Das Bundessozialgericht ändert seine Rechtsprechung zur off-label-Behandlung bei seltenen Erkrankungen
Die sogenannte off-label-Behandlung - das heißt die Verschreibung eines Medikamentes für das keine offizielle Zulassung für eine bestimmte Erkrankung vorliegt - soll bei seltenen Erkrankungen von den Krankenkassen erstattet werden.
Die `Visudyne-Entscheidung´ vom 19.10.2004 bringt Bewegung in die rigide Rechtsprechung bezüglich off-label-Behandlungen, der zur Folge die Kosten von off-label- Medikamenten nicht von den Kassen erstattet werden muß.
In einem konkreten Fall handelte es sich um den Antrag zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen für die Behandlung eines 10jährigen Jungen mit einer seltenen angeborenen Augenerkrankung. Der Junge wurde bereits im Jahr 2000 mit dem Medikament Visudyne (Vertreporfin) behandelt, das zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland nicht zugelassen war. Den Antrag des Kindes auf Erstattung der Kosten in Höhe von rund Euro 2.100.- hatte die Barmer Ersatzkasse mit der Begründung abgelehnt, dass die Behandlungsmethode nicht anerkannt und hinreichend gesichert sei.
Dieser Begründung widersprach das Bundessozialgericht (BSG), da der Junge unter einer so seltenen Erkrankung leide, dass eine umfassende Forschungsarbeit zu wirksamen Therapiemöglichkeiten praktisch ausgeschlossen sei. In einem solchen Fall seien die Krankenkassen zur Kostenübernahme verpflichtet, auch wenn keine offizielle Zulassung für diese Behandlung vorliege.
Diese Entscheidung ist für Patienten und Ärzte von großer Bedeutung. Erweitert sie doch die Rechtsprechung des BSG vom 19.3.2003, in der eine off-label Therapie grundsätzlich nicht Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden kann. Als Ausnahme wurde allerdings schon seinerzeit eingeräumt, wenn es sich um eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität erheblich beeinflussende Erkrankung handelt für die keine andere Therapie zur Verfügung steht oder wenn ausreichende Daten vorliegen, die einen Behandlungserfolg nachweisen können.
Diese Voraussetzungen seien im Visudyne-Fall gegeben und deshalb sind die Bundessozialrichter der Auffassung, dass die Kosten erstattungsfähig sind. Auf Grund der Seltenheit der Erkrankung seien keine Nachweise über Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit zu erbringen.
Und einen weiteren Aspekt bringt die Visudyne-Entscheidung mit sich. In der sogenannten Immucothel®-Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 18.05.2004 wurde verabschiedet, dass Medikamente, die im Inland nicht zugelassen sind, nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet und importiert werden dürfen. Die neue Urteilssprechung im Visudyne-Fall widerspricht dem zur Folge der Immucothel®-Entscheidung. Diese jüngste Entscheidung des Bundessozialgerichts wird zukünftig sicherlich weitreichende Folgen auf den Import und die Verordnung ausländischer Arzneimittel haben .
Quelle: DER KASSENARZT 22/2004 S.62