Arzneimittelverordnungen außerhalb zugelassener Indikationen
Die Ergebnisse der Studien zum Einsatz von TNF-alpha-Blockern zeigen ebenso wie die Erfahrungen aus der Anwendung in der rheumatologischen Praxis eine z.T. dramatische Wirksamkeit dieser Substanzen bei schweren Formen des M. Bechterew oder auch bei schweren Psoriasis-Arthritiden.
Da diese Substanzen allerdings für beide Anwendungen (Indikationen) noch nicht zugelassen sind, ergeben sich bei der Verordnung bei einem solchen "off-label-use" z.T. erhebliche Schwierigkeiten bei der Frage einer Kostenübernahme durch die Kostenträger. Dies betrifft insbesondere Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung, in einigen Fällen aber auch Patienten von privaten Krankenkassen und z.T. auch beihilfeberechtigte Patienten (z.B. Beamte).
Auf einem Symposium, das in Bochum unter dem Thema "Arzneimittelverordnung außerhalb zugelassener Indikation" stattfand, waren sich alle anwesenden Juristen einig, dass der Arzt mit zivilrechtlichen Konsequenzen rechnen muss, wenn er einem Patienten eine Therapie vorenthält, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Dieser ist allerdings nicht immer mit dem Stand der Arzneimittelzulassung identisch. Dies führt bei der juristischen Bewertung zu Inkongruenzen zwischen dem Arztrecht, speziell auch dem Arzthaftungsrecht, und der ärztlichen Berufsordnung auf der einen Seite und dem Sozialrecht (Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen) bzw. dem Zivilrecht (Anspruch eines Versicherten auf Erstattung von Arzneimittelkosten gegenüber einer privaten Krankenkasse).
Im Fall der TNF-alpha-Blockade besteht beispielsweise bei den Experten auch international darüber Einigkeit, dass sie eine wesentliche Behandlungsoption bei schwer verlaufenden Fällen von M. Bechterew ist, bei denen die traditionelle langwirksame antirheumatische Therapie einschließlich Methotrexat (Mtx) nicht ausreichend wirkt. Das ärztliche Berufsrecht (Musterberufsordnung (MBO) §1 gebietet ohnehin eine gewissenhafte Versorgung mit "geeigneten Behandlungsmethoden" und stellt dabei nicht die Frage nach der Zulassung eines Medikaments.
Auch im Sozialgesetzbuch V (SGB V), das für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) relevant ist, gibt es keinen Paragraphen, der die Arzneimittelversorgung auf Medikamente beschränkt, die für die jeweilige Indikation zugelassen sind. Damit wäre im übrigen auch eine medikamentöse Therapie in der Kinderheilkunde vielfach überhaupt nicht mögich, da der wahrscheinlich sogar überwiegende Teil der dort eingesetzten Medikamente für die Anwendung bei Kindern überhaupt nicht offiziell zugelassen sind.
§ 31 I S.1 SGB V regelt vielmehr, dass der Versicherte einen Anspruch auf die Erstattung von "apothekenpflichtigen Arzneimitteln" hat. Nach dem renommierten Pharmarechtler Herbert Wartensleben hätte der Gesetzgeber gleich einen "Anspruch auf zugelassene Medikamente" im Gesetz festschreiben können, wenn er dies so gewollt hätte.
Neuerdings argumtieren allerdings einige gesetzliche Krankenkassen, vermutlich unter dem Kostendruck steigender Ausgaben im Gesundheitswesen, damit, dass sich aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung kein Anspruch auf Arzneimittel ausserhalb der zugelassenen Indikation ableiten ließe.
Auf höchstrichterlicher Ebene ist durch das Bundessozialgericht in dieser Frage noch kein Grundsatzurteil ergangen. Deshalb besteht derzeit eine gewisse Rechtsunsicherheit bei der Frage einer Erstattung von Medikamenten, die zwar wie die TNF-alpha-Blocker Etanercept (Enbrel) oder Infliximab (Remicade) in Deutschland bereits zugelassen sind, bei denen aber eine Zulassung speziell für die angezielte Indikation, beispielsweise M. Bechterew oder auch Psoriasisarthritis im Fall der TNF-alpha-Blocker, aktuell noch nicht vorliegt.
Die Experten empfahlen, in einer solchen Situation grundsätzlich vor Beginn einer solchen Therapie eine schriftliche Kostenzusage durch den zuständigen Kostenträger einzuholen, damit es später nicht zu langdauernden Auseinandersetzungen und möglichen hohen Regressanforderungen kommt.
Quelle: Medical Tribune Nr. 46 (36. Jahrgang) vom 16. November 2001
Kommentar von rheuma-online:
Viele innovative Behandlungen, die heute zum Standard der rheumatologischen Therapie gehören, wären den Patienten in der Vergangenheit über Jahre vorenthalten worden und müssten Ihnen auch heute vorenthalten werden, wenn man den Einsatz von bereits zugelassenen Medikamenten auf die speziell in der Zulassung genannte Indikation beschränkt hätte. Insofern kann der oben dargestellte Standpunkt einiger Krankenkassen weder im Sinne ihrer Versicherten noch im Sinne des gesamten Gesundheitssystems sein.
Das vielleicht wichtigste Beispiel aus der Rheumatologie der vergangenen Jahre ist der Einsatz von Methotrexat bei der chronischen Polyarthritis, das über viele Jahre in Deutschland noch nicht offiziell für die Behandlung der cP zugelassen war und trotzdem von den deutschen Rheumatologen eingesetzt wurde, da es die Erfahrungen aus klinischen Studien und aus anderen Ländern schon aus ethischen Gründen gar nicht zuließen, den deutschen Patienten dieses Medikament vorzuenthalten.
Im Fall von Methotrexat lag, wie derzeit bei den TNF-alpha-Blockern, die Zulassung in Deutschland zwar generell vor, allerdings zunächst eben nicht für die spezielle Indikation der cP. Insofern ist der Sachverhalt mit der Situation mit dem Einsatz von TNF-alpha-Blockern beim M. Bechterew vergleichbar.
Ein anderes, allerdings noch etwas anders gelagertes Beispiel, dass die Problematik im Zusammenhang mit dem Zulassungsverfahren zeigt, ist Leflunomid (Arava). Dieses Präparat wurde als bedeutendste Neuentwicklung eines Basismedikaments in den letzten 10 Jahren in den USA wegen seiner Bedeutung für die Patienten mit rheumatoider Arthritis in einem beschleunigten Verfahren zugelassen und war damit dort ca. ein Jahr eher erhältlich als in Deutschland, wo es entwickelt und von dem deutschen pharmazeutischen Hersteller (damals Hoechst in Frankfurt, heute nach Fusion mit dem neuen Namen Aventis mit Sitz weiterhin in Frankfurt) für den amerikanischen Markt hergestellt wurde. Wer vom September 1999 bis zum November 2000 einen deutschen Patienten mit Arava behandeln wollte, weil andere Alternativen nicht zur Verfügung standen, musste das von Deutschland in die USA exportierte und dort zu diesem Zeitpunkt bereits für die chronische Polyarthritis zugelassene Präparat re-imporieren. Wie damals die Frage einer Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ausgegangen wäre, kann von hier aus nicht beurteilt werden.
Generell erfolgt angesichts der z.T. üblen Erfahrungen, die Ärzte und Patienten mit der Kostenübernahme bzw. der Verweigerung einer Kostenübernahme und z.T. sehr teuren Regressen für die Ärzte (bei Kassenpatienten) oder hohen Kosten für die Patienten (bei Privatversicherten) in der Vergangenheit mit Versicherungen und Beihilfestellen gemacht haben, auch von uns der Rat, vorher in allen diesen und vergleichbar gelagerten Fällen vorher mit den zuständigen Kostenträgern die Kostenübernahme abzuklären.
Dabei können dann allerdings sehr interessante Konstellationen auftreten. Beispielsweise wurde bei einem Patienten mit einem schweren, therapierefraktären M. Bechterew die Kostenübernahme durch seine private Krankenkasse in vollem Umfang zusagt, gleichzeitig aber durch die Beihilfestelle nach Anhörung der Amtsärztin mit der Begründung abgelehnt, dass eine Wirksamkeit dieser Therapie derzeit nicht bewiesen sei. Glücklicherweise wurde diese amtsärztliche Stellungnahme nach Vorlage der entsprechenden klinischen Studienergebnisse, die alle einheitlich die excellente Wirksamkeit belegen, später revidiert. Der Patient ist derzeit unter der Therapie mit Etanercept praktisch vollkommen beschwerdefrei.
In einem anderen Fall wurde bei einem Patienten, bei dem wegen eines ebenfalls sehr schweren, therapierefraktären M. Bechterew sogar eine Klinikbehandlung notwendig wurde, dort während des stationären Aufenthaltes eine Behandlung mit Infliximab (Remicade) begonnen. Bereits nach der ersten Infusion kam es zu einer geradezu dramatisch zu nennenden Verbesserung mit Rückgang der Schmerzen, der systemisch im Blut messbaren Entzündungswerte und einer erheblichen Zunahme der Beweglichkeit und insgesamt der funktionellen Kapazität und allgemeinen Leistungsfähigkeit. Die vorher notwendige Therapie mit hohen Cortisondosen, die bereits zu einer cortisonbedingten Osteopose und (trotz entsprechender prophylyktischer Massnahmen) zu einem osteoporotisch bedingtem Wirbelkörperbruch geführt hatten, konnte auf kleinste Mengen Cortison reduziert werden. Die in Hamburg ansässige private Krankenkasse lehnte in der Folge die beantragte Kostenübernahme für die ambulante Fortführung der Infliximab-Therapie mit dem Argument des beratenden Arztes ab, für den M. Bechterew sei die Wirksamkeit dieser Behandlung nicht erwiesen. Das Argument, dass doch in diesem Fall ganz unabhängig von den einheitlich positiven Ergebnissen aus klinischen Studien auch ganz offensichtlich bei diesem Patienten selbst die Wirkung individuell belegt sei, wurde damit beantwortet, dass die Krankenkasse es wegen ihrer Fürsorgpflicht für ihre Patienten nicht verantworten könne, die Kosten für eine Therapie zu übernehmen, bei der im Augenblick die möglichen Nebenwirkungen und Folgeschäden noch nicht abzusehen wären. Dem Hinweis auf die bereits eingetretenen Folgechäden der bisher notwendigen Cortisontherapie wurde dahingehend entgegnet, eine cortisonbedingte Osteoporose wäre ja heute mit entsprechenden Medikamenten behandelbar. Der Patient befindet sich gegenwärtig mit diesem Versicherungsunternehmen in einer juristischen Auseinandersetzung. Glücklicherweise ist er durch die Remicade-Therapie wieder so leistungsfähig, dass er den damit verbundenen Belastungen entspannt entgegensieht.