ACR 2006 Review - Teil 3
Erste Blicke in die Zukunft: Neue Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung haben zur Entwicklung von faszinierenden Behandlungsansätzen geführt, die noch stärker zielgerichtete therapeutische Interventionen bei rheumatischen Erkrankungen erahnen lassen. Die Hoffnung, die sich damit verbindet: Noch bessere Wirksamkeit, gleichzeitig ein reduziertes Risiko für mögliche Nebenwirkungen.
Die enormen Fortschritte in der Grundlagenforschung haben zu faszinierenden neuen Erkenntnissen zur Entstehung und Ausbreitung der rheumatischen Entzündung geführt. Daraus resultieren nicht minder faszinierende Behandlungsansätze für ganz neue, noch stärker zielgerichtete therapeutische Interventionen bei solchen Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, der Psoriasis-Arthritis, dem M. Bechterew, aber auch von anderen immunologischen Systemerkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes oder den Vaskulitiden. Dabei besteht die Hoffnung, daß sich durch die immer präziseren Angriffspunkte nicht nur die Wirksamkeit der neuen Therapien steigern läßt, sondern daß auch das Risiko für mögliche Nebenwirkungen verringert werden kann.
In Washington deuteten einige Präsentationen auf mögliche zukünftige Medikamente, die wir als biologische Medikamenten der dritten Generation bezeichnen möchten. Dabei setzt ein Teil dieser Substanzen im Kern auf bereits bekannte und bewährte Therapieprinzipien auf, z.B. B-Zell-gerichtete Strategien, und modifiziert nur den therapeutischen Angriffspunkt (dazu gehören beispielsweise Atacicept oder auch TRU-015). Andere verfolgen komplett andere Ansätze, die sich unmittelbar aus völlig neuen Einblicken in die Pathogenese der rheumatischen Erkrankungen ergeben (z.B. Tocilizumab, Natalizumab, Denonsumab und insbesondere auch Chaperonin-10).
Atacicept (in der Vergangenheit als TACI-Ig bekannt) von Zymogenetics und Serono ist ein Fusionsprotein, das aus dem extrazellulären Anteil des TACI-Rezeptors besteht, der an die Fc-Domäne von menschlichem IgG angekoppelt wurde. TACI (Transmembrane Activator and CAML-interactor) ist ein auf der B-Zelle liegender Rezeptor, über den der B-Zelle durch das Andocken von BlyS (B-lymphocyte Stimulator) und APRIL (A Proliferation-Inducing Ligand) ein Überlebenssignal vermittelt wird.
Atacicept ist ein löslicher TACI-Rezeptor und bindet BlyS und APRIL. Im Ergebnis wirkt Atacicept damit als Antagonist dieser beiden Faktoren, die beide die B-Zell-Funktion und die Überlebensdauer von B-Zellen regulieren und damit eine bedeutende Rolle bei der Entstehung und Chronifizierung von Autoimmunprozessen spielen. In Washington wurden die Ergebnisse von zwei Phase-I-Studien zur Atacicept-Therapie des systemischen Lupus erythematodes (SLE) bzw. der rheumatoiden Arthritis vorgestellt. Danach könnte Atacicept inbesondere bei der Behandlung des SLE eine Bedeutung erlangen.
Ebenfalls auf die B-Zelle zielt TRU-015 aus der Entwicklung des amerikanischen Pharmazieunternehmens Trubion aus Seattle. TRU-015 ist aber eine ganz neuartige Substanz aus der Klasse der „SMIPs“. SMIP™-Medikamente (Small Modular Immunopharmaceutical Drugs, d.h. kleine modulare immunpharmazeutische Medikamente) sind einkettige Polypeptide, die kleiner als die herkömmlichen Antikörper sind.
TRU-015 richtet sich wie die konventionellen Antikörper gegen CD20-positive B-Zellen, allerdings mit einer optimierten Bindung, da durch die kleine Molekülgröße auch Strukturen erreicht werden, die für die größeren Antikörper nicht zugänglich sind. Nach den präklinischen Daten kann TRU-015 effektiv B-Zellen eliminieren. Gegenwärtig befindet sich die Substanz in Phase IIa/b-Studien zur Therapie der rheumatoiden Arthritis.
Schon sehr weit fortgeschritten ist die Entwicklung von Chugais Tocilizumab, einem Antikörper gegen den IL-6-Rezeptor. Mehrere klinische Studien haben sich dabei auf die Therapie der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA, juvenile chronische Arthritis, JCA, juvenile rheumatoide Arthritis, JRA) konzentriert.
Neben einer offenen Multicenter-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Tocilizumab bei der Therapie der JCA wurden die Ergebnisse einer Phase-III-Studie zur Therapie der systemischen Form der juvenilen chronischen Arthritis und einer Phase-I-Studie zur Therapie des systemischen Lupus erythematodes präsentiert. Ein weiterer Beitrag fasste die Daten aus drei japanischen randomisierten, kontrollierten klinischen Studien zur Therapie der rheumatoiden Arthritis mit Tocilizumab zusammen.
Der vollständig humane, monoklonale RANKL-Antikörper Denosumab von AMGEN wurde primär für die Therapie der Osteoporose entwickelt und zeigt hier sehr gute Ergebnisse. Da RANK-Ligand eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Erosionen bei der rheumatoiden Arthritis spielt, wurde in einer klinischen Studie der Effekt einer RANK-Ligand-Blockade bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis geprüft. Die kernspintomographischen Daten nach einem Behandlungszeitraum von 6 Monaten zeigten eine deutliche Überlegenheit von Denosumab über Placebo, so daß eine Weiterentwicklung dieses Therapieprinzips zur Hemmung der radiologischen Progression Sinn macht.
Der Angriffspunkt des humanisierten anti-α4 Integrin-Antikörpers Natalizumab (NAT) ist der Leukozyt. Die Migration und Aktivierung sowie das Überleben von Leukozyten werden durch α4-Integrine auf der Oberfläche der meisten zirkulierenden Leukozyten moduliert. Natalizumab verhindert eine über α4β1- und α4β7-Integrine vermittelte Zellbindung.
In Washington wurden die Ergebnisse einer Phase-II-Studie zur Therapie der rheumatoiden Arthritis mit Natalizumab vorgestellt, wobei die Ergebnisse eher enttäuschend waren. Vermutlich ist der Leukozyt nicht die Zielzelle, die bei der Therapie einer rheumatoiden Arthritis ganz im Vordergrund steht; andererseits wird bei einer Reihe von rheumatischen Erkrankungen, beispielsweise den Kristallarthropathien, die Entzündung wesentlich durch Leukozyten ausgelöst, so daß sich zukünftig möglicherweise ganz andere Indikationen für Natalizumab ergeben.
Besonders spannend unter den late breaking abstracts: Die ersten Ergebnisse einer doppelblinden randomisierten klinischen Studie zur Therapie der rheumatoiden Arthritis mit dem Toll-Like-Rezeptor-Blocker Chaperonin-10.
Chaperonin-10 (heat shock protein 10, XToll) von Cbio aus dem australischen Brisbane ist ein mitochondriales Protein, das Toll-Like-Rezeptoren hemmt. Toll-Like-Rezeptoren (TLRs) sind Entzündungsmediatoren, die vor allem im Synovialgewebe sehr stark exprimiert sind.
Die ersten klinischen Daten aus dieser Studie sind sehr ermutigend. So zeigte sich eine gute Wirksamkeit bei gleichzeitig guter Verträglichkeit. Wir werden auch über diese Studie in nächster Zeit ausführlicher berichten.
Aufregende Entwicklungen zeigen sich an der Front der Grundlagenforschung und der Entwicklung neuer Therapien. Der ACR 2006 war aber nicht nur durch sehr spannende neue Erkenntnisse und Ergebnisse in diesem Bereich gekennzeichnet, sondern auch durch eine Fülle von interessanten Präsentationen aus dem gesamten Bereich der klinisch-praktischen Rheumatologie und der rheumatologischen Versorgung.
Nicht zuletzt gab es wichtige Studien zur Arzneimittelsicherheit, so wurden in Washington erstmals die Daten der endgültigen Auswertung des MEDAL-Programms vorgestellt, der weltweit größten Vergleichsstudie zwischen einem COX-2-Hemmer (Etoricoxib) und einem traditionellen nicht-steroidalen Antirheumatikum (Diclofenac).
Dies und eine kaleidoskopartige Zusammenstellung von Postern und Vorträgen, die uns besonders aufgefallen sind, im 4. Teil des ACR-2006-Reviews, der in Kürze folgen wird.