Das Fibromyalgie-Syndrom. Teil 3: Therapie
Vor einigen Jahren galt das Fibromyalgie-Syndrom als mehr oder weniger unbehandelbar. Heute ist dieser therapeutische Fatalismus einem gewissem Optimismus gewichen. Erfolgversprechend sind insbesondere mulitmodale Behandlungskonzepte, die das Krankheitsbild in einem ganzheitlichen Therapieansatz angehen.
Therapie des FMS
Während man noch vor 10 Jahren den Patientinnen mit FMS wenig Hoffnungen machen konnte und wenig therapeutische Möglichkeiten hatte, die Beschwerden nachhaltig zu lindern, so gibt es heute doch einige recht gute Behandlungsansätze.
Kennzeichnend ist das Zusammenwirken mehrerer therapeutischer Berufsgruppen. Gut kombinierte Behandlungsprogramme aus so genannten aktiven, passiven und Beratungs-Einheiten werden sich positiv auswirken auf das Schmerzerleben, das allgemeine Befinden und den Krankheitsverlauf.
Die Behandlung basiert auf folgenden Prinzipien:
1.) Information/Patientenschulung/Krankheits- und Schmerzbewältigung
2.) Bewegung/Sport/Ausdauertraining
3.) Schmerzlinderung/Entspannung.
Information / Patientenschulung / Krankheits- und Schmerzbewältigung
Grundlage eines jeden adäquaten Umganges mit der Erkrankung ist die Information, die am besten über das bewährte Instrument der Patientenschulung erfolgen sollte.
Das Patientenschulungsprogramm für Fibromyalgie wurde wie die anderen Schulungsprogramme der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie von erfahrenen Spezialisten aus allen mit der Behandlung des FMS betrauten Berufsgruppen entwickelt und kann in vielen Rehabilitations- und Rheumakliniken sowie auch über die Deutsche Rheumaliga ambulant in Intensivkursen in Anspruch genommen werden.
Bei der Patientenschulung wird unter fachlich erfahrener Anleitung von Psychologen /Ärzten / Physiotherapeuten das FMS in 6x1,5 Zeitstunden (=Modulen) von verschiedenen Blickwinkeln aus beleuchtet.
In geschlossenen Kleingruppen werden Schritt für Schritt die wichtigen Punkte im interaktiven Lernstil und nach Art von Arbeitsgesprächen beleuchtet. Es werden sowohl konkrete Informationen vermittelt als auch Hilfestellungen zur Selbsthilfe erarbeitet. Die Kontaktaufnahme zur Selbsthilfegruppe mit ihren Unterstützungs-Möglichkeiten wird empfohlen.
Ein vorstrukturierter Lernzielkatalog ist die Grundlage, aber die aktuellen Gegebenheiten in der Gruppe entscheiden über den Aufbau der einzelnen Lernschritte. Jeder einzelne bringt sich ein in die Gespräche. Es entsteht eine Arbeitsatmpsphäre mit Erlebnis-Charakter.
In der Patientenschulung wird auf die Möglichkeit eines zu erlernenden Schmerzbewältigungstrainings hingewiesen, welches unter psychologischer Anleitung z.B. Strategien zur Ablenkung und zur Verarbeitung von Schmerzen aufzeigt.
Tiefergehende vor allem verhaltenstherapeutisch ansetzende Arbeit an der Krankheits- und Lebens-Bewältigung muss über die psychologische Einzel- oder Gruppentherapie erfolgen. Dem Aufdecken von Überlastungen, Perfektionismus, ständiger freiwilliger Selbstüberforderung, vom Typ Helfer-Syndrom, aber auch von Mobbing, Stress-Spiralen etc. folgt die schrittweise Erarbeitung von Lösungsmodellen.
Auch ein sogenanntes Genusstraining als Gegenstrategie hat hier seinen Platz.
Ergotherapeutisch kann über kreative Angebote das Genusstraining vertieft werden, das Selbstwertgefühl gestärkt werden und die Körperwahrnehmung geschult werden – neben den klassischen Aufgaben der Ergotherapie (Vermittlung von Verhaltensweisen, die eine Fehlbelastung der Wirbelsäule und der Gelenke/Muskeln vermeiden).
Die Ernährungsberatung mit dem Versuch des Aufdeckens von individuellen Nahrungsmittelunverträglichkeiten kann bis zum gemeinsamen Erlebnis in der Lehrküche weiter geführt werden. Hier kann man trainieren, zugleich genussvoll und gesund zu kochen und zu essen.
Für die Ernährungsberatung existieren im übrigens keine eisernen Regeln, da es keine bewiesenen Zusammenhänge zwischen Ernährung und Ausbruch der Erkrankung gibt. Eine eher basenreiche Kost, die arm ist an tierischen Fetten, wird öfters als beschwerdelindernd empfunden. Teilweise wird auch eine histaminarme Kost empfohlen, insbesondere wenn ein Schwellungsgefühl beschrieben wird.
Bewegung/Sport/Ausdauertraining
Dass Bewegung nicht nur Schmerzen auslöst, sondern auch Freude macht, muss mit gezielten sanften und am besten ganzheitlich orientierten Bewegungsübungen (wieder-) erlernt werden. Es eignen sich hier Qigong und Taiji, aber auch Eutonie, die Feldenkrais-Methode sowie verschiedene Formen der kombinierten Atem- und Bewegungstherapie (z.B. auch Zilgrei-Therapie).
Es muss aber nicht unbedingt eine bestimmte physiotherapeutische Richtung sein, die verfolgt wird: Wichtig ist, dass sanfte Bewegungen mit Dehnungen und Lockerungen gemacht werden. Gerade im warmen Wasser wird lockernde und leicht kräftigende Bewegungstherapie als besonders angenehm empfunden.
Bestimmte Sportarten – wie Nordic Walking, Schwimmen, Wandern und Skilanglauf sind sehr günstig, da sie sowohl die richtige Dehnung und Entlastung als auch eine bessere Muskelbalance vorbereiten und die Ausdauer und allgemeine Kondition verbessern.
Naturnahe Bewegung im Freien ist zu bevorzugen und lässt sich auch mit dem erwähnten Genusstraining koppeln.
Einseitige Sportarten, die nur bestimmte Muskelgruppen trainieren, oder auch ein unausgewogenes einseitiges Muskelaufbautraining sind weniger zu befürworten.
Eine gezielte und vorsichtig aufgebaute medizinische Trainingstherapie mit Stärkung der Bauch- und Wirbelsäulen-Muskulatur ist sicher sinnvoll.
Wichtig ist, dass die sportlichen Trainingseinheiten kürzer gehalten werden müssen und die Erholungszeiten entsprechend länger als man es in der Behandlung viele anderer Erkrankungen des Bewegungsapparates gewohnt ist.
Im Zweifelsfalle gilt: Jede Bewegung ist besser als keine Bewegung.
Schmerzlinderung/Entspannung
Hier haben zum einen verschiedene Medikamentengruppen, zum anderen die physikalische Therapie und zum Dritten bestimmte Entspannungsmethoden ihren Platz.
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Therapie teilt sich auf in die
a.) direkt analgetische, also schmerzlindernde Medikation,
b.) die Behandlung mit Antidepressiva und mit Medikamenten, welche den Serotoninspiegel beeinflussen (SSRI’s und 5-HT3-Rezeptorenblocker und inzwischen auch die SARI’s).
Reine Schmerzmedikamente
Die rein schmerzlindernden Medikamente sind meist wenig erfolgreich.
Von Paracetamol bis Tramadol kann aber dennoch ein Versuch der Behandlung gemacht werden. Morphinpräparate sind keine Dauerlösung, können aber in Einzelfällen und in besonders extremen Krankheitsphasen eine Teil-Linderung (niemals mehr als das) erbringen.
Cortisonfreie Entzündungshemmer
NSAR (cortisonfreie Rheumaschmerzmittel mit entzündungshemmender Wirkung) haben prinzipiell keinen hohen Stellenwert beim FMS, können aber vor allem beim sekundären FMS durchaus versucht werden.
Antidepressiva
Antidepressiva sind die Medikamente der ersten Wahl beim FMS. Dennoch helfen sie nicht bei allen Patientinnen.
Die Dosis muss nicht so hoch sein wie bei einer Depressionsbehandlung: niedrig dosiert und am Abend gegeben fördern einige Antidepressiva im idealen Fall zusätzlich die Schlaf-Qualität, erst nach einigen Wochen der Einnahme zeigt sich dann ggf. die indirekt schmerzlindernde Wirkung.
Besonders die so genannten trizyklischen Antidepressiva haben hier ihren Platz:
Amitriptylin, Trimipramin, Desipramin, Imipramin, Maprotilin…
Eine besondere Untergruppe von Antidepressiva, welche direkt in den Serotoninspiegel eingreifen, haben – morgens eingenommen – einen stimmungsaufhellenden und langfristig schmerzlindernden Effekt: Die SSRIs (Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer).
Sie verhindern, dass im Gehirn das frei zirkulierende Serotonin wieder von den Zellen aufgenommen wird. Hier sind zu nennen: Citalopram. Escitalopram, Fluoxetin, Sertralin…
Der 5HT3-Rezeptoren-Blocker Tropisetron ist als direkter Serotonin-Gegenspieler in der Peripherie zu sehen. Er verhindert eine Aufnahme von Serotonin und (vor allem) auch die dabei gleichzeitig stattfindende Aktivierung der Substanz P. Dadurch wird die Schmerzweiterleitung behindert. Tropisetron wird nur über kurze Zeit (intravenös oder als Tablette) gegeben, im Gegensatz zu den Antidepressiva, die eine Langzeittherapie darstellen.
Außerdem sind inzwischen auch Medikamente erhältlich, die sowohl die 5HT2-Rezeptoren blockieren als auch die Wiederaufnahme von Serotonin hemmen (die SARIs, Beispiel: Trazodonhydrochlorid).
Insgesamt sprechen die o.g. antidepressiven bzw. Serotonin-beeinflussenden Medikamente nicht bei allen an und ihre Verwendung kann durch Nebenwirkungen begrenzt sein (wie z.B. Mundtrockenheit, Durstgefühl, Beeinflussung der Konzentration, des Appetites, der Libido über Leberwerterhöhungen usw. ).
Die Langzeit-Einstellung der Patientinnen wird hierdurch manchmal erschwert oder auch verhindert.
Weitere Medikamente
Pregabalin (aus der Epilepsie- und Trigeminusneuralgie-Behandlung) kann versucht werden. Langzeitergebnisse fehlen hier noch.
Cortison
Für Cortison gibt es keinen sinnvollen Ansatzpunkt in der FMS-Therapie!
Ergänzende Therapieverfahren
Traditionelle chinesische Medizin (TCM)
Die medikamentöse (Schmerz)-Therapie kann ergänzt werden durch verschiedene Methoden der TCM (traditionelle chinesische Medizin) wie das schon erwähnte Qigong und Taiji, aber auch Tuina-Massagen und durch Akupunktur.
Bei der Akupunktur werden eher keine direkt schmerzlindernden Punktkombinationen gewählt, sondern allgemein ausgleichende und stärkende, das Qi (universale Lebensenergie) mobilisierende und (nach TCM-Denkmodell) die Feuchtigkeit und Kälte vertreibende, bestimmt Meridiane und Organkreise stärkende Punktkombinationen bevorzugt. Schlaf-Qualität, Stimmung und allgemeine Energie können positiv beeinflusst werden.
Physikalische Therapie
Die Physikalische Therapie bietet mehrere Möglichkeiten der örtlichen und der übergeordneten (muskulären) Entspannung.
Klassische Massagen werden häufig nicht gut vertragen, sanfte Techniken verschiedener Ausrichtungen sind sinnvoll (z.B. Akupunktmassage nach Penzel).
Lymphdrainage ist insbesondere beim häufigen Stauungsgefühl in Händen und Unterschenkeln angebracht.
Auch die als Mikromassage wirksame Übungsbehandlung mit Raps-Samen kann helfen, Stauungen zu lösen.
Elektrotherapie wird meist nicht vertragen, hier gibt es oft eine Überempfindlichkeit, insbesondere wenn ohnehin schon Missempfindungen an Händen oder Füßen bestehen.
CO2-Teil- oder Gnazkörper-Luftbäder sollen eine direkte Schmerzlinderung bewirken.
Allgemein sind Warmwasseranwendungen sinnvoll, sowohl als Einzel-Wannenbäder als auch als Gruppen- oder Einzelgymnastik im beheizten Bad, aber auch als - wohl dosierte - Unterwasserdruckstrahlmassage.
Auf der einen Seite wird Wärme bis zur Hyperthermie (= therapeutisches Fieber) als angenehm empfunden, auf der anderen Seite führt die Ganzkörperkältekammer oft zu einem guten kurzfristigen Schmerzlinderungseffekt.
Nach Hyperthermie mit Infrarot-Tiefenwärme wurde eine monatelang anhaltende Schmerzlinderung beschrieben.
Das Edelgas Radon wirkt – über niedrig dosierte radioaktive Alphastrahlung - in verschiedenen Verabreichungsformen erfahrungsgemäß langfristig schmerzlindernd. Bis zu 39° Celsius warme Radon-Thermalbäder oder auch mit CO2 kombinierte etwas kühlere Radonthermalbäder können eingesetzt werden. Stärkere Effekte erreicht man durch die Radonstollen-Inhalation ohne oder – noch ausgeprägter - mit gleichzeitiger Überwärmungstherapie (= Hyperthermie wie z.B. bei der Gasteiner Heilstollentherapie).
Beweisende Studien für eine anhaltende Schmerzlinderung stehen noch aus, laut empirischer Berichte sind jedoch teils erhebliche und lang anhaltende Linderungen möglich. Plausibel sind diese im Übrigen über die bekannte Bremsung der Substanz P sowie Beeinflussung der Botenstoffe im Gehirn durch Radon (+Hyperthermie).
Die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen ist ein Weg des Wiedererlernens vom Wechsel zwischen Spannung und Entspannung in der Muskulatur. Unter fachgerechter Anleitung erlernt soll sie dann regelmäßig weitergeübt werden. Die erlernte Entspannung betrifft nicht nur den körperlichen Bereich, sondern wirkt sich auch positiv auf das Stressverhalten aus.
Außenseitermethoden
Gerade für das FMS werden einige Außenseitermethoden angeboten, auf die – von der Schulmedizin enttäuschte Patienten – oft arglos eingehen und für die sie oft teuer bezahlen müssen ( z.B.: das sog. ‚Operieren von Akupunkturpunkten’). Die Verzweiflung von chronischen Schmerzpatienten wird nicht selten ausgenutzt, Wundermethoden werden angepriesen. Insgesamt ist jede einseitige Heils-Versprechung zuerst einmal mit Argwohn zu beurteilen.
Zusammenfassung des Therapiekonzeptes
Es muss immer ein multimodales, das heißt aus mehreren Methoden bestehendes und über mehrere Berufsgruppen betreutes Behandlungsmodell durchgeführt werden, um einen Erfolg zu erzielen beim FMS.
Die selbständige Weiterführung der erlernten Methoden (Entspannung, Bewegung, Muskeltraining, Genussförderung und Stressreduktion) ist der Garant für ein Aufrecht-Erhalten eines – durchaus relevanten - Therapie-Erfolges.
Teil 1: Krankheitsbild, Häufigkeit und Diagnosestellung
am Freitag, dem 26. Januar 2007
Teil 2: Ursachen und Auslöser des Fibromyalgie-Syndroms, Abgrenzung gegen andere Erkrankungen
am Samstag, dem 27. Januar 2007
Literatur
Wolfe F, Smythe HA, Yunus MB, Bennett RM, Bombardier C, Goldenberg DL, et al.
The American College of Rheumatology 1990 criteria for the classification of fibromyalgia: report of the multicenter criteria committee.
Arthritis Rheum 1990;33:160-72.
http://www.rheumatology.org/publications/classification/fibromyalgia/fibro.asp
Müller W, Lautenschläger J (1990) Die generalisierte Tendomyopathie (GTM) – Teil 1: Klinik, Verlauf und Differentialdiagnose.
Z Rheumatol 1990;49:11-21
Müller W, Lautenschläger J. Die generalisierte Tendomyopathie (GTM) Teil II: Pathogenese und Therapie.
Z Rheumatol. 1990 Jan-Feb;49(1):22-9
Links und weiterführende Informationen
Fibromyalgie - Pathogenetische Aspekte, Klinik, Differentialdiagnosen und therapeutische Ansätze
M. Späth - D. Pongratz
http://www.dgm.org/files/managementletters/letter12/mond_let.html
National Fibromyalgia Association (NFRA)
www.nfra.net
http://www.nfra.net/Diagnost.htm