Editorial vom Dezember 2003
Von Care zu Cure – Heilung statt Versorgung. Die Rheumatologie auf dem Weg zu einer neuen Definition ihrer therapeutischen Ziele. Noch nie fiel auf einem wissenschaftlichen Kongreß in der Rheumatologie das Wort „cure“ so oft wie in diesem Jahr auf dem diesjährigen ACR-Kongreß in Orlando. Dies wäre vielleicht nicht besonders erwähnenswert, wenn es sich bei dieser Veranstaltung mit mehr als 10.000 Teilnehmern aus der ganzen Welt nicht um den bedeutendsten internationalen Kongreß der Rheumatologen handeln würde.
Von Care zu Cure – Heilung statt Versorgung. Die Rheumatologie auf dem Weg zu einer neuen Definition ihrer therapeutischen Ziele.
Noch nie fiel auf einem wissenschaftlichen Kongreß in der Rheumatologie das Wort „cure“ so oft wie in diesem Jahr auf dem diesjährigen ACR-Kongreß in Orlando. Dies wäre vielleicht nicht besonders erwähnenswert, wenn es sich bei dieser Veranstaltung mit mehr als 10.000 Teilnehmern aus der ganzen Welt nicht um den bedeutendsten internationalen Kongreß der Rheumatologen handeln würde.
Cure: Heilung bei rheumatischen Krankheiten – vor 10 oder 15 Jahren wäre dieser Gedanke völlig undenkbar gewesen. In dieser Zeit ging es ganz vorrangig darum, die Betroffenen mit chronischen, chronisch fortschreitenden und zunehmend das Leben einschränkenden rheumatischen Erkrankungen bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen und ihnen zu helfen, mit und trotz der chronischen Erkrankung ein möglichst normales Leben zu führen.
Modelle einer wohnortnahen, kontinuierlichen und komprehensiven Versorgung („comprehensive care“) waren die therapeutischen Entwürfe, die eine ganze Periode der Rheumatologie und das Denken einer ganzen Generation von Rheumatologen entscheidend geprägt haben.
Unzweifelhaft haben solche Konzepte und Modellprojekte in ganz wesentlicher Weise dazu beigetragen, die Situation von schwer Rheumakranken erheblich zu verbessern. Ebenfalls unzweifelhaft sind derzeit die Versorgungsbedingungen von Patienten mit schwerverlaufenden rheumatischen Erkrankungen vielfach und vielerorts weit von dem entfernt, was man als optimal bezeichnen könnte. Es wird deshalb auch zukünftig darum gehen, die Situation dieser Patienten durch weitere intensive Anstrengungen um eine Optimierung der Versorgungssituation zu verbessern.
Mit Beginn des neuen Jahrtausends stehen wir in der Rheumatologie nun allerdings auch mit unseren diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten und mit der Definition unserer therapeutischen Ziele an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter. Fast unbemerkt in der Öffentlichkeit und leider auch noch fast unbemerkt bei vielen Ärzten, manchmal hat man den Eindruck, fast unbemerkt selbst bei einem Teil der Rheumatologen, hat sich in der Rheumatologie eine therapeutische Revolution vollzogen, die es uns erstmals zulässt, das Wort „Heilung“ im Zusammenhang mit chronischen rheumatischen Erkrankungen zu denken, ohne daß dies nach einer unerlaubten Grenzüberschreitung im wissenschaftlichen Diskurs und bei der therapeutischen Zieldefinition im rheumatologischen Behandlungsalltag klingt.
Um nicht missverstanden zu werden: Auch die besten Rheumatologen, die heute an der Spitze der wissenschaftlichen Erkenntnisse stehen und ihre Patienten mit den modernsten therapeutischen Methoden behandeln, können gegenwärtig keinem Patienten eine Heilung, beispielsweise bei einer rheumatoiden Arthritis, versprechen.
Vollkommen neu und ein völliger Wechsel im rheumatologischen Denken und Handeln ist aber die Botschaft, die sich nun von Kongreß zu Kongreß und mit wachsender Erfahrung im Einsatz der neuen Behandlungsmethoden verbreitet: Mit den neuen Medikamenten und den neuen Behandlungskonzepten in der Rheumatologie gelingt es immer häufiger, im günstigsten Fall eine komplette Krankheitskontrolle zu erzielen, d.h. einen völligen Stillstand der Erkrankung.
Dies bedeutet gleichzeitig, daß man bereits heute unter optimalen Versorgungsbedingungen, bei einer frühzeitigen Therapie, möglichst frühzeitiger rheumatologischer Behandlung durch einen qualifizierten internistischen Rheumatologen und eine kontinuierliche internistisch-rheumatologische Weiterbehandlung bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Patienten verhindern kann, daß die Erkrankung fortschreitet und zu all den Folgen führt, die in der Vergangenheit Ursache und Anlaß für die Entwicklung von komprehensiven Versorgungskonzepten waren.
Mit der neuen therapeutischen Zieldefinition in der Rheumatologie hat sich indes die Diskussion um rheumatologische Versorgungsqualität nicht erledigt, sie hat vielmehr eine ganz neue und noch stärkere Bedeutung bekommen, allerdings in einer ganz anderen Ausrichtung.
Immer deutlicher wird nämlich, daß die Prognose eines Patienten mit einer schweren rheumatischen Erkrankung ganz zuvorderst davon abhängig ist, daß er das System der qualifizierten rheumatologischen Versorgung zum einen überhaupt, zum zweiten möglichst schnell und zum dritten auf einer angemessenen Versorgungsstufe, d.h. bei entsprechend qualifizierten Ärzten erreicht, die auch in der Lage und willens sind, die neuen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten anzuwenden und einzusetzen.
Zugleich wird immer deutlicher, daß wir vor einer völlig neuen Diskussion in der rheumatologischen Versorgung stehen, nämlich der sogenannten allokationsethischen Fragestellung, welcher Patient von den neuen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten profitieren soll und darf und welcher nicht, anders ausgedrückt: Für welche Krankheiten und Patienten es von der Gesellschaft und der Politik zukünftig ausreichende Mittel für die Therapie gibt und für welche nicht, Krebs, Herztransplantation, Nierentransplantation, Knochenmarkstranspantation, AIDS, Hepatitis C oder beispielsweise rheumatoide Arthritis, Psoriasis-Arthritis, Lupus, Vaskulitis oder M. Bechterew.
Mit dem Aufstieg in die Liga der therapeutisch erfolgreichen Disziplinen in der Medizin steht die Rheumatologie plötzlich in der Position, daß es bei der Therapie ihrer Patienten nicht wie im ausgehenden 19. Jahrhundert mit der Verordnung von ein paar Päckchen Fango oder auch noch wie zu Ende des 20. Jahrhunderts mit der Gabe von Medikamenten aus dem Niedrigpreissegment getan ist, sondern daß eine erfolgreiche Therapie schwerverlaufender rheumatischer Erkrankungen auch in finanzieller Hinsicht die Therapieklasse der Krebs-Spezialisten, der AIDS-Experten oder der Transplantationsmediziner erreicht.
Dieses Editorial vom Dezember 2003 paßt zum Advent: In der Rheumatologie zieht eine neue Zeit heran. Wir alle wollen hoffen, daß im harten Verteilungskampf um Budgets und die beschränkten Ressourcen im Gesundheitswesen gerade schwerkranke Rheumapatienten und ihre behandelnden Rheumatologen nicht vergessen werden. Auch wenn Weihnachten ein Fest des Friedens ist: Darum werden wir alle gemeinsam kämpfen müssen, natürlich mit friedlichen Mitteln und der Macht des Wortes und der guten Argumente, nicht zuletzt auch mit einer gewaltigen Unterstützung durch die normative Kraft von überzeugenden therapeutischen Erfolgen.
In diesem Sinne wünschen wir allen unseren Usern eine schöne, hoffnungsvolle und gesegnete Adventszeit und viel Vorfreude auf das herannahende Weihnachtsfest.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer und das gesamte rheuma-online-Team