Editorial vom November 2002
Wir haben uns entschieden, in diesem November zwei Editorials zu schreiben. Das erste steht noch ganz unter dem Eindruck des diesjährigen ACR-Kongresses in New Orleans und könnte mit „The Big Easy“ überschrieben werden. Das zweite passt mehr zu Buß- und Bettag und den eher besinnlichen und nachdenklichen Tagen kurz vor Advent. Es trägt nicht ohne Absicht den Titel: „Deutschland im Herbst“ und wird Mitte November erscheinen.
The Big Easy oder: Die Hoffnung wächst weiter
„The Big Easy“ – Die große Leichtigkeit: So nennen die Amerikaner New Orleans, den Ort des diesjährigen ACR-Kongresses und die Stadt von Louis Armstrong, dessen unvergleichliches „What a wonderful world“ von hier aus seinen Siegeszug durch die Welt antrat.
The Big Easy – Die große Leichtigkeit: Dies wünschen wir Rheumatologen uns für die Gelenke und die Knochen unserer Patienten. Und wenn man etwas Positives vom ACR 2002 aus New Orleans mitbringen kann, ist es die frohe Botschaft, dass wir diesem Ziel schon wieder ein bedeutendes Stück näher gekommen sind.
Was sind für mich die wichtigsten Erkenntnisse vom diesjährigen ACR?
Es geht weiter auf dem Gebiet der biologischen Therapien
Dies betrifft zum einen die bereits bekannten Substanzen wie Etanercept (Enbrel), Infliximab (Remicade) und Anakinra (Kineret), bei denen wir inzwischen schon sehr viel mehr über die genauen Einsatzgebiete gelernt haben, über wachsende Daten zur Wirksamkeit und zur Arzneimittelsicherheit verfügen und für die es mittlerweile auch zunehmende Erfahrungen mit der längerfristigen Anwendung gibt. So wurden beispielsweise für Etanercept die 4- und 5-Jahresergebnisse der Extensionsstudien und die 3-Jahres-Daten zum Einfluß auf die Röntgenprogression berichtet, für Etanercept sehr wichtige Daten zur Senkung der Sterblichkeitsrate unter dieser Therapie und für Etanercept, Infliximab und Anakinra sehr umfangreiche Daten zur Therapiesicherheit.
Die 4-Jahresdaten der ERA-Extensionstudie (Etanercept in Early Erosive Rheumatoid Arthritis) zeigen ein dauerhaftes Ansprechen auf die Enbrel-Therapie über den gesamten Therapieverlauf von 4 Jahren. 79% der Patienten erreichten eine ACR-20-Response, 58% ACR-50 und 31% ACR-70, was einer klinisch weitgehenden Remission entspricht. 27% der Patienten hatten keine druckschmerzhaften Gelenke, 21% keine geschwollenen Gelenke, 23% einen HAQ-Score von 0, d.h. sie hatten keinerlei funktionelle Beeinträchtigung im täglichen Leben, und 73% wiesen einen normalen CRP-Wert auf und hatten damit keinen Anhalt für das Vorliegen einer systemischen entzündlichen Aktivität. Unter der Etanercept-Therapie kam es zu einer anhaltenden und im Verlauf sogar weiter zunehmenden Verlangsamung der Röntgenprogression mit einer Zunahme der Sharp-Einheiten von 0.90/Jahr im ersten Jahr, von 0.57 Einheiten/Jahr im zweiten Jahr und von 0.37 Einheiten/Jahr im dritten Jahr. Im ersten Jahr hatten noch 50% der Patienten Cortison eingenommen. Im Verlauf konnte bei 62% dieser Patienten im zweiten Jahr, bei 68% im dritten Jahr und bei 73% im vierten Jahr die Cortisondosis reduziert oder Cortison ganz abgesetzt werden (Genovese et al., Abstr. 1419).
Vergleichbar gute Ansprechraten werden auch bei Patienten gesehen, bei denen zuvor andere langwirksame Antirheumatika (DMARD´s) nicht ausreichend gewirkt hatten. In der Extensionsphase der Etanercept-Monotherapie-Studie zeigte sich unter der alleinigen Therapie mit Enbrel über den Verlauf von 4 Jahren ein sehr gutes Ansprechen auch in dieser Patientengruppe mit einer ACR-20-Response von 79%, ACR-50 von 53% und ACR-70 von 26%. 26% der Patienten hatten keine druckschmerzhaften Gelenke, 21% keine geschwollenen Gelenke und 17% eine HAQ-Score von 0 (Moreland et al, Abstr. 1427).
Die Therapie mit TNF-alpha-Blockern führt nicht nur eindrucksvollen Verbesserungen bei der Kontrolle der Krankheitsaktivität, sondern reduziert auch die Mortalitätsrate bei rheumatoider Arthritis (RA). Dies gilt sowohl für Patienten mit einer frühen RA als auch für die fortgeschrittene RA. Ausgewertet wurden die Daten von 2.054 Patienten, die in verschiedenen klinischen Studien über 5 und mehr Jahre mit Etanercept behandelt wurden (Moreland et al., Abstr. 1424). Im Vergleich zu der statistisch zu erwartenden Sterblichkeitsrate zeigt sich unter der Therapie mit Enbrel ein Rückgang der Mortalitätsrate sowohl bei Patienten mit früher rheumatoider Arthritis als auch bei fortgeschrittener RA (6 Todesfälle gegenüber 14 statistisch zu erwartenden Todesfällen bei Patienten mit früher RA, 16 gegenüber 24 bei fortgeschrittener RA).
Für Infliximab werden in einer großen Nachbeobachtungsstudie bei knapp 1.400 Patienten und einem Nachbeobachtungszeitraum von 3 Jahren keine erhöhten Todesfälle in der Folge der Therapie mit Remicade angegeben (Kavanaugh et al., Abstr. 1432). Tendenziell war die Mortalitätsrate in der Infliximab-Gruppe niedriger als in der Placebo-Gruppe (18/155 unter Infliximab, entsprechend 3.2%, 6/105 in der Placebo-Gruppe, entsprechend 5.7%).
Wichtig sind auch die Daten zur Frage eines erhöhten Tumorrisikos unter der Therapie mit TNF-Blockern. Hier zeigen alle bisherigen Daten kein erhöhtes Risiko für das Auftreten von bösartigen Tumoren in der Folge der TNF-Blockade, wobei die ersten längerfristigen Daten inzwischen Zeiträume von 5 Jahren Therapiedauer und länger umfassen (Etanercept: Moreland et al., Abstr. 1424, Sabath et al., Abstr. 1426, Moreland et al., Abstr. 1427, Infliximab: Kavanaugh et al., Abstr. 1432).
Für den IL-1-Blocker Anakinra (Kineret), die „jüngste“ Substanz in der Gruppe der bereits zugelassenen biologischen Therapien, wurden in New Orleans die ersten Daten zur Röntgenprogression über den Verlauf von 52 Wochen vorgestellt. Sie zeigen bei Patienten mit einer aktiven rheumatoiden Arthritis, die auf eine Behandlung mit Methotrexat (Mtx) und bis zu 10 mg Cortison nicht ausreichend angesprochen hatten, eine hochsignifikant größere Hemmung der radiologisch nachweisbaren Gelenkzerstörung als unter einer Therapie mit Methotrexat (Mtx) alleine (Shergy et al., Abstr. LB10).
In einer großen Studie zur Therapiesicherheit von Anakinra bestätigte sich das vergleichsweise günstige Nebenwirkungsprofil von Kineret (Fleischmann et al., Abstr. 1541). Die Autoren verweisen insbesondere auf das vergleichsweise niedrige Risiko von schweren Infektionen unter der Therapie mit Kineret.
Zunehmende Erkenntnisse gibt es auch zum Einsatz dieser Medikamente bei anderen Erkrankungen als der rheumatoiden Arthritis / chronischen Polyarthritis. So wurden weitere Studienergebnisse vorgestellt, die die bislang sehr positiven Erfahrungen mit dem Einsatz der TNF-Blocker bei der ankylosierenden Spondylitis (M. Bechterew) und der Psoriasisarthritis (Gelenk- und Wirbelsäulenbeteiligung bei Schuppenflechte) bestätigen (ankylosierende Spondylitis / Etanercept: Brandt et al., Abstr. 1123, ankylosierende Spondylitis / Infliximab: Brandt et al., Abstr. 1122, van den Bosch et al, Abstr. 1126, Psoriasisarthritis / Etanercept: Ory et al., Abstr. 442, Psoriasisarthritis / Infliximab: Antoni et al. Abstr. 985).
Für Etanercept liegen nun längerdauernde Erfahrungen für die Therapie der juvenilen idiopathischen Arthritis vor (Kimura et al., 1275; Gerloni et al. 1277, Horneff et al. 1279). Für Infliximab und Kineret gibt es erste Daten zur Wirksamkeit und zur Sicherheit bei der Behandlung von Kindern mit juveniler idiopathischer Arthritis (Infliximab: Masatlioglu et al., Abstr.1276, Visa et al., Abstr. 1272, Ved et al., Abstr. LB12, Kineret: Reiff et al., Abstr. 496).
Erstmals wurden radiologische Daten zum Einfluß einer Therapie mit Etanercept auf die Röntgenprogression bei Psoriasisarthritis vorgestellt. Dabei zeigte sich über den Studienverlauf von 1 Jahr in der Enbrel-therapierten Gruppe ein praktisch vollständiges Aufhalten der Röntgenprogression im Vergleich zu Placebo (-0.02 Einheiten, d.h. sogar eine leichte Verbesserung, im Sharp-Gesamt-Score unter Etanercept gegenüber einer Zunahme von +1.03 in der Placebo-Gruppe; -0.08/Jahr im Erosionsscore unter Etanercept gegenüber +0.69 in der Placebo-Gruppe) (Ory et al., Abstr. 442).
Dass die Entwicklung gerade auf dem Gebiet der biologischen Therapien nicht stillsteht, zeigt die große Zahl von Arbeiten, die sich mit der Neuentwicklung von neuen Behandlungsansätzen beschäftigen. In der Phase der ersten klinischen Anwendung befinden sich u.a. weitere Blocker von pro-inflammatorischen, entzündungsfördernden Botenstoffen, z.B. von Interleukin-6 (IL-6), sowie Substanzen, die sich nicht wie die TNF-Blocker oder die Interleukin-1-Blocker auf die direkte Hemmung von Zytokinen (Botenstoffe) konzentrieren, sondern auf die sogenannte Co-Stimulations-Blockade. Daneben gibt es neue Impulse zur Ausschaltung von Zielzellen, z.B. von B-Zell-Lymphozyten. Interessant sind auch erste Versuche mit dem oralen Präparat Pranalcasan (PRAL), d.h. in Tablettenform, durch welches das Enzym Interleukin-1beta Converting Enzyme (ICE) gehemmt wird und damit die Freisetzung des pro-inflammatorischen, entzündungsverstärkenden Botenstoffs Interleukin-1 (IL-1) verhindert wird (Pavelka et al., LB02)..
Hoffnungverheißende Ergebnisse lieferten auch die ersten Studienergebnisse zur Co-Stimulations-Blockade mit CTLA4Ig (Kremer et al., Abstr. 463, Weinblatt et al., Abstr. 464) und zu Rituximab, einem monoklonalen Antikörper gegen die B-Zelle CD20 (Edwards et al., Abstr. 446).
Fortschritte auch auf dem Gebiet der „traditionellen“ DMARD´s (langwirksame Antirheumatika, „Basistherapeutika“)
Die hohen Kosten der neuen biologischen Therapien haben den Nebeneffekt, dass nach preiswerteren Alternativen gesucht wird. Vor diesem Hintergrund sind Studien zu sehen, die darauf abzielen, die Wirksamkeit der traditionellen langwirksamen antirheumatischen Therapien durch neue, „intelligente“ Anwendungen zu verbessern . Dazu gehören in erster Linie Kombinationstherapien, zum Beispiel von Methotrexat (Mtx, z.B. Lantarel) und Leflunomid (Arava)(Cohen, Abstr. 1440), von Mtx mit intramuskulär verabreichtem Gold (z.B. Tauredon)(Lehman et al., Abstr. 466) oder anderen Kombinationen einschließlich der Dreier-Kombination von Mtx, Sulfasalazin und Hydroxychloroquin (z.B. Lantarel, Azulfidine RA und Quensyl) (Bingham et al., Abstr. 1415).
Ein bereits in der Vergangenheit immer wieder zu beobachtendes Phänomen ist, dass dabei von den Amerikanern Substanzen und Kombinationen wieder-„entdeckt“ werden, die z.T. Jahre zuvor in Deutschland mit excellenten Ergebnissen angewendet wurden, von denen aber seinerzeit wenig wahrgenommen wurde. Ein Beispiel sei die von Prof. Rau in Ratingen schon vor Jahren durchgeführte Kombinationsstudie von Methotrexat und Gold.
Eine für die tägliche Praxis außerordentlich wichtige Studie zeigt, dass eine Erhöhung der Mtx-Dosis auf mehr als 15 mg pro Woche i.m. keinen zusätzlichen Effekt erbringt. Bei Patienten, die auf eine orale Mtx-Dosis von 15 – 20 mg/Woche nicht ausreichend angesprochen hatten, wurde zunächst auf die parenterale Applikationsform mit 15 mg/Woche intramuskulär umgestellt. Nach 6 Wochen wurden dann die Patienten entweder weiter mit dieser Dosis oder mit höheren Dosierungen behandelt, wobei in Abhängigkeit von der Krankheitsaktivität (gemessen im DAS) monatlich die Mtx-Dosis um 10 mg bis maximal 45 mg/Woche erhöht wurde. Bei Studienende betrug die mittlere Mtx-Dosis in der „Hochdosis-Gruppe“ 40 mg/Woche. Trotz dieser sehr hohen Dosis zeigte sich kein Unterschied in der Krankheitsaktivität gegenüber der Patientengruppe, die unverändert mit 15 mg /Woche behandelt worden war (Lambert et al., Abstr. 465).
Zu den neueren DMARD´s, insbesondere zu Leflunomid (Arava), gibt es mit zunehmender Anwendungsdauer und wachsender Verbreitung nun auch umfangreiche Erfahrungen zur Arzneimittelsicherheit, darüber hinaus sehr interessante, positive Studienergebnisse zur längerfristigen Behandlung. Die aktuellen 4-Jahres-Ergebnisse zu Leflunomid, die bereits auf dem EULAR-Kongress im Juni 2002 in Stockholm präsentiert wurden, zeigen eine anhaltende Wirksamkeit bei den Respondern, d.h. den Patienten, die initial auf Arava ansprachen, über den gesamten weiteren Beobachtungszeitraum von 4 Jahren. Besonders eindrucksvoll sind aus meiner persönlichen Sicht die Daten zur Röntgenprogression unter der längerfristigen Therapie mit Leflunomid, die bei den Respondern eine komplette Hemmung der Röntgenprogression nachweisen und uns damit unserem wichtigsten Therapieziel ein ganz gehöriges Stück näher bringen, nämlich den Prozess der entzündlichen Zerstörung von Gelenkknorpel, Knochen und weiteren Strukturen komplett zu stoppen.
Neue Daten gibt es auch zur Anwendung von Leflunomid (Arava) bei anderen Erkrankungen als der rheumatoiden Arthritis / chronischen Polyarthritis. Die wichtigste Studie in diesem Zusammenhang war eine Studie zum Einsatz von Leflunomid bei der Psoriasisarthritis (TOPAS-Studie), bei der eine hohe Wirksamkeit von Arava sowohl auf die Gelenksymptome als auch auf die Hautveränderungen dokumentiert werden konnte (Kaltwasser et al., Abstr. LB04).
„Early is to late“ – Die Bedeutung eines sofortigen Therapiebeginns
Wir „predigen“ es in rheuma-online schon seit Jahren, nun verdichten sich die Befunde immer mehr: Die allerwichtigste Maßnahme bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis ist der sofortige Beginn mit einer ausreichend potenten langwirksamen antirheumatischen Therapie (DMARD-Therapie, früher sogenannte Basistherapie). Immer mehr Arbeiten zeigen nun auch über längere Zeiträume von inzwischen bis zu 5 Jahren Beobachtungsdauer, dass das sogenannte „window of opportunity“ (Johannes Bijlsma, Utrecht), das heißt das Zeitfenster für optimale Behandlungsergebnisse, schmal ist und bei einem verspäteten Einsetzen der richtigen Therapie Chancen verspielt werden, die sich selbst durch eine nachfolgende wirksame Behandlung im weiteren Verlauf der Erkrankung über 5 Jahre in vielen Fällen nicht mehr aufholen lassen.
Valerie Nell aus Wien hatte ihre Daten bereits schon auf dem EULAR-Kongress in Stockholm im Juni 2002 vorgestellt; in rheuma-online haben wir über diese Studie in unseren rheuma-news berichtet. Die Kernaussage der Studie, die auch noch einmal auf dem ACR-Meeting diskutiert und in vollem Umfang bestätigt wurde (Nell et al, Abstr. 1450): Ob bei Patienten mit einer beginnenden rheumatoiden Arthritis innerhalb der ersten 3 Monate mit einer langwirksamen antirheumatischen Therapie („Basistherapie“) begonnen wird oder nicht, macht sich noch 3 Jahre später im Röntgenbild bemerkbar. Daraus ergeben sich tiefgreifende Konsequenzen für zukünftige Behandlungsstrategien.
Wichtig ist dabei, gerade bei Beginn der antirheumatischen Therapie nicht zu „kleckern“, sondern zu „klotzen“. Die Wahrscheinlichkeit für Remissionen steigt mit der „Aggressivität“ der initialen langwirksamen antirheumatischen Therapie (DMARD-Therapie) gleich zu Beginn der Behandlung (Verstappen et al, Abstr. 1544). Dies gilt auch für die Therapie mit Cortison, mit der gerade zu Anfang der rheumatoiden Arthritis und in der Phase bis zur Wirksamkeit der DMARD-Therapie („Basistherapie“) für einen kurzen Zeitraum eher zu großzügig als zu zurückhaltend umgegangen werden sollte. In einem Symposium zu dieser Frage wurden die entsprechenden “Pro´s und Con´s“, d.h. das Für und Wider, von namhaften Experten aus den USA und Europa sehr intensiv diskutiert (ACR Clinical Symposium: Use of Glucocorticoids in Rheumatoid Arthritis Pro and Con, Dienstag, 29. Oktober 2002). Dabei sprachen aus meiner persönlichen Sicht alle präsentierten Daten und die individuellen Meinungskundgebungen dafür, anfangs Cortison ohne Kompromisse in jedem Fall dann einzusetzen, wenn eine höhere Entzündungsaktivität vorliegt (z.B. bei DAS-Werten im „gelben“ oder „roten“ Bereich, vgl. dazu unser OMORA-Programm in rheuma-online, mit dem man den DAS online ermitteln kann). Besonders überzeugend waren dabei die nun präsentierten 5-Jahres-Daten der sogenannten COBRA-Studie aus Holland. Danach waren die positiven Auswirkungen einer frühzeitigen, effektiven Unterdrückung der entzündlichen Krankheitsaktivität im frühen Verlauf der rheumatoiden Arthritis noch 5 Jahre später im Röntgenbild sichtbar, d.h. so behandelte Patienten, die bei Krankheitsbeginn für einen relativ kurzen Zeitraum Cortison erhalten hatten, wiesen noch 5 Jahre später im Röntgenbild von Händen und Füßen weniger Erosionen (entzündlich bedingte Gelenkdefekte) auf als Patienten, die anfangs nicht mit dieser Intensität entzündungshemmend behandelt worden waren. Da die übrige Therapie keine Unterschiede aufwies, d.h. insbesondere in beiden Gruppen auch eine Therapie mit langwirksamen Antirheumatika (DMARD´s) durchgeführt worden war, belegt diese Studie aus meiner Sicht sehr nachdrücklich die Bedeutung einer konsequenten, sehr früh einsetzenden entzündungshemmenden Therapie, ggf. eben auch unter Einsatz von Cortison.
Sehr interessant waren in diesem Gesamtzusammenhang auch die Ergebnisse einer ersten Studie mit 20 Patienten, bei der der TNF-alpha-Blocker Infliximab (Remicade) bereits relativ früh im Krankheitsverlauf eingesetzt wurde (Patienten mit einer Krankheitsdauer von unter einem Jahr)(Quinn et al., Abstr. LB03). Alle Patienten hatten zuvor noch keine DMARD´s erhalten. Die Behandlung erfolgte für 52 Wochen entweder mit Infliximab plus Methotrexat (Mtx) oder mit Mtx alleine. Anschließend wurde die Infliximab-Therapie beendet und in beiden Studienarmen nur noch mit Mtx alleine behandelt. In den ersten 12 Wochen der Studie durfte kein Cortison gegeben werden. War man bislang davon ausgegangen, dass bei der TNF-alpha-Therapie mehr oder weniger die Regel gilt: „Einmal TNF-alpha-Blocker, immer TNF-alpha-Blocker“, bewies diese Studie das Gegenteil. Durch die Gabe von Infliximab konnte in der Kombination mit Methotrexat innerhalb von kürzester Zeit eine hochgradige Verringerung der Krankheitsaktivität erzielt werden, die in der Folge dann durch die weitere Gabe von Mtx alleine aufrecht erhalten werden konnte. Die dabei erzielten Response-Raten mit einer ACR-70-Response von 66% nach einem Jahr Therapie mit Infliximab waren phänomenal und kommen auf Werte, die meines Wissens mit anderen Therapieformen so noch nicht erzielt wurden. In der bisherigen Nachbeobachtungsphase von 35 Wochen kam es nach Beendigung der Infliximab-Therapie nicht zu einem Krankheitsschub. Sollten sich die Ergebnisse dieser Studie im weiteren Verlauf bestätigen und können sie in einer Studie mit einer größeren Patientenzahl bestätigt werden, deutet sich ein weiterer Paradigmenwechsel in der Rheumatologie an. Dieses völlige Umdenken in der antirheumatischen Behandlungsstrategie bedeutet die Ausrichtung der Therapie auf die möglichst schnelle Einleitung einer Remission mit dem nachfolgenden Ziel des Remissionserhalts und trennt sich vollkommen von traditionellen, eher zurückhaltend-abwartenden und passiv-reagierenden Behandlungsvorstellungen.
Die Zukunft hat in der Rheumatologie begonnen – wir können den Verlauf wichtiger rheumatischer Erkrankungen nachhaltig beeinflussen
Insgesamt verstärkt sich mit jedem der bedeutenden rheumatologischen Kongresse in den letzten zwei bis drei Jahren der Eindruck, dass nach den beinahe revolutionär zu nennenden Entwicklungen in der Pathogeneseforschung, d.h. bei der Aufklärung der Krankheitsabläufe bei vielen rheumatischen Erkrankungen, und der darauf fundierenden, gezielten Entwicklung neuer Medikamente jetzt auch die klinische Basis der Rheumatologie einen Quantensprung bei den therapeutischen Möglichkeiten erlebt. Wenn man die Situation von heute mit der Situation von vor vielleicht 10 Jahren vergleicht, kommen die heutigen therapeutischen Chancen bei vielen Patienten schon fast einem Wunder gleich. Dies heißt leider nicht, dass dies für alle Patienten gilt. So gibt es auch im Jahre 2002 Krankheitsverläufe, denen wir selbst mit den modernen „Wunderwaffen“ oft mehr oder weniger machtlos gegenüberstehen. Allerdings wird die Zahl dieser Patienten mit schweren und schwersten Krankheitsverläufen, und das war auch die sehr positive Botschaft von mehreren Beiträgen auf diesem Kongress, immer weniger. Die Untersuchungen insbesondere aus der Arbeitsgruppe von Ted Pincus in Nashville in Tennessee machen neben der erheblichen Verbesserung in der „Hardware“, d.h. neue Medikamente, auch die erhebliche Verbesserung in der „Software“, d.h. insbesondere der differenzierte Einsatz dieser Medikamente durch entsprechend qualifizierte Rheumatologen und die kontinuierliche fachrheumatologische Betreuung, für diese außerordentlich erfreuliche Entwicklung verantwortlich.
Vergleicht man eine Kohorte von RA-Patienten aus dem Zeitraum von 1984-1986 mit einer entsprechenden Kohorte aus dem Zeitraum von 1998-2001, zeigt sich eine deutlich bessere Krankheitskontrolle bezogen auf eine ganze Anzahl von Variablen wie Funktionskapazität, radiologische Daten, Gelenkstatus oder systemische Entzündungsaktivität, gemessen mit der BSG (Sokka und Pincus, Abstr. 573). 21.7% der Patienten in der 2. Kohorte, d.h. aus den Jahren 1998-2001, wurden mit den neueren langwirkenden Antirheumatika behandelt (Leflunomid (Arava), Etanercept (Enbrel), Infliximab (Remicade), entweder als Monotherapie oder in Kombinationstherapien).
Die Prognose eines Patienten hängt dabei stark von einer raschen Diagnosestellung ab. Diese durch immer mehr Studien belegte Erkenntnis wurde auch auf dem ACR-Kongress durch weitere Daten bestätigt. So zeigen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe von Ted Pincus, dass nur wenige Monate Verzögerung bei der Diagnosestellung bei einer Auswertung des Verlaufs 2 Jahre später zu einer erhöhten Erosivität führen gegenüber Patienten, bei denen die Diagnose eher gestellt und früher mit einer wirksamen Therapie begonnen wurde (Sokka et al., Abstr. 1411; die berichteten Daten wurden allerdings teilweise nur auf dem Poster präsentiert und finden sich nicht vollständig im Abstract wieder).
Durch eine effektive Kontrolle der Krankheitsaktivität lässt sich offensichtlich sogar das erhöhte Mortalitätsrisiko der rheumatoiden Arthritis senken. Die entsprechenden Daten für die Therapie mit TNF-alpha-Blockern wurden oben berichtet. Eine englische Studie konnte zeigen, dass dies auch für die traditionellen langwirksamen Antirheumatika gilt und sich die Lebenserwartung bei Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis unter einer konsequenten, langdauernden Mtx-Therapie um durchschnittlich 6.7 Jahre verbessern lässt (Hyrich, Abstr. 1543). Dabei sank in der Gruppe von Patienten unter der langdauernden Mtx-Therapie gegenüber solchen mit nur kurzer Behandlungsdauer sowohl das Risiko für kardiovaskuläre Todesursachen, d.h. insbesondere Herzinfarkte, als auch für infektionsbedingte Todesursachen. Gerade das letzte Ergebnis überrascht auf den ersten Blick etwas, da man ohne solche Daten vielleicht angenommen hätte, dass unter einer Methotrexat-Therapie das Risiko für gefährliche Infektionen vielleicht etwas erhöht sein könnte.
Ein Blick zurück nach Deutschland und in die bundesrepublikanische Versorgungsrealität eines grauen Novemberalltages im Jahre 2002: Hier hat man allerdings manchmal den Eindruck, dass die neuen Entwicklungen in der Rheumatologie in einem Tempo geschehen, bei dem nicht mehr alle mitkommen. Dies betrifft sogar die Spezialdisziplin Rheumatologie selber, die ja auch nicht aus einer homogenen Masse gleich qualifizierter und gleich engagierter Menschen besteht, die alle ausnahmslos mit derselben hohen Begabung ausgestattet sind, alle ohne Ausnahme mit demselben hohen Weiterbildungsniveau in ihre rheumatologische Tätigkeit gestartet sind und in der Folge ausnahmslos an der persönlichen fachlichen Weiterentwicklung und der Fortbildung interessiert sind, sondern bei denen es natürlich wie überall im Leben auch ganz gewaltige Motivations- und Qualitätsunterschiede gibt. Wer die Diskussionen der Patienten im Erfahrungsaustausch von rheuma-online aufmerksam verfolgt, insbesondere auch solche Beiträge zu als inkompetent wahrgenommenen Rheumatologen (http://rheuma-online.de/phorum/read.php?f=1&i=14675&t=14675#reply_14675), nimmt den möglichen oder vielleicht auch nur empfundenen Qualitätsverlust in der Rheumatologie mit wachsender Sorge wahr. Oder, was vielleicht der Wahrheit mehr entspricht: Die wahrscheinlich eklatanten Qualitätsunterschiede zwischen den Spitzenkönnern in ihrem Fach und den „Leistungsanbietern“ am Ende der Fahnenstange, die nun aber dummerweise auch unter derselben Flagge der Rheumatologie segeln.
Es wäre unkritisch der Fachdisziplin Rheumatologie gegenüber, gefährlich für die notwendige Markenprägung der Rheumatologie als hochqualifiziertes, hoch effizientes und hocheffektives Spezialgebiet innerhalb der medizinischen Versorgungsangebote für Patienten mit rheumatischen Erkrankungen und auch unredlich gegenüber den Patienten, wenn man diese Tatsache mit einem breiten Zuckerguß von interkollegialer Harmoniesauce zudecken würde.
Es ist deshalb für die Rheumatologie und die Rheumatologen von vitalem Interesse, dass wir auf unserem Weg in die Zukunft möglichst viele mitnehmen und die rheumatologische Versorgung in Deutschland eine ausreichende Homogenität in der Versorgungsqualität erreicht. Dies betrifft zum einen die Rheumatologie selber, ganz besonders aber auch die Formen von „rheumatologischer“ Versorgung, wie sie leider eben nicht durch spezialisierte Rheumatologen, sondern durch Hausärzte, Internisten und Orthopäden vorgenommen wird.
Es darf gerade angesichts der enormen Herausforderungen in der Zukunft nicht dazu kommen, dass die rheumatologische Versorgung in Deutschland noch weiter auseinanderdriftet in Settings von Ärzten und Patienten, in denen auf der einen Seite alle therapeutischen und komplementären Möglichkeiten der modernen Rheumatologie ausgeschöpft werden und enorme outcomes möglich sind und in solche Settings, die auf dem Stand des letzten Jahrhunderts (das allerdings erst einige Jahre zurückliegt) stehengeblieben sind und in den beispielsweise die rheumatoide Arthritis noch als eine Erkrankung gilt, die oft prognostisch gar nicht so ungünstig, teilweise auch im Verlauf grauenvoll, alles in allem aber therapeutisch ohnehin nicht wirklich beeinflussbar sei.
Im Sinne unserer Patienten sehen wir darin eine der wichtigsten Aufgaben und verstehen eine wichtige Mission von rheuma-online darin, hierzu einen Beitrag zu leisten.
Wir hoffen, dass der Blick in die Zukunft nicht durch zuviel Novembernebel getrübt wird und wünschen allen Patienten und Usern einen schönen November.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer (als Verantwortlicher für dieses Editorial) und das gesamte rheuma-online-Team