/Vietnam/1194/2004 (H5N1) mit AS03 erhalten hatten, untersucht. Schwerwiegende Nebenwirkungen im ursächlichen Zusammenhang mit Pandemrix® wurden nicht beobachtet. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Studien aufgrund der untersuchten Probandenzahlen keine Auskunft über seltene Nebenwirkungen geben können.
Sehr häufig wurde über Kopfschmerzen, Arthralgie, Myalgie, Verhärtungen, Schwellung, Schmerzen und Rötung an der Injektionsstelle sowie Fieber und Mattigkeit berichtet. Häufig kamen zudem eine Lymphadenopathie, Hautblutungen an der Injektionsstelle, verstärkte Schweißsekretion, eine grippeähnliche Erkrankung und Lokalreaktionen vor. Schlaflosigkeit, Parästhesien, Benommenheit, Schwindel, gastrointestinale Symptome (wie Diarrhö, Erbrechen, Abdominalschmerzen, Übelkeit) Juckreiz oder ein Hautausschlag traten gelegentlich auf. Hinsichtlich seltener auftretender Nebenwirkungen wird mit ähnlichen Reaktionen wie sie auch nach Anwendung saisonaler Grippeimpfstoffe beobachtet werden gerechnet.
Referenzen:
Schweinegrippe: Merkblatt des Robert-Koch-Instituts (RKI):
http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber__Mbl__Influenza.html
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:
Was ist Schweinegrippe (Influenza A/H1N1)?
http://www.bzga.de/schweinegrippe/?id=Seite4579
Mitteilung der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut
Impfung gegen die Neue Influenza A (H1N1); Epidemiologisches Bulletin 41/2009 vom 12. Oktober 2009
http://www.rki.de/cln_100/nn_1493928/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2009/41__09
Schutz vor Schweinegrippe - Kanzlerin und Minister sollen speziellen Impfstoff erhalten
Spiegel online vom 17.10.2009
http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,655764,00.html
Pressemitteilung der EMEA vom 25. September 2009: PRESS RELEASE European Medicines Agency recommends authorisation of two vaccines for influenza pandemic (H1N1) 2009
http://www.emea.europa.eu/pdfs/general/direct/pr/60258209en.pdf
EMEA Pandemic influenza (H1N1) website:
http://www.emea.europa.eu/influenza/home.htm
H1N1: Erste Impfstoffe in Europa zugelassen
Deutsches Ärzteblatt http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/38266/H1N1_Erste_Impfstoffe_in_Europa_zugelassen.htm
EPAR der EMEA zu Celvapan:
http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/celvapan/H-982-de1.pdf
Ergänzende Informationen für Ärztinnen/Ärzte zum Pandemischen Impfstoff H1N1
Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg (KVBB): Neue Influenza A/(H1 N1): Wichtige Hinweise für die Praxis
http://www.kvbb.de/content/kvbb/kvbb001567/ErgaenzendeInformationenPandemischerImpfstoffH1N1.pdf
Pressemitteilung der FDA vom 15. September 2009: FDA Approves Vaccines for 2009 H1N1 Influenza Virus
Approval Provides Important Tool to Fight Pandemic
http://www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm182399.htm
Food and Drug Administration. FDA approves vaccines for 2009 H1N1 influenza virus. http://www.fda.gov/newsevents/newsroom/pressannouncements/ucm182399.htm
Update on Influenza A (H1N1) 2009 Monovalent Vaccines
CDC (Center of Disease Control; für professionals, d.h. für Angehörige medizinischer Berufe):
http://www.cdc.gov/h1n1flu/vaccination/professional.htm
Weitere Links mit ergänzenden Informationen:
Schweinegrippeimpfung- Hat Deutschland den falschen Stoff?
FAZ.Net vom 27. Oktober 2009
http://www.faz.net/s/Rub268AB64801534CF288DF93BB89F2D797/Doc~E12230CA8CD6145A4AFA8C4F5C367DBA9~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Schweinegrippe-Impfung für Rheumapatienten: Ja oder Nein?
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie
http://idw-online.de/pages/de/news337872
ALLES IM GRIFFF? (III) SCHWEINEGRIPPE-IMPFSTOFF: VERTRÄGLICHKEITSMYTHOS UND EMPFEHLUNGSCHAOS
Blitz-Arzneimitteltelegramm blitz-a-t 16. Oktober 2009
http://www.arznei-telegramm.de/blitz-pdf/b091016.pdf
Tabelle: Unerwünschte Wirkungen (UAW) eines Impfstoffs mit Wirkverstärker AS03 im Vergleich zu nichtadjuvantierter Vakzine
http://www.arznei-telegramm.de/blitz-pdf/b091016-Tabelle.pdf