Editorial vom Februar 2003
Erster rheuma-online-User-Workshop in Düsseldorf: Die Zeit ist reif für die neue Rheumatologie. Die Vorbereitung des ersten rheuma-online-User-Workshops in Düsseldorf am 8. Februar 2003 hat viel Kapazitäten gebunden. Nun ist der Workshop vorüber, und wir freuen uns über die große Resonanz und das überwältigende Feedback, das wir dort erfahren haben. Eines ist auf dem Workshop deutlich geworden: Kaum in einem Gebiet der modernen Medizin klaffen in Deutschland die Unterschiede zwischen den neuen, wissenschaftlich entwickelten Behandlungsmöglichkeiten und den tatsächlich in der täglichen medizinischen Versorgung angewandten Methoden so weit auseinander wie bei der Behandlung von Rheumapatienten. Dies liegt nicht zuletzt auch an völlig unzureichenden rheumatologischen Kenntnissen bei nicht-rheumatologisch spezialisierten Ärzten und an z.T. eklatanten Mißverständnissen und teilweise regelrecht falschen Vorstellungen über rheumatische Erkrankungen und ihre Therapie.
Erster rheuma-online-User-Workshop in Düsseldorf:
Die Zeit ist reif für die neue Rheumatologie
Die Vorbereitung des ersten rheuma-online-User-Workshops in Düsseldorf am 8. Februar 2003 hat viel Kapazitäten gebunden. Nun ist der Workshop vorüber, und wir freuen uns über die große Resonanz und das überwältigende Feedback, das wir dort erfahren haben.
Wir haben gerade die ersten Bilder vom Workshop in der Hand gehabt, und es macht uns glücklich, dass wir nur strahlende und fröhliche Gesichter sehen. Dabei zeigen die Bilder, wenn man genau hinschaut, zum Teil schwerkranke und schwer durch ihre Erkrankung kompromittierte Menschen. Und viele der Anwesenden sind sehr jung. Was zu einem zentralen Themen hinführt, das sich innerhalb des Workshops herauskristallisierte: Nämlich die völlig falsche Wahrnehmung von „Rheuma“ in der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit und leider sogar selbst in weiten Teilen der Medizin. Von Politik, Gesundheitspolitik und Kostenträgern ganz zu schweigen.
Es ist vielleicht eine ganz kleine Bemerkung von Günther Jauch, einem von mir auch in intellektueller Hinsicht hochgeschätzten Moderator, in seiner von mir ebenfalls hochgeschätzten Sendung „Wer wird Millionär“, die die Problematik kaum klarer illustrieren könnte. Da ging es nämlich in irgendeinem Zusammenhang darum, dass ein Kandidat glücklicherweise in seinem Alter noch nicht unter Rheuma leiden könnte. Da er nämlich irgendwo so um die 35 oder 40 oder 45 Jahre jung war und Rheuma, so kam es für mich jedenfalls bei dieser Bemerkung von Günther Jauch durch, ja eine Krankheit von alten Leuten ist.
Und das ist es eben nicht. Die rheumatoide Arthritis / chronische Polyarthritis hat ihren durchschnittlichen Gipfel bei der Erstmanifestation bei etwa 41 bis 42 Jahren, und viele Patienten erkranken früher. Ein Krankheitsbeginn im Alter von 18 oder 20 oder 25 Jahren ist keine Seltenheit, und es ist unter den rheuma-online-Usern gängiges Allgemeinwissen, dass selbst Kleinkinder und Jugendliche an schweren rheumatischen Erkrankungen erkranken können.
Eine rheumatoide Arthritis oder ein M. Bechterew oder eine Arthritis bei Schuppenflechte oder eine Kollagenose oder ein systemischer Lupus erythematodes haben mit Verschleiß und Alter genauso viel gemeinsam wie Altbier und Kölsch, um eines der beliebtesten Themen des nun allmählich seiner hohen Zeit zustrebenden Karnevals aufzugreifen. Wobei es bei diesen Bieren sogar noch Gemeinsamkeiten gibt, denn sie werden beide obergärig gebraut.
Also besser: Eine chronische Polyarthritis hat mit Alter und Verschleiß genauso viel gemeinsam wie ein brutaler Killer mit einem Gelegenheitsdieb.
Das ist eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft, an der wir alle gemeinsam arbeiten müssen:
Die Augen der Welt dafür zu öffnen, dass es „Rheuma“ sein kann, und, dass es sogar gerade deshalb ein besonders schweres „Rheuma“ sein kann und sein wird, eben weil es junge Menschen in der Blüte ihres Lebens betrifft und weil es sich beispielsweise eben nicht um eine verschleißbedingte Arthrose, sondern um eine entzündungsbedingte, immunologisch vermittelte Arthritis handelt oder um eine ebenso entzündlich, immunologisch verursachte Spondylitis und nicht um eine im Alter bei vielen bestehende, vergleichsweise harmlose Spondylose so nach dem Motto: „Ein bisschen Rheuma hat unser Opa auch“.
Da viele der eklatanten Versorgungsdefizite, die auf dem User-Workshop natürlich auch wieder einmal deutlich geworden sind, nicht zuletzt genau auch mit diesem Missverständnis zu tun haben: Das „bisschen Rheuma“ „behandeln“ kann natürlich in seiner durch Weisheit ungetrübten Selbstwahrnehmung selbst ein drittklassiger Arzt aus der Kategorie: „Was Spezialisten können, kann ich schon lange. Diclofenac kann ich Ihnen auch verordnen“.
Leider verbirgt sich hinter solchen Sprüchen, die nicht erfunden sind, sondern aus der daily soap der deutschen Gesundheitslandschaft kommen, auch das zweite fundamentale Problem, das die Rheumatologie und die Versorgung von Rheumapatienten in unserem Land gegenwärtig kennzeichnet:
Es herrscht nämlich gemeinhin nicht nur die Vorstellung, dass „Rheuma“ eine vergleichsweise harmlose Erkrankung ist, sondern auch das noch viel fatalere Missverständnis, dass „Rheuma“ quasi eine Art Schicksal sei, gegen das man wegen fehlender Kenntnisse der Ursachen und wegen fehlender Medikamente ohnehin nichts machen könnte.
Auch diese Vorstellung ist allerspätestens mit dem Anbruch des neuen Jahrtausends falsch. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war sie sogar schon in den letzten 10 bis knapp 15 Jahren falsch; dies sei aber der allgemeinen Medizin verziehen, weil wir hier über die Spitze des Fortschritts und nicht über die fundamentale Mittelmäßigkeit an der Breite der Basis reden.
Fakt ist: Ein großer Teil der schwer verlaufenden und prognostisch ungünstigen rheumatischen Erkrankungen ist heute mit modernen Therapien mindestens beeinflussbar. Im günstigsten Fall kann mit den neuen biologischen Medikamenten, aber auch vielfach schon unter intelligenter Ausschöpfung der konventionellen therapeutischen Möglichkeiten die Erkrankung weitgehend kontrolliert werden.
Fatalismus ist deshalb nicht angesagt, im Gegenteil: Die therapeutischen Chancen selbst für schwerkranke Rheumatiker sind heute im Vergleich zur Situation vor vielleicht noch 10 Jahren oder 15 Jahren enorm.
Allerdings müssen die modernen Therapien auch zum Einsatz kommen. Leider ist dies aber bei einer großen Zahl von Patienten nicht der Fall.
Die Umsetzung der modernen Behandlungsmöglichkeiten und die Anwendung der fast revolutionären neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in der täglichen rheumatologischen Praxis bei der Behandlung der anvertrauten Patienten ist die zweite große Herausforderung innerhalb der Rheumatologie, die nicht nur über das Schicksal der Rheumapatienten, sondern sogar über das Schicksal der Rheumatologie als Disziplin selber entscheiden wird.
rheuma-online versteht sich bei dieser Aufgabe als Speerspitze, braucht aber die Hilfe von ganz vielen, denn sonst werden wir alle gemeinsam dieses Ziel nicht erreichen können.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer