Editorial vom Februar 2007: Patient und Arzt in einer modernen Rheumatologie. Fragen zum Compliance-Begriff
Eine aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, daß die sogenannte Medikamenten-Compliance von Patienten mit rheumatoider Arthritis mit etwa 30% sehr niedrig ist und daß etwa 10% der RA-Patienten sich überhaupt nicht an die Anordnungen ihres Arztes halten. Dies hat den wissenschaftlichen Leiter von rheuma-online, Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer, dazu veranlaßt, einmal einige grundsätzliche Bemerkungen zum Begriff der Compliance zu machen und danach zu fragen, wie denn eigentlich heute in einer modernen Rheumatologie eine Patient-Arzt-Beziehung aussehen sollte. Wir eröffnen hiermit die Diskussion.
Die Frage ist, welches Konzept von einer Arzt-Patienten-Beziehung oder besser Patient-Arzt-Beziehung hinter dem Begriff der Compliance steht. Wenn man unter Compliance versteht, daß der Arzt etwas anordnet und der Patient dies unreflektiert 1:1 befolgt, mag dies zwar auf den ersten Blick sinnvoll sein. Für die moderne Rheumatologie ist ein solcher Weg aber wohl kaum geeignet.
Aus meiner Sicht sollten die Behandlungsziele und das dazugehörige therapeutische Vorgehen zwischen Arzt und Patient besprochen und dann gemeinsam verabredet werden. In der Folge wird dieses Konzept dann auch gemeinsam umgesetzt, wobei die jeweiligen Zuständigkeiten festgelegt werden müssen.
Der Arzt ist und bleibt, bei allen Bemühungen der Rheumatologie um eine engagierte Patientenschulung, eine intensive Aufklärung in der Praxis und die heutigen Möglichkeiten der Informationsgewinnung, nicht zuletzt auch bei rheuma-online, der Fachmann, der dafür zu sorgen hat, daß ein individueller Patient einen optimalen, auf ihn zugeschnittenen Behandlungsvorschlag bekommt. Im Verlauf ist der Arzt dann auch dafür zuständig, daß diese Therapie angemessen überwacht wird, damit sie zum einen erfolgreich und zum anderen auch mit einer hohen Sicherheit ohne eine Gefährung des Patienten erfolgt.
Der Patient ist aber derjenige, der außerhalb der Sprechstunde des Arztes wesentliche Teile der Therapie umzusetzen hat. Dazu gehört die Einnahme der Medikamente, bei vielen Antirheumatika heute auch die eigenständige Injektion von Substanzen, die gespritzt werden müssen, und das Selbstmonitoring hinsichtlich der Wirksamkeit, aber auch der Verträglichkeit der Therapie. Nicht zu vergessen die eigenständig durchgeführte Bewegungstherapie oder gelenkschützendes Verhalten bei den Belastungen des Alltagslebens.
Dazu gehört aber auch ein Stück Eigenverantwortlichkeit und eigene Entscheidung über die Medikamenteneinnahme. So handhabe ich es persönlich jedenfalls so, daß ich mit den Patienten bespreche, in welchem Rahmen sie cortisonfreie Entzündungshemmer (nicht-steroidale Antirheumatika, NSAR) wie beispielsweise Diclofenac, Ibuprofen etc. einnehmen können, überlasse ihnen aber die jeweilige Dosis an einem einzelnen Tag. Der Effekt ist, daß dieses Medikamente nur eingenommen werden, wenn sie auch wirklich benötigt werden, und nicht eine durchgehende, "compliante" Einnahme in immer gleicher Dosis jeden Tag aufs Neue erfolgt, obwohl vielleicht nur eine gelegentliche Einnahme oder die Einnahme einer sehr viel niedrigeren Dosierung notwendig wäre. Klassische Compliance-Modelle sehen eine solche Möglichkeit aber überhaupt nicht vor.
Anwendbar sind klassische Compliance-Vorstellungen am ehesten noch auf die Therapie mit langwirksamen Antirheumatika, im wesentlichen auch auf die Therapie mit Cortison.
rheuma-online-Userinnen und User wissen, daß eine langwirksame antirheumatische Therapie (früher so genannte "Basistherapie"), beispielsweise mit Methotrexat, nicht sofort wirkt, und daß die Wirkung auch anhält, wenn man diese Therapie unterbricht.
Ob eine solche Therapie in der Dosis erhöht oder vermindert werden kann oder ob sie sogar ganz beendet werden kann, kann der Patient mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht entscheiden. Dazu sind eine rheumatologische Untersuchung mit Gelenkstatus ebenso notwendig wie Blutuntersuchungen sowie ggf. weitere Untersuchungen, beispielsweise eine Röntgendiagnostik oder andere bildgebende Verfahren wie Kernspin-Tomographie oder Ultraschall.
Insofern kann man von "Non-Compliance" sprechen, wenn eine solche Therapie vom Patienten ohne Not und ohne Absprache mit dem Arzt verändert oder gar abgesetzt wird.
Ganz anders ist es, wenn ein kluger Patient von sich aus mit der MTX-Spritze oder HUMIRA-Spritze oder Enbrel-Spritze etc. pausiert, wenn sich bei ihm ein Infekt anbahnt und er in diesem Augenblick seinen Arzt nicht erreicht, weil beispielsweise gerade Wochenende ist. Formal läge Non-Compliance vor, in Wirklichkeit aber eine besonders intelligente Form von Compliance oder besser mitdenkender therapeutischer Mitarbeit.
Noch etwas anders, nichtsdestotrotz aber ähnlich gelagert ist es bei der Cortisontherapie. Auch hier gilt, daß ein Patient aus eigener Initiative und ohne Absprache mit dem Arzt die Dosis nicht verringern oder die Behandlung gar von sich aus ganz beenden sollte. Andererseits gibt es immer wieder die Situation, daß Patienten spüren, daß sie im Augenblick 5 mg Prednisolon, wie es der Rheumatologe empfohlen hat, nicht mehr brauchen und versuchsweise die Dosis von sich aus in ganz vorsichtigen Schritten von beispielsweise 0,5 mg wöchentlich oder alle 14 Tage reduzieren, ohne dazu ihren Arzt zu befragen. Ist das Non-Compliance, vor allem vor dem Hintergrund, daß Rheumatologen-Termine in Deutschland fast so dünn gesät sind wie Audienzen bei Papst Benedikt, oder ist dies auch Ausdruck einer höheren Form einer sinnvollen therapeutischen Mitarbeit?
Das gleiche gilt für den Fall, daß ein Patient eigenständig die Cortisondosis von beispielsweise 5 mg Prednisolon auf 10 mg verdoppelt, wenn er sich auf einer Abenteuerreise im brasilianischen Urwald befindet und merkt, daß er sich bei der gestrigen Exkursion doch etwas übernommen hat und sich ein Mini-Schub ankündigt. Non-Compliance? Beispiel für optimales Selbstmanagement und eine aktive, eigenverantwortliche Rolle in einem modernen Behandlungsansatz chronisch-rheumatischer Erkrankungen?
Ich lasse dieser Fragen einmal offen und stelle sie hiermit zur Diskussion. Wie sehen es unsere User? Was halten sie überhaupt vom Compliance-Begriff, der ja übersetzt so etwas wie "Folgsamkeit" beinhaltet, welche eigenen Vorstellungen setzen sie eventuell dagegen, und wie sollte ihrer Meinung nach ein modernes Arzt-Patient-Verhältnis oder Patient-Arzt-Verhältnis aussehen?
Ich würde mich freuen, wenn es dazu eine rege Diskussion gäbe und verbliebe in diesem Sinne
Ihr
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer
Referenz:
Factors affecting drug treatment compliance in patients with rheumatoid arthritis.
Tuncay R, Eksioglu E, Cakir B, Gurcay E, Cakci A.
Department of Physical Therapy and Rehabilitation, Ministry of Health, Ankara Diskapi Yildirim Beyazit Education and Research Hospital, 57.sok 3/7 06510 Emek, Ankara, Turkey, emeleksioglu(at)yahoo.com