Cortison: das erklärbare Wunder
Es war ein Versuch – und er hatte Erfolg. Seit die schwer rheumakranke "Mrs.G." im Jahre 1948 dank mehrerer Cortisongaben ihre Mobilität wiedererlangte, wird der Wirkstoff weltweit erfolgreich als bis heute wirksamster Entzündungshemmer bei den unterschiedlichsten Krankheitsbildern eingesetzt. Grund genug, sich zu fragen, was Cortison eigentlich genau ist…
Auch wenn im allgemeinen und selbst medizinischen Sprachgebrauch immer wieder von "Cortison" die Rede ist, so ist die eigentlich im Körper wirksame Substanz aus der Gruppe der Corticoide (also der „Cortison-verwandten Substanzen“) das Cortisol. Dennoch wird im folgenden Artikel der allgemein bekanntere Begriff „Cortison“ Verwendung finden, gemeint ist dann (chemisch gesehen) das Cortisol.
Cortisol ist ein körpereigenes Hormon, ohne das wir nicht in der Lage wären, zu überleben. Es wird täglich in einer Dosis von ca. 10-25mg (entspricht ca. 2-5 mg des zur Behandlung eingesetzten Prednisolons) von uns selbst produziert. Diese Produktion findet in einer besonderen Region der Nebennierenrinde statt, in der dortigen Zona fasciculata.
Es wird nach einem bestimmten Tagesrhythmus vermehrt ausgeschüttet, zudem aber auch in jeder physischen Stresssituation. Nach schweren Operationen z.B. kommt es zu körpereigenen Höchstproduktionen. In seiner Eigenschaft als Stresshormon hat Cortison eine stark entzündungshemmende Wirkung, stärker als alle anderen derzeit bekannten entzündungshemmenden Substanzen.
Warum wirkt Cortison entzündungshemmend?
Cortison hemmt die Entzündung im Körper auf unzähligen Wegen, und nach wie vor sind nicht alle Wirkungen komplett verstanden. Dabei greift es an einigen Stellen in die Regulation von Genen und die Zellvermehrung ein (sogenannte "genomische" Wirkungen), an anderen Stellen entfaltet es nicht-genomische Wirkungen, z.B. hemmt es den Austausch von Entzündungsbotenstoffen zwischen den Zellen.
Interessant ist, dass einige der Wege, auf denen Cortison entzündungshemmend wirksam ist, auch von anderen Medikamenten beschritten werden, die wir aus der Therapie rheumatischer Erkrankungen kennen: Es hemmt beispielsweise auf andere Weise als cortisonfreie Entzündungshemmer (z.B. Diclofenac, Ibuprofen, Arcoxia) die Prostaglandinsynthese und vermindert auch die Ausschüttung von TNF-alpha!
Welche erwünschten Veränderungen bewirkt Cortison bei rheumatischen Erkrankungen?
Durch die Unterdrückung der Entzündung sowohl vor Ort in den Gelenken als auch systemisch (d.h. im gesamten Organismus) wirkt Cortison nicht nur gegen entzündungsbedingte Schmerzen, sondern hat auch günstige Wirkungen auf die Allgemeinsymptome der Erkrankung, wie z.B. Müdigkeit und Abgeschlagenheit.
Im Blut kann man unter ausreichend hohen Dosis an Cortison eine Normalisierung der Blutsenkungsgeschwindigkeit, des Spiegels an C-reaktivem Protein und anderer Entzündungswerte (z.B. der Serumelektrophorese oder der Immunglobuline) feststellen. Durch diese Wirkungen kann Cortison zu einer erheblichen Verbesserung der Lebensqualität von Rheumapatienten führen.
Seit wann wird mit Cortison therapiert?
Die erste Patientin, die Cortison erhielt, war eine schwer rheumakranke Dame, die als "Mrs. G" in die Geschichte eingegangen ist: Am 21.9.1948 erhielt sie das erste Mal Cortison (2x50mg Cortisol pro Tag, was ca. 2x10mg Decortin entspricht), da ihre Polyarthritis sie komplett unbeweglich gemacht hatte und sie unter schwersten Schmerzen litt. Am nächsten Tag bereits konnte sie sich im Bett wieder etwas bewegen, am 3. Tag stand sie auf, und nach einer Woche fuhr sie mit dem Taxi in die Stadt und machte drei Stunden lang Einkäufe. Das sogenannte "Cortisonwunder" war geschehen.
Was sind weitere Wirkungen von Cortison?
Sehr schnell nach der ersten Anwendung von Cortison in der Patientenversorgung zeigten sich die ersten unerwünschten Wirkungen von Cortison, die bis heute das Bild von Cortison in der Öffentlichkeit in starkem Maße prägen. Vor den unerwünschten Wirkungen von Cortison besteht bei vielen Menschen eine Furcht, die im Vergleich zu den Gefahren einer (möglichst gering dosierten und gut überwachten) Therapie mit Cortison unverhältnismäßig hoch ist. Dieses gesellschaftliche Phänomen wird auch als "Cortisonangst" bezeichnet.
Tatsächlich sind die unerwünschten Wirkungen von Cortison zahlreich und vielfältig, wenn auch in fast allen Fällen stark dosisabhängig: Schlaflosigkeit oder Appetitsteigerung sind häufig, eine Diabetesneigung wie auch Bluthochdruck können verstärkt werden. In Verbindung mit dem regelmäßigen Gebrauch von nichtsteroidalen Antiphlogistika (wie Diclofenac oder Ibuprofen) kann das Risiko für Magengeschwüre steigen.
Üblicherweise erst in höheren Dosen (mehr als 5-10mg Prednisolon pro Tag) und bei längerer Therapiedauer (Monate bis Jahre) können Fettverteilungsstörungen, Muskelabbau, Bindegewebsschwäche und Wundheilungsstörungen auftreten. Als späte Folgen kennen wir Osteoporose, Linsentrübungen, Fettleber und eine dünnere, verletzlichere Haut. Selten kann Cortison auch zu erhöhtem Augeninnendruck führen, dies allerdings vor allem bei lokaler Anwendung im Auge (in Form von Augentropfen), selten bei oraler Gabe (Einnahme in Tablettenform).
Bei all diesen "Nebenwirkungen" muss man bedenken, dass auch die entzündliche Aktivität der Erkrankung an sich im Körper Spuren hinterlässt, die "Nebenwirkungen" gleichen: Während das Cortison den Schlafrhythmus stören kann, tut dies auch der entzündliche nächtliche Schmerz. Während es in Verbindung mit nichtsteroidalen Antiphlogistika für den Magen gefährlich werden kann, hilft es andererseits durch Schmerzreduktion, die notwendige Dosis dieser Schmerzmittel zu senken.
Während es über längere Zeit zu Osteoporose führen kann, führt die ständige Entzündung im Körper ebenfalls zu Knochenabbau. Und während Cortison eine Bluthochdruckneigung verstärken kann, weiß man heute, dass auch ständige Entzündung zu mehr Schlaganfällen und Herzinfarkten führt.
Wie sollte man also mit Cortison umgehen?
Der wichtigste Grundsatz bei der Cortisontherapie lautet: So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Und, davon abgeleitet: So kurz wie möglich, so lange wie nötig. Auch kann Cortison keine langfristige Beeinflussung der Krankheitsaktivität über die Zeit der Einnahme hinaus bewirken: Nach Absetzen des Cortisons kommt es meist zu einer Rückkehr von Symptomen und den entzündlichen Veränderungen im Blut.
Einige entzündliche Manifestationen der Psoriasis-Arthritis, z.B. Achillessehnenentzündungen oder Entzündungen eines ganzen Fingers oder ganzen Zehs ("Daktylitis", "Wurstfinger" oder "Wurstzeh") sprechen auf Cortison nicht oder nur unzureichend an. Cortison kann zudem allein nicht das Fortschreiten von Veränderungen am Knochen und Gelenkknorpel verhindern. Allerdings ist es in der Kombination mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten (z.B. Methotrexat oder Gold) dazu in der Lage.
Insgesamt sprechen alle diese Umstände dafür, Cortison nicht als alleinige Therapie, sondern in möglichst niedriger Dosis gemeinsam mit einer lanwirksamen antirheumatischen Therapie ("DMARD-Therapie", z.B. mit Hydroxychloroquin, Methotrexat oder Leflunomid) anzuwenden. Diese Kombination ermöglicht es dem Patienten, von den erwünschten Wirkungen des Cortisons zu profitieren, ohne unnötig starken Gefahren durch zu hoch dosiertes Cortison ausgesetzt zu sein.
Zudem sollte bei längerer Zeit der Anwendung immer dafür gesorgt werden, dass dem Körper genügend Vitamin D3 und Calcium zur Verfügung stehen, um der Osteoporose entgegenwirken zu können.
Das Thema "Therapie mit Cortison" wurde auf dem diesjährigen rheuma-online Useworkshop von Felicitas Spiecker referiert. In regelmäßigen Abständen sind auf rheuma-online weitere Themen des Workshops zu lesen.
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