DGRh-Jahrestagung 2008 in Berlin – Der Kommentar
Als wir vor einem Jahr auf dem DGRh-Kongreß in Hamburg die Teilnehmer nach ihren Eindrücken gefragt haben, kamen viele spontane Antworten. Dieses Jahr folgte auf die gleiche Frage bei vielen zunächst ein nachdenkliches Schweigen. An der Berliner Luft sollte es nicht gelegen haben, auch nicht am Wetter. Vielleicht, weil sich die Rheumatologie in Deutschland derzeit in einem tiefgreifenden Umbruch befindet und dies unterschwellig auch die Wahrnehmung der diesjährigen Jahrestagung beeinflusst hat.
„Die deutsche Rheumaforschung spielt weltweit vorne mit“, dieses Statement von Professor Dr. rer. nat. Andreas Radbruch, diesjähriger Kongresspräsident und wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums in Berlin, hören wir gerne. Was vom 24. bis 27. September 2008 auf dem 36. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie in Berlin aber auch deutlich wurde: Der geradezu revolutionäre wissenschaftliche Fortschritt in der Rheumatologie ist in Deutschland noch nicht überall bei den Rheumapatientinnen und –patienten angekommen. Im Gegenteil, der Eindruck verstärkt sich, daß die Kluft zwischen exzellent versorgten Patienten auf der einen Seite und nur unzureichend versorgten Patienten auf der anderen Seite immer größer wird.
Die Ursachen sind vielfältig. Zum einen hat die Wissenschaft erst spät verstanden, daß es nicht nur darum geht, im Labor eine exzellente Arbeit zu machen und diese dann mit anderen hochkarätigen Experten auszutauschen und zu diskutieren, sondern daß die Ergebnisse auch in die rheumatologische Alltagspraxis hineingetragen werden müssen.
Der Eindruck aus Berlin: Die deutsche Gesellschaft für Rheumatologie hat diese nicht einfache Transferleistung als Aufgabe verstanden und ist auf einem guten Weg, mit entsprechenden Konzepten dieser Herausforderung zu begegnen.
Ein anderer Grund, der in Berlin vor allem in den Sitzungen zur rheumatologischen Versorgung deutlich wurde: Es gibt in Deutschland zu wenig Rheumatologen. Dies sagt nicht nur das aktuelle Memorandum der DGRh, dies belegen auch Zahlen aus internationalen Vergleichsstudien, die auf dem Berliner Kongreß vorgestellt und diskutiert wurden.
Es ist gut, daß das drängende Problem der rheumatologischen Unterversorgung in Deutschland nun von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie aktiv kommuniziert wird, gut auch, daß dies gemeinsam mit Patientenorganisationen, insbesondere auch der Deutschen Rheuma-Liga geschieht.
Ein Problem, das es zu lösen gilt: Die wissenschaftliche Fachgesellschaft, die an ihrer Spitze naturgemäß sehr stark durch Wissenschaft und Forschung, daneben zu einem Teil noch durch einige Kliniker repräsentiert wird, erscheint manchmal in einer anderen Welt, wenn es um die alltäglichen Sorgen und Nöte geht, die Rheumatologinnen und Rheumatologen vor Ort das Leben teilweise so schwer machen, daß die Frage der nackten wirtschaftlichen Existenz der Praxis alle Diskussionen über Versorgungsqualität, leitliniengerechte Therapien oder Frühdiagnostik innerhalb der ersten 14 Tage nach Erstsymptomen zu einer Farce werden läßt.
Ein weiteres, dringliches Problem: Die aktuellen Umwälzungen in der Gesundheitspolitik werden die Rheumatologie für die Zukunft in mindestens dem gleichen Ausmaß verändern wie die Entwicklungen in Forschung und Technologie. Als Stichworte, hinter denen sich mehr Sprengstoff verbirgt, als die meisten von uns auch nur in Ansätzen ahnen, seien genannt: Gesundheitsfond, Morbi-RSA (Morbiditäts-Risiko-Struktur-Ausgleich), §116 SGB V (ambulante Behandlung durch Krankenhausärzte außerhalb des traditionellen KV-Systems durch niedergelassene Kassenärzte).
Das Spagat für die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie, das sich dahinter verbirgt, sollte allerdings nicht ausgeblendet werden: Wie weit, so der entscheidende Punkt, ist eine wissenschaftliche Fachgesellschaft überhaupt für diesen Bereich zuständig, und an welcher Stelle beginnt Berufspolitik?
Eines dürfte unstrittig sein: Wo es um die Attraktivität unseres einzigartigen Faches geht, ist unsere wissenschaftliche Fachgesellschaft nicht nur zuständig, sondern auch gefordert, und dies nicht nur halbherzig, sondern mit voller Kraft, Leidenschaft und Seele.
Ein letzter Aspekt, der mich nach dem Berliner Kongreß beschäftigt: Wo liegt gegenwärtig und zukünftig die Bedeutung der jährlichen Jahrestagung der DGRh? Wo positioniert sie sich im Augenblick und wo vor allem auch in den nächsten Jahren im Umfeld des europäischen Rheumatologenkongresses EULAR und des amerikanischen Rheumatologenkongresses ACR, daneben aber auch des deutschen Berufsverbands-Kongresses? Wo ist das Alleinstellungsmerkmal? Was ist der Grund, warum ich diesen Kongreß zwingend besuchen muß? Was verpasse ich, wenn ich nicht daran teilnehme?
Fragen, die wir beantworten müssen, damit einem großen und bedeutenden DGRh-Kongreß in Berlin auch in den nächsten Jahren große und bedeutende DGRh-Kongresse folgen werden.
Priv. Doz. Dr. med. H.E. Langer