Britische Patienten dürfen 2. TNF-Chance bekommen - NICE nimmt seine restriktiven Empfehlungen zurück
Was im staatlichen Gesundheitssystem in Großbritannien passiert, muß uns leider deshalb interessieren, weil einige der dortigen Entwicklungen auch Signalwirkungen bei uns haben können. So haben wir mit dem IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) nun auch in Deutschland eine Einrichtung, die zwar formal als unabhängig bezeichnet wird, in vielfacher Hinsicht aber bedeutsame Parallelitäten zum NICE aufweist.
In Großbritannien hat es einen Sturm der Entrüstung unter Patienten und Ärzten ausgelöst - das vom nationalen Gesundheitsdienst finanzierte National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) hatte nämlich zunächst die Empfehlung herausgegeben, bei der Therapie von Patienten mit schwerer rheumatoider Arthritis einen Therapieversuch mit einem zweiten TNF-alpha-Blocker nicht mehr zuzulassen, wenn zuvor eine solche Behandlung nicht erfolgreich war.
Hintergrund dieser Entscheidung waren reine Kostenüberlegungen, denn alle vorliegenden wissenschaftlichen Daten zeigen übereinstimmend, daß bei der Therapie einer rheumatoiden Arthritis der Wechsel auf einen anderen TNF-alpha-Blocker Sinn macht, wenn die Behandlung mit dem ersten Präparat unzureichend wirksam war oder wegen Unverträglichkeit oder Nebenwirkungen beendet werden mußte.
Nach massivem Druck von Ärzten und Patienten hat NICE diese restriktive Leitlinie nun zurückgenommen und zugelassen, daß gerade schwerkranken Patienten eine zweite Chance für eine hochwirksame Therapie nicht vorenthalten wird.
Der Vorsitzende der britischen Patientenvereinigung Arthritis Care, Neil Betteridge, kommentiert den Erfolg der Proteste auf typisch englische Art:
"It is fantastic that people may now get a 'second bite of the cherry'": Es ist fantastisch, daß die Betroffenen nun ein zweites Mal in die Kirsche beißen dürfen.
Unser Kommentar:
Man kann es so sehen und es fantastisch nennen. Man kann aber auch der Meinung sein, daß es schon fast skandalös ist, wenn eine solche Leitlinie überhaupt formuliert wurde. Oder auch nicht, denn Rationierung von Gesundheitsleistungen hat im staatlichen Gesundheitssystem von Großbritannien eine lange Tradition. In dieser Hinsicht ist die Situation dort wenigsten ehrlich.
Zu dieser Frage interessiert uns die Meinung unserer User: Gibt es auch bei uns in Deutschland bei der Behandlung von Rheumapatienten eine Rationierung von Gesundheitsleistungen? Focussieren möchten wir diese Diskussion insbesondere auf die Therapie mit den modernen Medikamenten, speziell den neuen und zugleich teuren biotechnologischen Substanzen wie TNF-alpha-Blocker (Adalimumab = Humira, Etanercept = Enbrel, Infliximab = Remicade) oder auch mit B-Zell-gerichteten Therapien mit Rituximab (MabThera) oder auch dem nun ganz neu zugelassenen Co-Stimulationshemmer Abatacept (Orencia).
Quelle:
Reuters Health Information vom 12. Juni 2007
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Juan J Gomez-Reino and Loreto Carmona for the BIOBADASER Group