Abseits der Wege: Off-Label Use in der Rheumatherapie
Laut deutschem Sozialgesetzbuch (§ 70) ist der behandelnde Arzt verpflichtet, „eine bedarfsgerechte, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten“.
Tut er dies nicht, kann er juristisch belangt werden. Auf der anderen Seite droht bei Einsatz eines Medikamentes, welches für die behandelte Erkrankung nicht zugelassen ist („Off-Label-Therapie“), dass die kassenärztlichen Prüforgane den Verschreiber in Regress nehmen – bei Verschreibung hochpreisiger Substanzen ist dies sogar mit Sicherheit zu erwarten. Darüber hinaus geht bei Off-Label-Verschreibungen die Haftung vom Hersteller auf den Verschreiber über, der auch einer erweiterten Aufklärungspflicht unterliegt.
Immer dann jedoch, wenn seltene Erkrankungen behandelt werden, ist damit zu rechnen, dass eine zugelassene Therapie gar nicht existiert. Solche Erkrankungen finden sich im rheumatischen Formenkreis in hoher Zahl – per definitionem ist hier eine Off-Label-Therapie fast unvermeidlich.
Für die Zulassung sind kontrollierte Studien erforderlich, eine ausreichende Patientenzahl dafür kann aber aufgrund der Seltenheit gar nicht rekrutiert werden. Nur wenn der Rheumatologe hier ältere, generisch verfügbare Medikamente verwendet, ist er nicht vom Regress bedroht. Sind diese therapeutischen Möglichkeiten jedoch ausgeschöpft und nur noch neue, kostenintensive Substanzen verfügbar, die möglicherweise zuvor sogar in kleinen Fallserien eine gute Wirksamkeit gezeigt haben, dann ist der Konflikt vorgegeben.
Auch bei häufigeren Erkrankungen wie zum Beispiel dem systemischen Lupus erythematodes tritt jedoch immer wieder einmal die Situation ein, dass das Arsenal zugelassener Therapien ausgeschöpft ist, und neue eventuell besser wirksame oder verträgliche Substanzen – bei SLE zum Beispiel Mycophenolat-Mofetil (MMF) oder Rituximab – keine Zulassung besitzen. Obwohl beispielsweise MMF weltweit schon fast den Status einer bei SLE etablierten Therapie besitzt, lehnen in Deutschland viele Krankenversicherungen und Krankenkassen die Erstattung dieser Therapie ab.
Welche Möglichkeit haben Arzt und Patient, eine aufgrund der klinischen Situation notwendige Off-Label-Therapie anzuwenden? Der Versuch, eine Genehmigung durch die zuständige Krankenkasse zu erhalten, kommt oft einem Spießrutenlaufen gleich, bei dem man mit hohem Zeitaufwand mit Ablehnungen durch die Instanzen geleitet wird – in einer klinisch bedrohlichen Situation möglicherweise lebensgefährlich.
Bei definitiver Ablehnung durch die Kostenträger einerseits und Evidenz für gute Wirksamkeit der Off-Label-Maßnahme sowie dringlicher Indikation andererseits wird ein Gang vor das Sozialgericht große Aussicht auf Erfolg haben – jedoch möglicherweise erst nach Jahren und damit zu spät für die konkrete Situation! Eine befriedigende, jeder Situation gerecht werdende Lösung des Problems ist leider gegenwärtig nicht erkennbar.
Die Kommission Pharmakotherapie der DGRh versucht gegenwärtig, indikationsbezogen die Evidenz für nicht zugelassene Therapieformen nach Auswertung der Literatur in Übersichten zusammenzustellen und so dem Verschreiber für den Einzelfall zumindest vom Wissensstand her bestmögliche Hilfe für die Auseinandersetzung mit den Kostenträgern verfügbar zu machen.
Quelle: Vortrag Professor Dr. med. Klaus Krüger
Internist, Rheumatologe am Praxiszentrum St. Bonifatius, München
Pressekonferenz im Rahmen des 37. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) Mittwoch, 23. September 2009, 12.00 bis 13.00 Uhr, Köln