Bextra & Co. im Visier der FDA
Wir hatten es bereits am Freitag angekündigt. Hier ist er nun - der Hintergrundsbericht zum Verkaufsstop von Bextra. Der Beitrag ist zugleich der Einstand unserer neuen Mitarbeiterin Dipl.oec.troph. Elke Gurschke, die wir hiermit erfolgreich im Team von rheuma-online begrüßen dürfen.
Bereits am 10. Oktober 2004 warnte die US-amerikanische Arzneimittel-Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) vor der Möglichkeit ernster Hautreaktionen unter einer Therapie mit dem Rheuma-Medikament Valdecoxib, das bis zu dem aktuellen Verkaufsstop am 7. April 2005 (rheuma-online berichtete darüber: Beitrag 1, Beitrag 2) vom weltgrößten Pharmakonzern Pfizer unter dem Handelsnamen Bextra vertrieben wurde. Auch potentiell tödliche Verlaufsformen seien darunter, nämlich das Steven-Johnson-Syndrom (SJS) sowie die toxisch-epidermale Nekrolyse (TEN).
Bextra ist eine Substanz aus der Gruppe der cortisonfreien Entzündungshemmer (nicht-steroidale Antirheumatika, NSAR). Speziell gehört die Arznei in die Substanzklasse der in letzter Zeit arg gebeutelten Coxibe. Coxibe sind selektive COX-2-Hemmer, d.h. sie hemmen nur den körpereigenen Entzündungsauslöser COX-2, nicht jedoch das damit verwandte Enzym COX-1, das als sogenanntes „house-keeping-enzym“ für die Aufrechterhaltung von ganz normalen Körperfunktionen zuständig ist, z.B. für den Schutz der Magenwand gegen die Magensäure oder auch für die Sicherstellung einer normalen Nierenfunktion. Auch Vioxx (Wirkstoff Rofecoxib), das vom Pfizer-Mitbewerber MSD am 30. September 2004 vom Markt genommen wurde, gehört in diese Substanzklasse der Coxibe. Wegen ihrer hervorragenden Magenverträglichkeit und gleichzeitig guten Wirksamkeit waren die Coxibe zunächst die Blockbuster im Pharma-Markt. Als sogenannte „Super-Aspirine“ wurden sie seinerzeit von denselben Medien hochgelobt und hochgeputscht, die sie nun heute geradezu verteufeln).
Eine Warnung vor Herz-Kreislauf-Komplikationen unter Bextra-Therapie, besonders bei Patienten nach Bypass-Operationen, enthielt diese Meldung der FDA ebenfalls. Nach den Ergebnissen von zwei Studien mit insgesamt 2.133 Patienten kann es zu Herzinfarkt, Schlaganfall, tiefer Beinvenenthrombose oder Lungenembolie kommen.
Unter strenger Risiko-Nutzen–Abwägung hielt die Zulassungsbehörde den Einsatz von Bextra bei genauer Beobachtung der Patienten aber weiterhin für angezeigt. Eine endgültige Entscheidung wollte sie von den Ergebnisse einer Experten-Runde im Februar 2005 abhängig machen. In dieser Runde sollte von US-amerikanischen Experten unter internationaler Beteiligung die generelle Situation bezüglich Sicherheit und Anwendungsmöglichkeiten von allen NSAR inklusive der COX-2-Hemmer diskutiert werden.
Die Empfehlung der FDA war bis zu diesem Hearing, daß Patienten mit bekannter Allergie gegen schwefelhaltige Medikamente (z.B. Sulfonamide) kein Bextra anwenden sollten. Wohl haben auch die anderen NSAR gewisse Risiken von Hautreaktionen, aber bei Bextra tritt eine solche Reaktion offenbar häufiger auf. Beim Auftreten von Hautausschlägen oder sonstigen Veränderungen der Haut oder der Schleimhäute sollte von der weiteren Anwendung von Bextra abgesehen werden, wobei nach den bisherigen Erfahrungen und Daten besonders in den ersten beiden Wochen einer Bextra-Therapie mit einer solchen Reaktion zu rechnen ist.
Auch die europäische Zulassungsbehörde EMEA (European Medicines Agency) hatte am 15.12.2004 eine Mitteilung über gewisse Risiken von Herz-Kreislauf-Komplikationen nach Bypass-OP und mögliche ernste Hautreaktionen bei einer Bextra-Einnahme herausgegeben. Nach diesen Warnungen sank der Umsatz bei Neueinstellungen von Bextra (und auch bei Celebrex, einem verwandten Coxib mit dem Wirkstoff Celebrex, das ebenfalls von Pfizer hergestellt wird) um ca. 50%, erholte sich aber langsam wieder (weil möglicherweise über die ganze Angelegenheit etwas Gras gewachsen war).
Nachdem die genannte Expertengruppe vom 16.-18.2.2005 getagt und beraten hat, folgt jetzt am 7.4.2005 diese Erklärung der FDA:
Das Risiko einer Behandlung mit Bextra ist größer als der Nutzen für die Patienten.
Die Begründung:
1. Es gibt keine aussagekräftigen Daten über die Herz-Kreislauf-Sicherheit bei Langzeitanwendung von Bextra. Da ein erhöhtes Risiko von Herz-Kreislauf-Komplikationen bei Patienten nach Bypass-Operationen gefunden wurde, scheint ein höheres Risiko auch bei der generellen Langzeitanwendung wahrscheinlich zu sein.
2. Es gibt Berichte über ernste und potentiell lebensbedrohliche Hautreaktionen. Dies betrifft sowohl Patienten mit und ohne Schwefel-Allergie und sowohl bei kurzzeitiger als auch bei länger andauernder Therapie.
3. Es gibt keine nachgewiesenen Vorteile von Bextra im Vergleich zu anderen NSAR in Bezug auf Sicherheit und/oder Wirksamkeit.
Die Folgen:
Bextra wird bis zur weiteren Klärung der Zusammenhänge aus dem Handel gezogen (im Gegensatz zu Vioxx, wo eine regelrechte Marktrücknahme erfolgte, handelt es sich nach den uns vorliegenden Informationen und nach unserer Lesart der offiziellen Erklärungen bei Bextra allerdings nur um einen Verkaufsstop, d.h. die Zulassung besteht formal weiterhin. In der Konsequenz können noch vorhandene Bestände damit grundsätzlich und in Absprache mit dem behandelnden Arzt aufgebraucht werden, wobei dies in dem Augenblick zu Problemen auch im Hinblick auf Haftungsfragen und Haftpflichtfragen führen dürfte, in dem es zu einer Komplikation kommt).
Der Hersteller, die Firma Pfizer, erklärt sich bereit, mit der FDA bei der Aufklärung über die tatsächlichen Risiken eng zusammen zu arbeiten, obwohl nicht in allen Punkten eine Übereinstimmung mit der FDA-Meinung besteht. Die Verantwortung gegenüber den Patienten wird von Pfizer aber sehr ernst genommen, und daher wird der Empfehlung von FDA und EMEA (European Medicines Agency) gefolgt. Interessanterweise war sich auch der Expertenausschuss nicht einig: Mit 17 Ja-Stimmen (gegen 13 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen) plädierte der Ausschuss für ein Verbleiben von Bextra im Markt. Die FDA ist aber an diese Empfehlung nicht gebunden und kann nach eigenem Ermessen entscheiden. Was sie hier dann auch getan hat.
Nach dem Verkaufsstop von Bextra und der Marktrücknahme von Vioxx, über die rheuma-online ausführlich berichtete (http://rheuma-online.de/editorial/38.html , rheuma-online.de/news/396.html , www.rheuma-online.at/index.php, erscheint die Frage von damals, ob die Risiken von Vioxx singulär sind oder ein generelles Risiko der Substanzklasse besteht, jetzt visionär.
Nachdem Bextra in 2004 einen Umsatzzuwachs von 87% auf 1,29 Mrd. US$ hatte (das entspricht ca. 67.000 behandelten Patienten), wird jetzt wohl Celebrex, das weiterhin am Markt präsent ist, viele der Bextra-Patienten auffangen. Celebrex, auch ein COX-2- Hemmer, ist mit 3,3 Mrd. Dollar Umsatz (und einer Umsatzsteigerung von 75% in 2004) bereits jetzt schon wichtiger als Bextra. Allerdings kommt auch Celebrex nicht ungeschoren davon. So wird Celebrex von Pfizer auf Empfehlung der FDA mit einer sogenannten „Black Box-Warnung“ versehen. Das ist ein besonders hervorgehobener Warnhinweis auf allen Packungen. In der Praxis sieht das dann so aus, dass die Apotheken entweder Aufkleber für die noch vorrätigen Packungen bekommen, oder ihre Bestandsware an den Großhändler zurück senden und neue Packungen mit der „Black Box-Warnung“ bekommen.
Parallel dazu sollen alle NSAR, dazu gehören nicht nur die COX-2- Hemmer, sondern auch Substanzen wie Ibuprofen (Dolgit, Ibu-Hexal u.ä., Imbun) oder Naproxen (Aleve, Dolormin, Proxen) mit deutlichen Warnhinweisen versehen werden, die sich auch auf die Möglichkeit von ernsthaften Hautreaktionen erstrecken.
Ob mit diesen Vorgängen jetzt auch die Chancen für eine Rückkehr von Vioxx an den Markt schwinden, ist nicht genau abzusehen. Hier sollen weitere Studien und Untersuchungen klären, ob eine Wiedereinführung möglich sein könnte. Die Merck & Co.-Aktie (MSD) verlor am Donnerstag 2% an Wert. Vielleicht waren es auch „nur“ 2% und ein Hinweis darauf, daß mit dem Verkaufsstop von Bextra ein starker Rückenwind für das MSD-Präparat Arcoxia gesehen wird, den Dritten aus dem ehemaligen „ABC der Coxibe“, nämlich Arcoxia, Bextra und Celebrex.
Die offene Frage ist, ob Arcoxia das Potential hat, nicht nur im Alphabet vorne zu liegen, sondern sich nach dem Wegfall von Bextra an die Spitze des verbliebenen Duos zu setzen und zur A-Klasse der Coxibe aufzusteigen.
Etoricoxib, der in Arcoxia enthaltene Wirkstoff, hat dabei den Vorteil, daß er keinen Sulfonamid-(Schwefel-)-Anteil enthält. Die Wahrscheinlichkeit für lebensbedrohliche Hautnebenwirkungen ist damit geringer. Eine kleine Hypothek ist aber die pharmakologische Verwandtschaft zu Rofecoxib, dem Vioxx-Wirkstoff. Da Vioxx aber nun gerade ganz langsam wieder rehabilitiert wird, sollte dies vielleicht noch am wenigsten stören.
Was bedeutet das alles für die Patienten?
1. Keine Panik!
2. Nehmen Sie Kontakt zu Ihrem Arzt auf, um Therapiealternativen zu besprechen!
3. Werfen Sie angebrochene Bextra-Packungen nicht weg, sondern geben Sie sie in der Apotheke zurück. Voraussichtlich wird es, wie auch bei Vioxx, zu einer unkomplizierten Kostenerstattung in der Apotheke kommen, das heißt, Kassenpatienten bekommen ihre Eigenanteile und Privatpatienten die Kosten für das Präparat erstattet. Das gilt auch für bereits angebrochenen Packungen.
Dipl.oec.troph. Elke Gurschke / Priv. Doz. Dr. med. H. E. Langer
Quellen und weiterführende Links:
* FAZ vom 8. April 2005
* www.pfizer.de/arztapo/news/NewsView853.htm
* rheuma-online.de/news/396.html
* rheuma-online.de/editorial/38.html
* www.rheuma-online.at/index.php
* www.fda.gov/medwatch/index.html
* www.pfizer.de/arztapo/news/NewsView854.htm