Editorial vom Februar 2004
Goliath gegen David oder die Achse des Bösen im Angriff auf einen ehrenwerten Pharma-Giganten? Die Nachricht ist uns ein Editorial wert: Der spanische Wissenschaftler Professor Joan-Ramon Laporte gewinnt einen Prozeß, den der US-amerikanische Pharma-Gigant Merck Sharp & Dohme (MSD), einer der größten Pharmakonzerne der Welt, gegen ihn angestrengt hatte. Der Wissenschaftler hatte MSD vorgeworfen, in der VIGOR-Studie die cardiovaskulären Nebenwirkungen des COX-2 Hemmers Rofecoxib (Vioxx) herunter zu spielen. Nähere Einzelheiten dazu finden sich in den rheuma-news vom 12. Februar 2004.
Goliath gegen David oder die Achse des Bösen im Angriff auf einen ehrenwerten Pharma-Giganten?
Die Nachricht ist uns ein Editorial wert:
Der spanische Wissenschaftler Professor Joan-Ramon Laporte gewinnt einen Prozeß, den der US-amerikanische Pharma-Gigant Merck Sharp & Dohme (MSD), einer der größten Pharmakonzerne der Welt, gegen ihn angestrengt hatte. Der Wissenschaftler hatte MSD vorgeworfen, in der VIGOR-Studie die cardiovaskulären Nebenwirkungen des COX-2 Hemmers Rofecoxib (Vioxx) herunter zu spielen. Nähere Einzelheiten dazu finden sich in den rheuma-news vom 12. Februar 2004.
Die wissenschaftliche Welt hatte mit Spannung auf das Urteil in diesem Prozeß gewartet, der nun in Spanien mit dem Freispruch des Wissenschaftlers sein vorläufiges Happy-End nahm. Die Welt ist damit allerdings nicht wieder in Ordnung, denn der gesamte Vorgang wirft viele Fragen auf.
Warum stufen wir diesen Vorgang so hoch ein, daß wir ihn zum Thema eines Editorials in rheuma-online machen?
Wir tun dies aus zwei Gründen.
Zum einen wird es zunehmend mysteriöser, was es nun eigentlich mit der wissenschaftlichen Qualität der VIGOR-Studie, die bekanntlich in einem der höchstrangigen wissenschaftlichen Journals der Welt veröffentlicht wurde, wirklich auf sich hat.
Ursprünglich war ich persönlich der festen Überzeugung, auch nach intensivem Studium der mir zur Verfügung stehenden umfangreichen Unterlagen, daß die Angriffe auf die Vigor-Studie in der wissenschaftlichen Literatur völlig unberechtigt seien und Vioxx hinsichtlich eines Herz-Kreislauf-Risikos völlig unbedenklich sei.
Selbst für einen unbefangenen Außenstehenden, der sich nur auf die vorliegenden Veröffentlichungen in der wissenschaftlichen Literatur und in Fachzeitschriften stützen kann, wird es aber immer schwieriger zu verstehen, was es nun mit Vioxx und dem cardiovaskulären Risiko wirklich auf sich hat.
Der Vorgang selber gab natürlich Anlaß zu einer Vielzahl von Spekulationen. Steckte ein Mitbewerber dahinter? Oder war es die Lobby der Kostenträger, die die neuen, innovativen, aber auch um ein Vielfaches teureren Präparate aus der Gruppe der COX-2-Hemmer in Misskredit bringen wollte? Oder war das Design und die wissenschaftliche Auswertung der VIGOR-Studie doch nicht so blitzsauber, wie es MSD immer wieder und auch glaubhaft behauptete?
Oder hat die Achse des Bösen nun auch noch seinen Kampf auf ein Flaggschiff der US-amerikanischen Pharma-Industrie ausgedehnt? Oder ist es einfach nur der Sozialneid, der es nicht ertragen kann, daß Privatpatienten Vioxx schlucken und die gesetzlichen Krankenversicherungssysteme das Geld nicht dafür zur Verfügung stellen, um die Normalversicherten in denselben Genuß zu bringen. Und dann behauptet, es handele sich überhaupt nicht um einen therapeutischen Fortschritt, damit der Kassenarzt wenigstens kein schlechtes Gewissen haben muß, wenn er diese neuen Substanzen aus Budget-Gründen nicht auf das Kassenrezept schreibt.
Zumindest in Deutschland haben wir es nicht nur einmal erlebt, daß einige spezielle Professoren und andere Meinungsbildner, von denen man sagt, daß Ihnen eine gewisse Nähe zur Politik nicht abgesprochen werden kann, mit angeblich wissenschaftlichen oder fachlichen Stellungnahmen definitiv falsche Behauptungen zu den neuen COX-2-Hemmern in die Presse brachten, teilweise sogar in offizielle Publikationsorgane der Kassenärzteschaft.
Man wurde dabei nie den Eindruck los, daß es dabei nicht um die wissenschaftliche Wahrheit ging, sondern um Politik, speziell um Kostensenkungspolitik im Gesundheitswesen. Und fragte sich, ob es die erklärte Absicht dieser Informationen war, in der medizinischen und nicht-medizinischen Öffentlichkeit die real existierenden Quantensprünge in der medikamentösen Therapie rheumatischer Erkrankungen zu verschleiern, da die breite Verordnung dieser neuen Substanzen zugleich mit einem Quantensprung an Mehrkosten einhergegangen wäre.
Wir alle erinnern uns nur zu gut an die Veröffentlichung in einem Ärzteblatt, in dem es hieß, Rofecoxib (Vioxx) sei ein reines Schmerzmittel wie Paracetamol und kein Entzündungshemmer, oder andere, ähnlich lautende Veröffentlichungen, in denen gebetsmühlenartig behauptet wurde, die neuen Coxibe stellten keinen therapeutischen Fortschritt dar, seien dafür aber um ein Vielfaches teurer als die konventionellen Medikamente und die Verordnung verstoße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot etc.
Der wesentliche Grund für dieses Editorial ist aber ein anderer.
Als größte deutschsprachige rheumatologische Informationsplattform im Internet, für die eine herausragende fachliche Kompetenz und Wissenschaftlichkeit zu den elementaren Grundsätzen ihrer Philosophie gehört, erfüllt es uns mit großer Sorge, daß die Auseinandersetzung um die fachliche und wissenschaftliche Qualität von klinischer Forschung und von klinischen Studien die dafür geschaffene Diskussionsebene von wissenschaftlichen Zeitschriften und anderen wissenschaftlichen Foren verlässt und ein Pharmagigant mit dem ihm zur Verfügung stehenden fast grenzenlosen finanziellen Hintergrund, um nicht zu sagen aus der Sicherheit seiner ungeheuren ökonomischen Macht einen unabhängigen Wissenschaftler vor Gericht bringt und damit versucht, die Freiheit der Wissenschaft einzuschränken. Dies ist ein Vorgang, der in seiner Dimension viel ernster zu nehmen ist, als es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag.
Wir alle, Wissenschaftler, praktisch tätige Ärzte, Patienten dürfen es nicht zulassen, daß eine wissenschaftliche Auseinandersetzung aus dem geschützten Raum der wissenschaftlichen Freiheit in die Abhängigkeit von ökonomischen Interessen gerät und ein Wissenschaftler dem Druck einer gerichtlichen Auseinandersetzung ausgesetzt wird, wenn er es wagt, die Seriosität von Daten bzw. die Akkuratesse ihrer Auswertung und Interpretation in Frage zu stellen, die im Zusammenhang mit der klinischen Prüfung eines Arzneimittels erhoben wurden.
Es stellt sich die Frage, ob MSD gut beraten war, einen Wissenschaftler und ein wissenschaftliches Journal zu verklagen, anstatt die Auseinandersetzung mit ihm dort zu suchen, wo sie hingehört: In den wissenschaftlichen Diskurs.
In der ersten Instanz hat David den Angriff von Goliath abgewehrt. Die Freiheit der Wissenschaft hat einer mutigen spanischen Richterin viel zu verdanken.
Die wissenschaftliche Welt beobachtet nun mit Spannung, wie es weitergehen wird. Wir hoffen, daß bei allen Beteiligten ein Denkprozeß einsetzt.
Heute ist der 200. Todestag von Immanuel Kant. Vielleicht sollte man dies zum Anlaß nehmen, auch in einer zunehmend ökonomisch und von ökonomischen Werten geprägten Welt einmal wieder grundsätzlich darüber nachzudenken, was uns der Königsberger Professor hinterlassen hat.
Vielleicht sind wir hier in „old Europe“ in dieser Hinsicht ja auch zu konservativ. Und überschreiten möglicherweise auch unsere Grenzen, wenn wir uns trauen, ab und zu einmal auf den Busch zu klopfen.
Ich persönlich glaube aber an diese Werte, die sich bei uns in unserer lang gewachsenen europäischen Tradition mit dem Begriff der Freiheit der Wissenschaft verbinden und die sich bei uns nicht erst seit ein paar Tagen bewährt haben.
Und ich hoffe, daß wir unter Wert auch weiterhin den wissenschaftlichen Wert und den ethischen Wert und nicht den Wert für den Aktienkurs eines Unternehmens verstehen, wenn wir uns über den Wert einer klinischen Studie unterhalten. Dies setzt allerdings voraus, daß auch die Wissenschaftler unter Wissenschaft Wissenschaft verstehen und Wissenschaft praktizieren, wenn sie von Wissenschaft reden und sich darauf berufen. Wenn Wissenschaft diesen Grundsatz aus den Augen verliert, verspielt sie die hohe Reputation, die sich heute noch mit ihr verbindet.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer